Donnerstag, 11. Dezember 2014

Mark Forster „Au Revoir“



Das Jahr 2014 sollte nicht zu Ende gehen, ohne dass wir diesen gewaltigen Single-Hit würdigen, der vor allem in den gängigen Formatradios bis zum Erbrechen rund gespielt wurde. Mark Forster ist ein nicht mehr so ganz junges Talent, welches aus dem pfälzischen Winnweiler nach Berlin zog, um von dort die Welt zu erobern. Dass er dort irgendwann Sido über den Weg lief, war ein großes Glück für Beide. Zunächst veredelte Mark dessen Single „Einer dieser Steine“ als Refrainsänger, was Herrn Paul Hartmut „Sido“ Würdig schon mal eine goldene Schallplatte einbrachte. Da war es nur folgerichtig auch Mark auf's Treppchen zu helfen, was mit vorliegender Produktion perfekt gelang. Glückwunsch.

In diesem Haus, wo ich wohn',
hier ist alles so gewohnt,
so zum Kotzen vertraut.
Mann, jeder Tag ist so gleich,
ich zieh Runden durch mein' Teich,
ich will nur noch hier raus.

Kennt noch jemand die Redewendung „Gegen Windmühlenflügel kämpfen“? Der alte Don Quijote reitet aus, um ritterliche Taten zu vollbringen, doch es gibt schon lange keine Ritter mehr und die Riesen, gegen die er sinnlos anrennt, sind doch nur Windmühlen. Und so wie man diese Erzählung und die Bedeutung der Redewendung vergessen wird, so werden auch die schönen deutschen Endungen „e“ und „en“ in den Orkus der Geschichte wandern. Und wer wird schuld sein? Die Pop-Musik.
Unser lyrisches Ich jedenfalls schert sich weder um Grammatik noch um den Typen im ersten Stock, der immer seine Tochter schlägt, das alles ist ihm zum Kotzen vertraut (der Imbiss an der Ecke scheidet wohl als Ursache aus), deshalb muss es einfach weg. Basta.

Ich brauch mein' Platz und frischen Wind,
ich muss schnell wo anders hin,
sonst wachs' ich hier fest.
Ich mach 'nen Kopfsprung durch die Tür,
ich lass' alles hinter mir,
hab' was Großes im Visier,
ich komm' nie zurück zu mir.

Gut, dass wir das mit dem „e“ und „en“ geklärt haben. Als lyrisches Highlight – und das meine ich ganz ehrlich – wird ein Kopfsprung durch die Tür gewagt. Gut, dass wir in der ersten Strophe erfahren haben, dass das lyrische Ich hier seinen metaphorischen Teich hat, also wird es nicht auf das Pflaster knallen, sondern sanft in die Fluten gleiten. Warum die letzte Zeile „ich komm nie zurück zu mir“ statt „ich komm nie hier her zurück“ lautet ist mir ein Rätsel. Des Reimes wegen wird Mark das nicht gemacht haben, denn den gab es schon vorher. Also handelt es sich um das typisch pseudointellektuelle Geschwurbel, bei dem sich Leute verlieren und/oder wiederfinden müssen, oder eben nie zu sich zurückkehren. Liebe Texter, nehmt Euch bitte wörtlich, dann passiert so ein Quatsch nicht.

Es gibt nichts, was mich hält au revoir,
vergesst wer ich war,
vergesst meinen Nam'!
Es wird nie mehr sein, wie es war,
ich bin weg, oh, oh, au revoir.

Das kommt dabei heraus, wenn man den oh, oh, onomatopoetischen Wohlklang der Interjektion „oh“ mit dem französischen „au revoir“ kombiniert: Ein Hit-Refrain. Da nehmen wir doch gern einen verstümmelten „Nam“ in Kauf (hoffentlich kein Kürzel für Leichnam).

Auf Wiederseh'n? Auf kein'.
Ich habe meine Sachen gepackt, ich hau rein.
Sonst wird das für mich immer nur dieser Traum bleiben.
Ich brauch Freiheit, ich geh auf Reisen,
ich mach alles das, was ich verpasst hab,
fahr mit 'nem Gummiboot bis nach Alaska,
ich spring in Singapur in das kalte Wasser,
ich such das Weite und dann tank ich neue Kraft da.

So, nun also Sido, der vor gar nicht so langer Zeit noch die Massen mit so schönen Texten wie dem Arschficksong beglückte. Aber unser Langzeitgedächtnis ist abgestorben und warum sollen Gangsta Rapper und böse Buben nicht auch die Chance erhalten, reich zu werden und obendrauf einen Integrations-Bambie zu bekommen? Aggro goes Pop, irgendwie ist das ja auch tröstlich und wunderbar bieder.
Herr Würdig verschluckt nicht mehr nur Endungen sondern gleich ganze Phrasen. „Auf keinen Fall“ reimt sich nun einmal nicht auf „ich hau rein“, das versteh ich voll. Dankbar sind wir alle dafür, einen neuen Reim ins Reimlexikon aufnehmen zu können: Von nun an reimt sich "Wasser" (sprich Wassa) auf "Alaska" oder wahlweise "Kraft da".
Apropos bieder: Freiheit, auf Reisen gehen, alles machen, was man verpasst hat... Die Klischees klappern und man möchte fast das Weite suchen, wenn man nicht so unendlich gespannt wäre, wie es denn nun weiter geht.

Ich sehe Orte, von den' andere nie hörten.
Ich fühl mich wie Humboldt oder Steve Irwin.
Ich setz mich im Dschungel auf den Maya-Thron,
auf den Spuren von Messner, Indiana Jones.

Wow, jetzt gibt es eine gehörige Demonstration Bildung die zeigt, dass Drogen doch gar nicht so schädlich sein können. Trotzdem werfen einige Vergleiche mehr Fragen auf als ich Antworten habe. Wie sich Alexander Humboldt (sein Bruder Wilhelm kam über Eropa nicht hinaus), der große Entdecker, nach seinen ausgedehnten Reisen gefühlt hat, kann man sich noch vorstellen. Wie es ist, mit dem Stachel eines Rochens im Herzen zu sterben, wie es Steve Irwin geschah, ist schon schwieriger. Irgendwo, scheint es, lauert die Provokation unter der Oberfläche des Textes, der alte Arschficker ist noch nicht so ganz verschwunden und da ist es auch konsequent, dass man Reinhold Messner neben eine fiktive Figur stellt, die allein in unserer Vorstellungskraft auf der Halbinsel Yucatán gewesen sein könnte.

Der Phönix macht jetzt 'n Abflug.
Au revoir, meine Freunde macht's gut,
ich sag dem alten Leben Tschüss,
Affe tot, Klappe zu,
wie die Kinder in Indien, ich mach 'n Schuh.

Früher war es üblich, dass kleine Affen in einer Holzkiste am Kassenhäuschen eines Zirkus als Attraktion gezeigt wurden. Starb dieser Affe, blieb die Klappe geschlossen und es fand keine Vorstellung statt. Das bringt uns jetzt hier zwar nicht weiter, ist aber doch mehr Information, als der ganze Text zusammen enthält.
Über den Schlusssatz muss ich noch ein paar Worte verlieren. Ich mag keine Ahnung von Rap haben, es ist mir auch egal mit welchem zynischen Kalkül Leute an der Nase herumgeführt werden, denn was gefällt hat auch seine Berechtigung. Aber: „Ich mache es wie die Kinder in Indien: Ich mache 'n Schuh“? In welchem Universum ist das ein gelungener Wortwitz? Man geht davon aus, dass bis zu 60 Millionen Kinder in Indien zwischen 5 und 14 Jahren zeitweise oder regelmäßig arbeiten müssen. Kindheit? Fehlanzeige. Aber was schert das einen Typen aus dem Block, der jetzt im beschaulichen Hohen Neuendorf residiert.

Es gibt nichts was mich hält, au revoir,
vergesst, wer ich war,
vergesst meinen Nam'!
usw. usf.

Fazit: Ach, könnten wir der Aussage des Songs nur vertrauen! Leider bleibt zu erwarten, dass wir von allen Beteiligten noch viel zu hören bekommen.

Freitag, 15. August 2014

Andreas Bourani „Auf uns“



Irgendwie kommt man in diesem Sommer um „Auf uns“ nicht herum. Ich habe mal ein paar Feldtests gemacht und Leute befragt, was sie mir von dem Song vorsingen können. Jeder kannte das Lied, keiner kannte auch nur eine einzige Strophenzeile. Beim Refrain kamen die meisten bis „ein Hoch auf uns“ und sangen dann weiter: „auf das was bleibt“. Singt er aber nicht.
Ich habe nichts gegen Andreas, er wirkt sehr bodenständig und ist in den letzten Jahren sehr fleißig gewesen. Auch die neue Frisur ist toll. Der Text allein wäre kaum eine Besprechung wert, denn der Song ist Pop und will auch gar nix anderes sein. Wer mir allerdings verklickern will, man hätte nicht voll auf die WM 2014 gesetzt und das Ganze wäre alles nur rein zufällig passiert, kann mir auch gleich einen Bären aufbinden (wahrscheinlichste Herleitung ist die von der germanischen Wortwurzel bar, sie stand für tragen, später wusste man nicht mehr, dass bar für Last stehen sollte und deutete es volksetymologisch zu Bär um, was dann jedoch keine klar verständliche Aussage mehr mit sich brachte).
Obwohl es hier hauptsächlich um Texte gehen soll, muss man zur Unterstützung meiner These zunächst die Musik untersuchen. Die augenfällige Nähe zum Coldplay Song Viva la Vida hat hier nämlich Methode. Der Fußball-Bundesligist Hamburger SV spielte von Januar 2009 bis Mai 2010 bei Torerfolgen im eigenen Stadion den Refrain des Stücks als Unterstützung des Torjubels. Seit der Saison 2011/12 wird bei Torerfolgen in Heimspielen von Hannover 96 der gleiche Ausschnitt gespielt. Das Produzententeam folgte also der Formel Viva la Vida = Hit = Fußball = Blaupause. Überhaupt das Produzententeam: Es gibt in der Musikbranche eine Handvoll Leute, die immer hinzugezogen werden, wenn es erfolgreich sein soll. Und wen nimmt man da? Die Leute die schon erfolgreich sind. Deswegen können sich Leute, die Platinplatten an der Wand haben vor Aufträgen gar nicht retten. Bis sie einen Flopp landen. Dann sind sie auch mal schnell weg vom Fenster. Im vorliegenden Fall hält Peter “Jem” Seifert die Fäden in der Hand, der zuletzt mit Ich+Ich und vor allem mit Udo Lindenberg für Furore sorgte aber auch schon für Andreas Bourani einen Echo für das „Beste Produzententeam“ einsacken konnte.
Wer hier immer noch glaubt, dass sich solche Leute mit einem geringeren Anspruch, als DEN WM Hit 2014 zu produzieren, ans Pult setzen, glaubt auch an Einhörner.
Warum übrigens die Sporties in diesem Jahr nicht mitmischen konnten, liegt an einer simplen Tatsache: 54, 74, 90, zweitausendundvierzehn hat eine Silbe zuviel, und ließ sich nicht noch einmal recyceln. Wer will kann gern versuchen, es mal zu singen.

Wer friert uns diesen Moment ein
Besser kann es nicht sein
Denkt an die Tage, die hinter uns liegen
Wie lang wir Freude und Tränen schon teilen
Hier geht jeder für jeden durchs Feuer
Im Regen stehen wir niemals allein
Und solange unsere Herzen uns steuern
Wird das auch immer so sein

Die ersten beiden prophetischen Zeilen, sind die besten im ganzen Song. Besser wird es nicht. Es ist augenfällig, dass es eine Wir-Perspektive gibt, die normalerweise für Beziehungslieder aller Art herhalten muss. Von Zweierbeziehung ist aber im ganzen Lied keine Spur, also kommt nur die Gesellschaft als Ganzes in Frage oder eben unsere Fussballhelden. Geteilte Freude und Tränen, durchs Feuer gehen, im Regen nicht allein stehen, das sind alles leider sehr abgegriffenen Phrasen, die auch durch obligatorische Herzen, die uns steuern, nicht aufregender werden. Das wird auch immer so sein. Traurig auch - und man mag es wieder einmal gar nicht analysieren – wie wenig Reim sich deutsche Popkünstler zutrauen. Ein auf sein, allein auf sein... soll das denn schon alles sein?

Ein Hoch auf das, was vor uns liegt
Dass es das Beste für uns gibt
Ein Hoch auf das, was uns vereint
Auf diese Zeit

Das hier ist das, was in der Produzentensprache ein Pre-Chorus ist. Ein musikalischer Teil vor dem Refrain, der sich schon von der Strophe abhebt und den Weg für einen großen Refrain ebnet, der dann noch mehr aufgeht als der Pre-Chorus. Textlich wird mit „ein Hoch“ schon mal der Refrain zitiert. Aber schauen wir noch einmal zurück: In den ersten beiden Zeilen wurde postuliert, dass es in diesem Moment nicht besser sein kann. Nun sollen wir hoffen, dass es das Beste noch für uns geben soll. Ziemlich inkonsequent.

Ein Hoch auf uns
Auf dieses Leben
Auf den Moment
Der immer bleibt
Ein Hoch auf uns
Auf jetzt und ewig
Auf einen Tag
Unendlichkeit

So, nun aber der richtige Refrain und jetzt wird auch wieder der Moment bemüht, der immer bleibt. Geht es nur mir so, oder spukt der olle Goethe durch den Text: „Zum Augenblicke dürft' ich sagen: / Verweile doch, du bist so schön! / Es kann die Spur von meinen Erdetagen / Nicht in Äonen untergehn. – / Im Vorgefühl von solchem hohen Glück / Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick.“ Tja, das war noch Dichtkunst, da kommt ein Tag Unendlichkeit eher schmalbrüstig daher, denn was bitte ist ein Tag Unendlichkeit? Das gleiche wie ein Lichtstrahl Dunkelheit?

Wir haben Flügel, schwör'n uns ewige Treue
Vergolden uns diesen Tag
Ein Leben lang ohne Reue
Vom ersten Schritt bis ins Grab

Wir kommen auch schon fast zum Ende. Obwohl an dieser Stelle im Song erst 1 Minute 35 Sekunden rum sind, ist textlich alles gesagt und zwar schlecht. Hier wird nur schnell und schlampig was zusammengerührt. Wieso haben wir jetzt Flügel, ja, ist den heut schon Weihnachten? Ewige Treue, Leben ohne Reue, bis ins Grab. Das könnte auch aus einem Soldatenlied sein, aber wenigstens wird gereimt was das Zeug hält.

Ein Hoch auf das, was vor uns liegt usw. usf.

Ein Feuerwerk aus Endorphinen
Ein Feuerwerk zieht durch die Welt
So viele Lichter sind geblieben
Ein Augenblick, der uns unsterblich macht

Dieser C-Part wird von der klassischen Popstruktur diktiert, inhaltlich hatte man anscheinend nichts vorbereitet. Endorphin ist eine Wortkreuzung aus „endogenes Morphin“ mit der Bedeutung‚ ein vom Körper selbst produziertes Opioid. Im allgemeinen also Stoffe, die uns in einen Rausch versetzen, die auf das Nervensystem einwirken. Worauf ich hinaus will, ist, dass Endorphine ein Feuerwerk hervorrufen können, selbst aber kein Feuerwerk sind. Egal, es hört ja eh keiner hin wie ich feststellen musste. Also zieht das Feuerwerk durch die Welt, aber wenigstens die Lichter bleiben. Welche Lichter eigentlich? Nein, ich frage lieber nicht.

Fazit: Ein neuer Grönemeyer ist Andreas noch nicht, auch wenn er im Refrain so schön auf Leben und ewig herumknödelt. Trotzdem Glückwunsch zum nicht ganz zufälligen WM Hit 2014.

Dienstag, 15. Juli 2014

Dota Kehr „Wo soll ich suchen“

Die GEMA-Stiftung vergibt seit 1989 jährlich eine Textdichterauszeichnung, den Fred-Jay-Preis. Fred Jay, eigentlich Friedrich Alex Jacobson (1913-1988), war ein österreichischer Komponist und Textdichter, der seine produktivste Zeit in den wortwörtlich goldenen Schlagerjahren zwischen den frühen 70ern und den frühen 80ern hatte. Er schrieb für Howard Carpendale (87 Titel), Christian Anders (52 Titel), Boney M. (36 Titel) oder Jürgen Marcus (27 Titel) und etliche andere Größen der Branche. Sein größter Hit ist übrigens „When A Child Is Born“, der sich allein in Deutschland in Michael Holms deutscher Fassung „Tränen lügen nicht“ eine Million Mal verkaufte. Die englische Version gilt als Weihnachtsklassiker, ist in 120 Sprachen erschienen und viele Millionen Mal über den Ladentisch gegangen. Da ist der auf 15.000 Euro dotierte und nach ihm benannte Preis eigentlich ziemlich knickerig.

Die Berliner Sängerin, Liedermacherin und Musikproduzentin Dorothea („Dota“) Kehr dürfte sich trotzdem wie Bolle auf dem Milchwagen gefreut haben, denn auf sie fiel in diesem Jahr die Wahl der Jury der GEMA-Stiftung.
Grund genug einmal einen Blick auf ihre Texte zu werfen. Ich habe nicht lange herumgesucht und mich für „Wo soll ich suchen“ entschieden.

Wo soll ich suchen“ ist der Titelsong ihres aktuellen Albums, das elfte übrigens, das die promovierte Ärztin bisher veröffentlichte.

Es regnet auf stehengelassene Tassen und Teller
und ein zweites Schiffchen sticht in See.
Ich sitz auf meinem Steg und werfe Steine,
es regnet auf den Turm und auf den Klee.
Es regnet Funken durch die Kabel
und Menschen durch die Zeit.
Wo soll ich dich suchen?
Wo soll ich dich suchen?

Es ist selten, dass mich ein Text so anspricht, ohne dass ich genau sagen könnte, woran es eigentlich genau liegt. An der Oberfläche ist alles ganz klar und eindeutig. Sie Szenerie ist schnell zu erfassen und plastisch: Das lyrische Ich sitzt auf einem Steg, es regnet. Irgendwo steht ein Turm, es gibt stehengelassene Tassen und Teller, Stromkabel... Vielleicht ging eben eine Gartenparty zu Ende. Unter der Oberfläche aber lauert das Ungesagte, das Fremde, ein Geheimnis. Was hat es zum Beispiel mit dem zweiten Schiffchen auf sich, welches in See sticht? Welches war das Erste? Setzt das lyrische Ich Papierboote ins Wasser? Verlassen die Partygäste mit Kähnen das Ufer? Funken regnen durch Kabel, wie Menschen durch die Zeit? Und wer wird hier eigentlich gesucht?
Ich mag es sehr, wenn einfache Wörter sich zu komplexen Aussagen verdichten. Dorothea Kehr hat ein Händchen dafür. Schön ist auch der zwar unsaubere aber dennoch charmante Binnenreim „stehengelassene Tassen“.

Da wo die feinen Bläschen aufsteigen?
Im Moor, da wo die Irrlichter sind?
Am Himmelsstrand auf meinem Badetuch im warmen Gras?
Wo soll ich dich suchen?

Das ist der Refrain, und der Eindruck, dass hier etwas seltsam düsteres vorgeht, verstärkt sich. Der Landschaft mit See und Turm wird ein Moor hinzugefügt, später wird das Bild noch weiter ausgemalt werden. Nicht weit von dem Ort meiner Kindheit lag der Wald Katharinenholz und in ihm befanden sich die Düstere Teiche. Alles erinnert mich daran. Und dort ihm Moor, wo alles nach Verwesung riecht und die Vergänglichkeit zu Hause ist, dort soll das lyrische Ich suchen? Da, wo die Irrlichter sind, die das lyrische Ich in die Irre führen und in den Tod ziehen könnten? Oder lieber am Himmelsstrand? Ich habe kein Bild für Himmelsstrand parat. Blauer Himmel plus Strand und Sonne gleich Himmelsstrand? Ein Badetuch im warmen Gras? Das Paradies? Eine schöne Erinnerung? Ein Geheimnis.

Und klar, wenn ich allein bin, schließ ich die Tür ab.
Und ja, wenn ich Fahrrad fahre, fahr ich mit Licht.
Ich vermisse ein paar Dinge, doch dafür hab
ich andere gefunden. Also, sorge dich nicht.
Und bei Gewitter geh ich nicht baden.
Und bei Sturm schwimm ich nicht zu weit raus.
Und meide die Eichen und finde
den anderen unter den Gleichen.
Wo soll ich dich suchen?
Wo soll ich dich suchen?

Die zweite Strophe ist ähnlich strukturiert wie die erste. Handwerklich toll ist der Kreuzreim der ersten vier Zeilen und das Enjambement (der Verssprung) von Zeile drei auf Zeile vier.
Inhaltlich versichert das lyrische Ich, dass es ganz normale alltägliche Dinge so machen wird, wie es das gelernt hat. So als würde man z.B. der Mutter sagen, dass sie sich keine Sorgen machen muss. Aber wer ist der Andere unter den Gleichen? Der Text kreist um verschiedene Deutungsmöglichkeiten. Geht es um Verlust durch Tod, geht es um die Suche nach der großen Liebe? Oder ist das alles nur Teil einen Ornamentes, welches wir nicht sehen können, weil wir zu nah sind?

Da wo die feinen Bläschen aufsteigen?
Im Moor, da wo die Irrlichter sind?
Da wo die Weiden sich übers Wasser neigen,
und in den Wellentälern bei Wind?
Da wo der Wald am allertiefsten ist am Steilhang?
Da wo die Vögel plötzlich aufgeflogen sind?
Am Himmelsstrand auf meinem Badetuch im warmen Gras?
Wo soll ich dich suchen?

Es kommt der zweite Refrain und wer dachte, das Pulver wäre verschossen, irrte. Die Verse sind pure Poesie, eindringlich schön, einfach und handwerklich gelungen. Sauberer Kreuzreim der ersten vier Zeilen plus Binnenreim (Weiden, die sich übers Wasser neigen). Der Szenerie werden Wind, ein tiefer Wald, ein Steilhang und auffliegende Vögel hinzugefügt. Man wähnt sich in einem Gemälde von Caspar David Friedrich, aber alles ist auch Symbolik und noch immer Geheimnis.

Und von meinem Turm aus seh ich die Welt an.
Es regnet Tränen durchs Gesicht.
Unter vielfarbigen Wolkenstreifen
geh ich aus dem Haus
und bin draußen, als der Himmel aufbricht.
Wo soll ich suchen?
Wo soll ich dich suchen?

„Von meinem Turm seh ich die Welt an“. Plötzlich wird der Turm aus der Landschaft genommen und es wird der Turm des lyrischen Ichs. Der Turm ist in der Symbolik ein kraftvolles aber auch vielschichtiges Bild. Zum Himmel aufragend ist er ein Wegweiser, eine Verbindung zur oberen Welt. Der Turmbau zu Babel ist ein Symbol für den Hochmut und die Maßlosigkeit der Menschen. Der Elfenbeinturm ist die Metapher eines geistigen Ortes der Abgeschiedenheit und Unberührtheit von der Welt. Aber auch die verwunschene Prinzessin, die gesucht und gefunden werden will, harrt aus auf dem Turm und wartet auf Rettung.
Im Verlauf der Strophe wird es für meinen Geschmack kurz etwas zu dick, denn Tränen, die durch das Gesicht regnen, hätte ich hier nicht mehr gebraucht, aber irgendwie geht das in Ordnung, genauso wie der aufbrechende Himmel, der uns einen Hauch Zuversicht vermittelt.

Fazit: Großes Kopfkino, erzeugt mit einfachen Worten, handwerklich gut und dabei originell. Tränen, die durchs Gesicht regnen, lügen nicht.


Donnerstag, 3. Juli 2014

Tim Bendzko feat. Cassandra Steen „Unter die Haut“

Tim Bendzko hatte mit „Nur noch kurz die Welt retten“ 2011 einen Riesenhit. Und womit? Mit Recht. Der freche kleine Ohrwurm hatte nicht nur musikalische Qualitäten, auch der Text traf auf originelle Art den Nerv der Zeit.
Obwohl sein zweites Album „Am seidenen Faden“ inzwischen mit Platin veredelt wurde, konnte Tim nicht ganz an den Erfolg des Vorgängers anknüpfen. Im letzten Dezember wurde die Langrille dann mit ganzen 12 weiteren Liedern aufgehübscht und als Limited Re-Edition erneut veröffentlicht. Wahnsinn, was Leuten bei Plattenfirmen so alles einfällt. Nun fragt man sich, warum man bei 12 neuen Songs nicht gleich ein neues Album veröffentlicht. Womit fragt man das? Mit Recht. Die vorliegende Single „Unter die Haut“ deutet die Lösung des Rätsels an: Das Material war wohl nicht so dolle. Auch diesmal habe ich in der Datenbank der GEMA nachgesehen und siehe da: Musik und Text sind nicht fremdgemacht sondern selbst eingebrockt. Und wie immer, wenn in der aktuellen Medienwelt die Karriere ein Duett braucht und ungemein viel Quatsch gesungen wird, ist meine besondere Freundin Cassandra Steen zur Stelle, die offenbar einen schlechten Einfluss auf die Gehirne deutscher Singer-Songwriter hat.

Das geht mir unter die Haut,
wie ein warmer Sommerwind,
ich habe es erst nicht geglaubt,
dass ich hier nicht alleine bin.

Es gibt über 100 verschieden deutschsprachige Titel, die uns unter die Haut gehen sollen. Auch Stefanie Hertel hat zum Beispiel einen geschrieben. Diese oft benutzte Wortkombination wird immer gerne genommen, wenn ein besonders intensives Gefühl beschrieben werden soll. Alternativ wird zur Abwechslung auch „das hat mich sehr berührt“ verwendet.
Nun haben wir am Anfang der zweiten Zeile das schöne Wörtchen „wie“ und damit ein Vergleichswort. Per Definition: Wenn zwei Personen oder Sachen in einem Vergleich gleich sind, verwendet man den Positiv und die Vergleichswörter „so“ oder „wie“, die man mit „genau“ betonen kann.
Demnach ist also das besungene Gefühl genau wie warmer Sommerwind. Wäre ich kleinlich, würde ich fragen, ob man den warmen Sommerwind nicht auf, statt unter der Haut spürt. Erzeugt warmer Sommerwind wirklich ein so intensives Gefühl, dass man es mit der Einsicht, dass es die große Liebe doch da draußen gibt, gleichsetzen kann? Für meinen Geschmack ist das lasch und fade oder eben Pop.
Gäbe es in den beiden letzten Zeilen des Refrains nicht das Adverb „erst“ würde das gesamte Lied kollabieren und aus den Fugen geraten. Man muss schon sehr aufmerksam sein und seine ganzen interpretatorischen Fähigkeiten aufwenden, um zu verstehen, dass das lyrische Ich zunächst geglaubt hat, dass es alleine ist und als es merkte, dass es nicht alleine ist, dies zunächst nicht glauben konnte, bis es endlich dann doch geglaubt hat, dass es nicht alleine ist.

Im Grunde waren wir doch schon auf Einsamkeit trainiert
und haben jeden Wink mit dem Zaunpfahl ignoriert,
wir schotten um uns all die leeren Hüllen
und die leeren Hüllen versperrten uns
die Sicht auf ein Leben, das wir einst erstrebten,
doch wir halten daran fest.

Im Vortrag des Sängers gibt es eine deutliche Pause zwischen „Wink“ und „mit dem Zaunpfahl“. Macht Euch bitte mal die Freude und fragt: „Womit haben sie den Wink ignoriert?“ Antwort: „Mit dem Zaunpfahl.“ Natürlich ist das so nicht gemeint, aber unfreiwillig komisch kann so eine stehende Redewendung durchaus sein.
Ich muss noch einmal zum großen Ganzen zurück: Das Überthema ist doch „Liebe“. Eigentlich war man immer einsam und dann, upps, kommt die große Liebe um die Ecke, man freut sich wie warmer Sommerwind, blickt zurück und denkt sich: „Oh man, was war ich doch blind und unzuversichtlich, da hab ich doch die ganzen Winke mit den Zaunpfählen übersehen.“ Wer oder was hat denn da gewinkt und welche Botschaften sollten dabei übermittelt werden? Das frage ich mich. Und womit?

Zeile drei in dieser Strophe ist mir die liebste von allen! Wir schotten um uns leere Hüllen. Herrlich. Schotten sind noch immer Highlander unter englischer Krone, es kann sich also nur um eine Ableitung des schönen Wortes „abschotten“ handeln, welches aus dem Schiffbau stammt, wo etwas mit einem Schott versehen, also dicht gemacht wird. Das Verb „schotten“ gibt es nicht. In einer Kombination, in der man leere Hüllen um sich schottet ist es einfach nur peinlich. Überhaupt: Diese leeren Hüllen... Das ist doch wieder so ein aufgeblasenes, esoterisches Psychogequake ohne jeden Inhalt! Und es wird immer schlimmer, denn diese leeren Hüllen, von denen wir nicht wissen wovon sie eigentlich leer sind, versperren dem lyrischen Doppelich die Sicht auf ein Leben, das sie einst erstrebten, doch sie halten daran fest – an diesem Leben. Dafür sollte es die rote Karte geben oder wenigstens einen Abzug bei der GEMA Ausschüttung, welcher dann in eine Stiftung zur Bekämpfung von Legasthenie fliessen könnte.

Das geht mir unter die Haut,
wie ein warmer Sommerwind,
ich habe es erst nicht geglaubt,
dass ich hier nicht alleine bin.
Das geht mir unter die Haut,
dass wir verbunden sind,
es zieht mich immer weiter gerade aus,
bis ich zu Hause bin.

Erneuter Refrain, verlängert und mit der Information versehen, dass es den Protagonisten immer weiter gerade aus zieht, bis er zu Hause ist. Nach dem ganzen Unsinn mit den Schotten und den Hüllen ist das erfrischend wissenschaftlich, denn jedes Kind weiß, dass die Erde rund ist und wir wieder zu Haus ankommen, wenn wir nur lange genug gerade aus laufen. Für die aufkeimende Beziehung mit der großen Liebe, an die man eben noch gar nicht glaubte, ist das sicherlich eine Belastungsprobe, denn da ist man eine Weile unterwegs. Ob unsere Protagonisten dieses Problem lösen werden? Schauen wir weiter.

Denn alles was wir sind
gibt leeren Worten ihren Sinn,
ganz egal wie es klingt,
weil du auch ohne Worte unsere Lieder singst.

Danke für diese Worte. Endlich ergibt hier alles einen Sinn, denn auch wenn wir in diesem Lied nur leere Worte finden und ganz egal wie banal sie klingen: Auch ohne Worte, zum Beispiel auf La-la-la gesungen, wäre es noch ein erfolgreiches Duett und genauso inhaltsreich. Und weil die Interpreten sind, was sie sind, nämlich Popstars, müssen sie immer weiter singen, allein, in Duetten und im Chor, komme was da wolle. Nie zuvor wurde in einem gefühligen, selbstgedichteten deutschen Lied so offen und schonungslos über die eigene Belanglosigkeit gesungen. Respekt.

Fühlst du es auch? Lass alles stehen wo es ist
und wir reißen aus,
das ist alles was ich brauch.
Wenn ich in Sicherheit bin dann fühlst du es bestimmt.

Aha. Die Reise um die Welt, auf der man immer gerade aus unterwegs ist, soll also gemeinsam gelingen und zwar, indem man gemeinsam ausreißt, nicht zu verwechseln mit ausreisen, denn dann würde man ja nicht wieder kommen und Deutschland hätte den Verlust von gleich zwei Interpreten zu verkraften. Interessant, dass nur alles was stehen kann dort bleiben darf wo ist ist, alles was liegen kann müsste demnach mitgenommen werden.
Der Vers endet mit einer seltsamen Aussage. Woher will das eine lyrische Ich wissen, dass das andere lyrische Ich fühlen wird, wenn es in Sicherheit ist? Und in Sicherheit wovor? Zombofanten, die Zeugen Jehovas, Kritiker die solche Texte wörtlich nehmen? Womit frage ich das wohl?

Fazit: Texte dieses Kalibers gehen mir nicht unter die Haut, sondern auf den Sack.

Dienstag, 10. Juni 2014

Gleis 8 „Wer ich bin“


Die heutige Reise beginnt mit einem Rätsel: Wie viele Kreative braucht es, um einen Text zu schreiben, der aus 10 Zeilen und 40 Fragen besteht (wobei es nicht 40 verschiedene Fragen sind sondern nur 4)? Na, jemand eine Ahnung? Einen Germanistikstudenten im ersten Semester? Zwei Praktikanten bei einem Onlinemagazin für Heilpädagogik? Drei ordentliche GEMA Mitglieder? Eigentlich hatte ich Andrea Neuenhofen im Verdacht, die besser unter ihrem Pseudonym AnNa R. (R übrigens, weil sie eine geborene Rosenbaum ist) bekannt ist. Andrea hat früher bei Rosenstolz geträllert. Die aber haben nach eigener Verlautbarung viel miteinander geredet, gelacht und geweint und haben festgestellt, dass sie so viel verbindet und sie zusammen so viel erlebt und erreicht haben, dass es zur Zeit der schönste Moment ist, einander Raum zu geben. Im Klartext: Sie gehen sich gerade gehörig auf den Sack, den sie im übrigen längst zu haben. Künstlerinnen vom Format einer AnNa R. sitzen natürlich nicht gern allein zu Hause rum, da wird man nur depressiv und dick. Also gründen sie flugs eine Band und veröffentlichen munter weiter Schallplatten.
Der vorliegende Text ist vom Debüt der Gruppe Gleis 8, welches heuer erschienen ist.
Um auf die Frage zurückzukommen: Ganz offensichtlich 5. In der Datenbank der GEMA ist nicht nur die gesamte Band, also drei Musiker plus Frau Neuenhofen, als Texter eingetragen, sondern noch ein weiterer ominöser fünfter Mann. Und obwohl das gar nichts zur Sache tut, ist es doch einfach zu schön, um unerwähnt zu bleiben: Sechs Verlage verwalten diesen Song! „HÜTET EUCH VOR VERLAGEN!“ möchte ich allen zurufen, die erste Schritte in den Dschungel des Musikgeschäftes wagen, sie sind wie Zecken, tun den ganzen Tag nichts außer auf Beute warten, um dann Blut zu saugen, bis ihnen der Leib schwillt.
Nun, wie und wo der Text entstanden ist, wird auf ewig Geheimnis der fünf Betroffenen bleiben, bei 10 Zeilen und 4 Fragen wird sich das Ganze wahrscheinlich des nächtens besoffen im Studio zugetragen haben, aber bevor wir vorschnell Vorurteilen schauen wir einfach genau hin.

Du legst deine Hand auf mich
Dein Atem trifft mich mitten ins Gesicht
Du legst deinen Arm um mich
Du legst dein Gewicht auf mich
Du sprichst ein „ich liebe dich“ für mich

Ist das nicht ätzend? Jede einzelne Zeile ein Hammerschlag. Wenn man eine Hand auf jemanden legt, dann beschränkt sich das meist auf einen Körperteil. Interessanterweise hat jede diesbezügliche Geste eine eigene Konnotation. Legt man jemandem die Hand auf die Schulter ist es eine freundschaftliche Geste, legt man sie auf den Arm ist es beruhigend, legt man sie auf eine andere Hand ist es tröstend. Sie einfach auf jemanden im Ganzen zu legen, macht insofern Probleme, weil es eine sehr große Hand sein müsste.
Dann: „Dein Atem trifft mich mitten ins Gesicht.“ Geht es noch ekliger? Und nachdem noch ein Arm um das lyrische Ich gelegt und es mit dem Gewicht des Partners niedergedrückt wurde, wird ein „Ich liebe Dich“ gesprochen. Wohlgemerkt nicht geflüstert oder gehaucht, es wird gesprochen. Die ganze Szene wirft Fragen auf, die bekommen wir nun satt.

Aber weißt du wer ich bin?
Weißt du wirklich wer ich bin?
Weißt du wer ich bin?
Wer ich wirklich bin?

Aber weißt du wer ich bin?
Weißt du wirklich wer ich bin?
Weißt du wer ich bin?
Was ich nicht bin?

Aber weißt du wer ich bin?
Weißt du wirklich wer ich bin?
Weißt du wer ich bin?
Wer ich wirklich bin?

Aber weißt du wer ich bin?
Weißt du wirklich wer ich bin?
Weißt du wer ich bin?
Wer ich wirklich bin?


Ich habe das nicht gekürzt. Kann man effektiver texten? Kaum. Sicher, Popmusik lebt von der Wiederholung und musikalisch macht das auch alles Sinn. Übrigens geißelte schon Bastian Sick die Phrase „das macht Sinn“ als das was es ist: Schlechtes Deutsch. Die Übertragung aus dem englischen „that makes sense“ macht im Deutschen nämlich keinen Sinn, denn "Sinn" und "machen" passen einfach nicht zusammen. Das Verb "machen" hat die Bedeutung von fertigen, herstellen, tun, bewirken; es geht zurück auf die indogermanische Wurzel mag-, die für "kneten" steht. Das erste, was "gemacht" wurde, war demnach Teig. Etwas Abstraktes wie Sinn lässt sich jedoch nicht kneten oder formen. Er ist entweder da oder nicht. Man kann den Sinn suchen, finden, erkennen, verstehen, aber er lässt sich nicht im Hauruck-Verfahren erschaffen. (Quelle: Zwiebelfisch)
Diese kleine Abschweifung war notwendig, damit in diesem Text wenigstens etwas Erhellendes vorkommt.

Meine Haut und deine Haut treffen sich
Dein und mein Gesicht.
Unsre
Schatten erkennen sich
Legen sich über sich
Jeder spricht ein „ich
liebe dich“ für sich

Jetzt wird also geschnackselt und ziemlich diffus drum herum geredet. Machen wir uns doch einfach den Spaß und nehmen das Geschriebene mal wörtlich: Wir stellen uns vor, wie sich die Häute zweier Menschen treffen, in der Stadt, auf einen Kaffe, anschließend wird noch shoppen gegangen. Genau das Gleiche bitte auf „unsere Schatten erkennen sich“ anwenden. Hallo, wie kann man so einen Quatsch schreiben? Dieses „jemanden erkennen“ gehört in die Schublade „züchtige Umschreibung für Sex“. Da läuft man nicht Gefahr, vom Formatradio aussortiert zu werden und hat es dennoch faustdick hinter den Ohren. Ganz toll.
Diesmal spricht jeder ein „ich liebe dich für sich“. Ich hab es mal ausprobiert, es geht nur wenn man alleine ist. Was will uns also der Dichter damit sagen? Keine Ahnung, vielleicht, dass sich hier nur jeder selber liebt.

Eine Anmerkung zum Thema Reim, obwohl es so traurig ist, dass ich es gern überspringen würde: In der ersten Strophe wird vier mal „mich“ unsauber auf „Gesicht“ gereimt, in der zweiten Strophe dann vier mal unsauber „sich“ erneut auf „Gesicht“. Die Refrainzeilen enden ausnahmslos reimfrei auf „bin“, später auf „sind“. Noch öder geht es kaum.

Aber weißt du wer ich bin?
Weißt du wirklich wer ich bin?
Weißt du wer ich bin?
Wer ich wirklich bin?

Aber weißt du wer ich bin?
Weißt du wirklich wer ich bin?
Weißt du wer ich bin?
Was ich nicht bin?


An dieser Stelle kommt ein musikalischer Teil, der uns die Zeit vertreibt, bis der Refrain noch einmal wiederholt wird. Und weil es ein Lied mit sehr hohem textlichen Anspruch ist, wechselt ab der Hälfte dann das „ich“ zum „wir“. Man möchte jubeln.

Aber weißt du wer ich bin?
Weißt du wirklich wer ich bin?
Weißt du wer ich bin?
Wer ich wirklich bin?

Aber weißt du wer ich bin?
Weißt du wirklich wer ich bin?
Weißt du wer ich bin?
Was ich nicht bin?

Aber weißt du wer wir sind?
Weißt du wirklich wer wir sind?
Weißt du wer wir sind?
Wer wir sind ?

Weißt du wer wir sind?
Weißt du wirklich wer wir sind?
Weißt du wer wir sind?
Was wir nicht sind?

Spätestens jetzt hat uns Frau Neuenhofen ins Koma gesungen. Weist du wer ich wirklich bin, wer wir wirklich sind, was ich nicht bin, was wir nicht sind? Das ist zusammengefasst die Palette der Fragen, die bis jetzt unbeantwortet geblieben sind. Dass diese Fragen mit so großer Eindringlichkeit gestellt werden, immer wieder wird ein nachdrückliches „wirklich“ bemüht, lässt mich vermuten, dass es hier um ganz existentielle Dinge gehen muss. Also raffen wir uns noch einmal auf, halten Rückschau und fassen die ganze Szene noch einmal zusammen: Das lyrische Ich und ein Partner schnackseln auf unromantische und wenig liebevolle Weise. Das lyrische Ich will in genau dieser Situation vom Gegenüber wissen, ob es weiß, wer es wirklich ist. Und die Antwort lautet? Trommelwirbel: Wir wissen nicht wer du bist, aber wenigstens wissen wir was du bist: Eine Nervensäge.

Fazit: Wozu Mühe geben, wenn ein aufgeblasenes Nichts doch allemal für einen Ohrwurm taugt.

Donnerstag, 29. Mai 2014

Olaf Malolepski „Ich mach's wie die Sonnenuhr“


Olaf wer? Als die Flippers 2009 bekanntgaben, dass ihre nächste Tournee die letzte sein würde, ging ein hörbares Aufatmen durch das Land. Der ganze Spuk dauerte noch bis 2011, in der Sendung „Das Frühlingsfest der Volksmusik“ wurde die Band dann am 9. April durch Alfred Biolek mit einer Laudatio verabschiedet. Ende im Gelände? Leider nein, denn Olaf Malolepski, einer der drei Herren mit den quietschbunten Sakkos, hatte noch nicht genug. Im selben Jahr erschien sein erstes Soloalbum, was darauf schließen lässt, dass er nie vorhatte aufzuhören. Auch wenn es einem in den Fingern juckt, sich über Olaf der Flipper (!) hier auszulassen, ihn in der Luft zu zerreißen, seine Musik zu verhöhnen und die billigen Produktionen samt Plastikkeyboardsounds und Drumcomputern aus den Achzigern zu geißeln, darf man doch leider nicht vergessen, dass Olaf nur ein Interpret ist. Er schreibt seine Texte nicht, er komponiert nicht, er trällert nur und das zur Freude von Hunderttausenden, die seine Platten reflexartig kaufen, so wie sie es schon taten, als er noch bei den Flippers in die Kamera grinste.
Ich wollte schon immer einen Schlager besprechen, dass es nun die Texterin von Herrn Malolepski trifft, verdankt sie dem Umstand, dass ihr Klient neulich in einer Talkshow saß, in welcher ein Ausschnitt des Titeltracks seiner aktuellen Langrille gespielt wurde.

Allein schon der Titel „Ich mach's wie die Sonnenuhr“ lädt zum träumen ein, denn was macht so eine Sonnenuhr? Sie wirft Schatten. Und wer würde nicht gern einen langen Schatten werfen, anstatt im selbigen eines Anderen zu stehen. Aber schauen wir mal, was die Profitexterin daraus macht.

Uns stehen alle Wege offen,
wir haben hundert Jahre Zeit
aus diesem Leben was zu machen,
ja, das klingt wie eine Ewigkeit.

Ja, das klingt vor allem wie ausgemachter Blödsinn, denn wer die Statistiken kennt weiß, dass nur die wenigsten von uns 100 Jahre haben werden und die, die so alt werden, verbringen die letzten Jahre auch nicht immer walzertanzend auf einer Terrasse am Mittelmeer. Allerdings soll Schlager in aller erste Linie Trost spenden und Lebenshilfe sein, also gehört Übertreibung des Guten zum Programm.

Wir klettern über hohe Berge
und schwimmen durch so manches Tal,
mit meinem Kompass in der Hand
gelingt mir das auf jeden Fall.

So klappern die Klischees und mir ist natürlich klar, dass Berg und Tal hier die Hindernisse und Tiefen im Leben sind, dass man eine Einstellung im Leben haben kann, die einem hilft, mit allem fertig zu werden. Trotzdem muss man sauber mit den Bildern arbeiten, die man verwendet. In meinem Kopfkino klettern nämlich jetzt hundertjährige Rentner mit Krücken über hohe Berge und sind dazu verdammt, nie ans Ziel zu kommen, denn kaum hat man einen Berg hinter sich gelassen, ragt der nächste vor einem auf. Viel schlimmer jedoch wird es in Zeile zwei, denn wie bitte schwimmt man durch ein Tal? Man kann durch einen Fluss schwimmen oder durch einen See, manche von denen soll es sogar in Tälern geben, aber durch ein Tal wandert man, basta. Olaf ist inzwischen 68 Jahre alt, deshalb nehmen wir ihm mal ab, dass er nicht mit GPS sondern noch althergebracht mit Kompass wandert, von dem die Texterin ganz besessen ist, wie wir noch sehen werden.

Ich mach's wie die Sonnenuhr
und seh die schönen Stunden nur
die der Tag mir verspricht
mit einem Lächeln im Gesicht

Aha. Klar, Schatten wäre ja auch zu negativ. Die Sonnenuhr sieht die schönen Stunden nur. Das leuchtet ein. In diesen vier Zeilen hat man das Lebensgefühl Schlager in konzentrierter Form: Wenn man die Worte Sonne, schöne Stunden, Tag, Versprechen, Lächeln in eine Reihe stellt kann nur eines dabei herauskommen: Gute Laune.
Ich gehe davon aus, dass diese ersten zwei Zeilen den ganzen Text in Gang gesetzt haben. Der lyrische Grundeinfall des Textes wenn man so will.

Ich mach's wie die Sonnenuhr,
dann wird das Leben Abenteuer pur,
Leinen los, Fahrt voraus,
so machen wir das Beste draus.

Auch so ein Gesetz im Schlager: Refrain bis der Arzt kommt. Also wird er gleich noch einmal wiederholt und von der Texterin ambitioniert variiert. Absolut rätselhaft ist mir jedoch, wie aus der Tatsache, dass man nur die schönen Dinge im Leben an sich heran lässt, ein Leben voller Abenteuer erwächst? Am Mangel an Reimmöglichkeiten auf Uhr kann es nicht gelegen haben, denn es gäbe da zum Beispiel noch das wunderbar positive Wort Dur. Ich vermute, dass der Kompass seinen Tribut forderte, deshalb auch Leinen los und freie Fahrt voraus, Seemannslieder haben gerade Hochkonjunktur und der Produzent fand es sicher auch ganz toll so.

Ich stehe nicht auf kluge Sprüche:
tu blos nicht dies und auch nicht das“,
zu jedem Weg gehören Fehler,
verrückte Träume machen Spaß.

Wir erinnern uns an den Kern der Textidee: Ich sehe nur das Schöne im Leben, wie die Sonnenuhr nur die schönen Stunden anzeigt. Was dabei herauskommt, wenn man eigentlich keinen Bock hat, sich mit dieser Simpelbotschaft weiter auseinanderzusetzen, zeigt diese Strophe. Erst werden Leute zitiert, die uns gar nicht interessieren, dies und das wird nicht weiter ausgeführt und dann auch noch behauptet, dass verrückte Träume Spaß machen. Erzähl mir das mal einer, wenn ich wieder mal schweißgebadet aus meinem immer wieder kehrenden Albtraum aufwache, in dem ich die Bühne vor dem Auftritt nicht finde.

Wir können siegen und verlieren
so ist's für alle vorgeseh'n
mit meinem Kompass in der Hand
werde ich nicht untergeh'n

Sie können singen und verdienen, so ist's für Olaf vorgeseh'n. Und alle klopfen sich auf die Schenkel, wenn banale Sätze wie diese sich in goldene Schallplatten verwandeln. Der Kompass hat noch einmal einen großen Auftritt. Wie zum Teufel aber hilft der einem beim Schwimmen, wo man doch dazu tunlichst beide Hände benutzen sollte? Ich hoffe er ist nicht zu schwer, sonst zieht er Olaf wohlmöglich noch in die Tiefe.

Stehen auch die Zeiger nicht still,
das ist mein Lebensgefühl,
noch einen Schritt weiter bis an's Ziel.

Zeiger? Seit wann haben Sonnenuhren Zeiger? Klar, ich hab auch verstanden, dass es um die voranschreitende Zeit geht, aber sollte man in einem Text mit Sonnenuhr nicht etwas wählerischer sein in der Wahl der Bilder? Und weil ich schon so viele Fragen auf den Lippen hatte, hier gleich noch eine: Welches Ziel? Die nächste goldene Schalplatte, das Ende dieses Liedes, die Schlagerrente, die hundert Jahre voll machen und endlich abtreten?

Fazit: Schlagertexte zu besprechen ist nicht halb so lustig, wie ich es mir vorgestellt habe.

Freitag, 23. Mai 2014

Rammstein „Sehnsucht“


Ich bin nicht der größte Rammsteinfan den die Welt je gesehen hat, aber ich hege große Bewunderung und Respekt für die Band, die sich einst aus der Asche von Feeling B erhob. Ich hatte das Glück, sie erstmals 1995 als Vorgruppe von Sandow im Potsdamer Lindenpark erleben zu können. Damals versuchte sich Till noch an Ansagen. Dies war die einzige Schwäche einer Band, die wie eine Naturgewalt den vermeintlichen Hauptakt von der Bühne fegte. Ihr Debüt „Herzeleid“ tat sich am Anfang schwer, die Band war ein Geheimtip und wurde in Deutschland zunächst wenig beachtet. Als sie in Holland auf dem Index landeten, schwappte eine Medienwelle zurück nach Deutschland und es ging Berg auf. Mit dem zweiten Album „Sehnsucht“ und der Single „Engel“ wurden sie nicht nur zu Superstars, sondern auch zur meistdiskutierten Band Deutschlands. Das ganze Gedöns um die Neue Deutsche Härte und ihr Spiel mit Rechtsextremismus (lange her) soll hier außen vor bleiben.
Mit dem Titel „Sehnsucht“ verbindet mich eine ganz persönliche Anekdote. Ich war 1997 in eigener Sache unterwegs, denn es war gerade unser Album „Bannkreis“ erschienen. Ich unterhielt mich mit einer sehr bekannten Promoterin über den Titel und sie erzählte mir, dass sie den Titel sehr mochte, weil er von Fernweh handeln würde und auch sie würde sich schon auf den nächsten Urlaub freuen.
Alle, die auch dieser Meinung sind, sollten an dieser Stelle aufhören zu lesen, es könnte sein, dass die folgende Lektüre sonst als verstörendes Erlebnis enden wird.

Die Texte, die Till Lindemann für Rammstein schreibt, bilden ein kleines, eigenes Universum. Ich bin oft gefragt worden, ob ich nicht diesen oder jenen Text der erfolgsverwöhnten Berliner Band interpretieren würde. Ich habe mich lange davor gedrückt und tue mich auch hier schwer mit der Aufgabe. Ich werde erklären warum: Till Lindemann ist ein sehr interessanter Texter. Er arbeitet gern mit sauberen Reimen und zackigem Metrum. Außerdem hat er ein Ohr für Wortspiele und wie jeder echte Ossi auch ein Herz für Poesie. Till ist Baujahr 1963 und dürfte in seiner Jugend ungefähr das gleiche Zeug wie alle anderen seiner Genration in der DDR gehört haben: metaphernreiche Texte.
Der Stil, der sich bei ihm entwickelt hat, geht in vielen Fällen über die bloße Metapher hinaus. Er schreibt teilweise in Chiffren. Metaphern sind Bedeutungsübertragungen. In den meisten Fällen erklären sie sich von selber oder greifen auf allgemeine kulturelle Bezüge zurück, die man schnell entschlüsseln kann. Wenn man den Mond als angebissenes Stück Käse in der Himmelsfalle beschreiben würde, dann wäre das eine astreine Metapher. Chiffren sind weit komplizierter. Es sind verschlüsselte Inhalte, deren Interpretation nur gelingt, wenn der Autor einem den entsprechenden Schlüssel in die Hand gibt. Im Fall von Till Lindemann, der notorisch schweigsam ist, gibt es sehr wenige Schlüssel. Außerdem ist er so unfair, bestimmte Worte in unterschiedliche Chiffren zu verwandeln. So kann eine Träne eben noch ein Ausdruck für Leid sein, im nächsten Augenblick ist es Sperma oder, wie wir weiter unten sehen werden, möglicherweise etwas ganz anderes.
Dies hat dazu beigetragen, dass es im Netz ein nahezu unglaubliche Menge von Spekulationen, Interpretationen und Blödsinn zum Thema Bedeutungen von Rammsteintexten gibt. Mit meiner Besprechung von „Sehnsucht“ werde ich diesem Wust nur einen kleinen Partikel hinzufügen können, allerdings ist es nur mein Versuch, mich einigen Chiffren in diesem speziellen Text zu nähern und solange Till weiter schweigt, halten wir uns wie echte Germanisten eben an den Text.

Da ich im Besitz des original Booklets bin, kann jeder davon ausgehen, dass ich hier buchstabengetreu den Text wiedergebe. Im Netz finden sich einige fehlerhafte Varianten. Wie ich zeigen werde, können einzelne Buchstaben sehr wichtig sein.

Lass mich deine Träne reiten
übers Kinn nach Afrika
wieder in den Schoß der Löwin
wo ich einst zuhause war
zwischen deine langen Beine
such den Schnee vom letzten Jahr
doch es ist kein Schnee mehr da

So steht es im Booklet. Wichtig: „Träne“ nicht „Tränen“ und „zwischen deine langen Beine“ und nicht „zwischen deinen langen Beinen“.
Mein Interpretationsansatz ist nicht Fernweh sondern Sex. Und zwar nicht Blümchensex sondern knallharter Sex, der trotzdem keine Erfüllung bringt. Die Chiffren im ersten Block sind Träne, Kinn, Afrika, Schoß der Löwin. Ich gehe davon aus, dass es sich hier um verschlüsselte anatomische Angaben handelt. Die Reise geht über mehrere Stationen und das lyrische Ich berichtet, wohin es gelangt: „zwischen deine langen Beine“. Der Schoß der Löwin wäre demnach die weibliche Schamgegend. Afrika wäre ein südliche Region, die damit korrespondiert. Die Träne bereitet mir Kopfzerbrechen. Eine zeitlang dachte ich es könnte sich auf Grund der Form dabei um die Klitoris handeln. Immerhin steht die Träne in der Einzahl und „deine Träne reiten“ wäre dann selbsterklärend. Aber warum übers Kinn? Vielleicht beginnt der Geschlechtsakt ja oral. Wie gesagt: Chiffren brauchen Schlüssel und ich habe hier keinen parat.
Wenn wir uns Satzzeichen hinzudenken würden, ginge das ganze Satzkonstrukt erst einmal bis einschließlich Zeile 5, dann könnte man ein „Ich“ einfügen (das hat der Texter wegrationalisiert, weil er im Metrum bleiben wollte) und neu ansetzen.
„Ich such den Schnee...“ Hier also die nächste Chiffre. Schnee steht im allgemeinen für das Rauschmittel Kokain. Es ist ziemlich naheliegend, dies auch als Interpretation anzuwenden. Kokain ist eine Droge, die mit Sex kombiniert sehr stimulierend sein soll. Das lyrische Ich im vorliegenden Text jedoch kommt so oder so nicht zum ersehnten Rauschzustand. Es wäre aber auch möglich, hinter der Chiffre Schnee Sperma zu vermuten. Vielleicht hat das lyrische Ich nicht zum ersten Mal Sex mit der Person, in diesem Fall sollte man sehr froh sein, wenn man keinen Schnee vorfindet.

Lass mich deine Träne reiten
über Wolken ohne Glück
der große Vogel schiebt den Kopf
sanft in sein Versteck zurück
zwischen deine langen Beine
such den Sand vom letzten Jahr
doch es ist kein Sand mehr da

Till Lindemann liebt es von Zeit zu Zeit mechanisch vorzugehen. Das gesamte textliche Konstrukt wiederholt sich, Zeile 1 und 5 sind identisch, in den letzen beiden Zeilen wird wieder gesucht und nicht gefunden. Im Zusammenhang mit der zu reitenden Träne verwandeln sich „Wolken ohne Glück“ auch wieder in eine Chiffre, für die ich keine schlüssige Interpretation habe. Das Gefühl, welches diese Zeile jedoch erzeugt ist klar: Die Erfüllung, das Happy End, bleibt dem lyrischen Ich versagt. Dafür macht es uns der Texter mit dem „großen Vogel“ recht einfach, auch wenn die Gleichsetzung des männlichen Gliedes, das in eine Vagina eindringt, mit dem Kopf eines Vogels (Strauß = langer nackter Hals und Kopf?) wenig schmeichelhaft ist. Dafür ist der Sand wiederum noch verwirrender als der Schnee aber er korrespondiert mit Afrika, welches man sich klischeehaft als trockenes Land vorstellt.

Sehnsucht versteckt
sich wie ein Insekt
im Schlafe merkst du nicht
dass es dich sticht

Recht spät startet der Refrain des Liedes, diesmal nicht mit einer Chiffre sondern mit einem Gleichnis und zwar mit einem etwas holprigem. Abstrakte Begriffe mit konkreten Begriffen zu vergleichen, kann leicht in die Hose gehen. Sehnsucht ist ein Gefühl. Wie soll es sich bitte unter einem Stein oder in einer Baumritze verstecken? Aber da Insekten immer auf der Seite des Teufels stehen und der Reim so schön knallt, geht das schon in Ordnung. So sticht denn die Insekt gewordene Sehnsucht das lyrische Ich im Schlafe und was ist das für eine Sehnsucht? Die Sehnsucht nach Analverkehr! Denn:

Glücklich werd ich nirgendwo
der Finger rutscht nach Mexiko
doch er versinkt im Ozean
Sehnsucht ist so grausam
Sehnsucht

Spätestens seit Mickie Krauses „Finger im Po, Mexiko“ wissen wir wo Mexiko auf der anatomischen Landkarte liegt. Der Finger hat dort eine wichtige Rolle beim Vorspiel, der Rest ist Schweigen. Leider beschert uns dieser Interpretationsansatz die nächste Chiffre, denn in welchem Ozean versinkt der Finger? Nun, ich glaube ich war schon deutlich genug, deshalb überlasse ich dieses Rätsel dem geneigten und inzwischen sensibilisierten Leser.

Fazit: Keiner singt so gekonnt über sexuelle Praktiken außerhalb der Norm wie Till Lindemann. Möglich jedoch, dass das alles nur ein Missverständnis ist, denn auch Rockstars machen gern mal Urlaub an weißen Stränden.

Montag, 12. Mai 2014

Blumfeld „Wellen Der Liebe“




Als ich letzte Woche in den Niederungen der Hamburger Schule recherchierte, stolperte ich über den hier annoncierten Text. „Wellen der Liebe“ stammt vom 2001 erschienenen Album „Testament der Angst“. Rufen wir uns zunächst ins Gedächtnis, dass sich die Hamburger Schule vor allem durch deutschsprachige Texte auszeichnet, „denen oft ein hoher intellektueller Anspruch zugemessen wird und die umfangreich mit Gesellschaftskritik, linkspolitischer Einstellung und postmodernen Theorien verbunden sind.“ (Quelle Wikipedia) Die Band Blumfeld ist dabei nicht irgendeine Kapelle, sondern zählt neben Tocotronic und Die Sterne zur Speerspitze. Kann man einem so hohen Anspruch, wie er oben formuliert ist, durchgängig gerecht werden?

Das soll ich sein
Ich schlag ins Wort ein

Nach diese ersten zwei Zeilen muss man erst einmal die Stoptaste drücken. Ich habe nächtelang über diesen Worten gebrütet und bin zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Also nähern wir uns dem Inhalt ganz methodisch: Der Text ist aus der Ich-Perspektive geschrieben. Das lyrische Ich fragt also „Das soll ich sein?“, ganz so als würden Hinz und Kunz morgens vor dem Spiegel stehen. Was würden Hinz und Kunz dann sagen? „Alter siehst du heut wieder Scheiße aus!“ Der intellektuell geschulte norddeutsche Musiker hält sich mit solcherlei Banalitäten nicht auf und kontert: „Ich schlage in das Wort ein“.
Zur Wortbedeutung von „einschlagen“ fallen mir zwei Varianten ein: 1. Durch Schlagen etwas zertrümmern, 2. per Handschlag einen Handel besiegeln.
Ich lehne mich mal aus dem Fenster und lege mich auf die erste Wortbedeutung fest. Außerdem nehme ich an, dass das Wort, welches eingeschlagen werden soll, das Wort „Ich“ ist. Das Ich zertrümmert das Ich. Und zwar nicht im wörtlichen Sinn, denn es werden keine Spiegel zerschlagen oder Köpfe an die Wand gehauen bis sie bluten. Nein, es muss sich um ein postmodernes Zertrümmern des Ich-Begriffes in einer vollkommen entfremdeten Welt, die von Dekadenz und des Nihilismus geprägt ist, handeln. Alles klar? Nein? Mir auch nicht.

Alles spricht gegen mich
Doch so war es immer
Das soll für dich sein
Ich will dir nah sein
Ich weiß, ich bin nicht gut genug
Doch bitte bleib bei mir
Ohne dich ist das Leben nur kalt und leer
Ohne dich nimm Deine Liebe nicht von mir

Moment mal, ist das aus dem gleichen Lied? Na gut, der Song trägt den Titel „Wellen der Liebe“, die Richtung war also schon mal vorgegeben. Geht es nur mir so, oder könnte das auch aus einem Schlager sein? Meine Damen und Herren, es ist 2001 und hier ist Bernhard Brink mit seinem neuen Titel „Nimm deine Liebe nicht von mir“!
Blumfeld sind Experten für Lieder über Beziehungen und Liebe. Natürlich darf und muss man über Liebe singen, aber wenn man am Anfang des Textes einen stählernen Nagel in die Wand schlägt nur um daran einen fadenscheinigen Mantel aufzuhängen, fühle ich mich verschaukelt.

Wellen der Liebe
In guten wie in schlechten Zeiten
Will ich dich lieben und mit dir leben Tag für Tag
Manchmal kann ich dich nicht ausstehen
Manchmal ist es mir zuviel
Doch nichts ist stärker als die Liebe, die ich fühl

Wäre da nicht dieser leicht derangierte, studentische Unterton in der Zeile: „Manchmal kann ich dich nicht ausstehen“, dieser Hauch von Realität, man würde am Zucker glatt ersticken.

Das soll ich sein
Ich schlag ins Wort ein
Zeichen und Fleisch zugleich
Und nur noch wenig Welt vor mir

Für alle die zu spät eingeschaltet haben und jetzt denken Nino de Angelo würde hier singen, wird der postmoderne Nagel noch eimal bemüht. Doch damit nicht genug, jetzt wird das Wort auch noch Zeichen und Fleisch. Das Wörter Zeichen sind ist semiotisches Einmaleins. Zeichen deuten auf etwas hin, das Wort „Ich“ deutet auf die Person die es benutzt und woraus sind wir? Aus Fleisch. Das ist so unappetitlich wie es wahrhaftig ist, aber was um alles in der Welt macht das in einem ansonsten rosaroten Popsong über die wahre Liebe?

Das soll für dich sein
Du fängst das Licht ein
Durch dich weiß ich, was Liebe heißt
Auch wenn der Alltag uns stumm macht
Jeder Tag, den wir beide zusammen sind
Jeder Tag mit dir macht meine Liebe neu

Jetzt fassen wir mal zusammen: Dass lyrische Ich scheint schon etwas älter zu sein, denn es hat nur noch wenig Welt vor sich (es sei denn es segelt gerade über den Rand der Welt, aber das scheint mir zu weit hergeholt), es lebt in einer Beziehung mit einer Person, die das Licht einfängt. Allerdings macht der Alltag die Beiden stumm und machmal kann das lyrische Ich den Partner gar nicht ausstehen und es ist ihm alles zu viel. Dann fühlt es sich schuldig und sagt: „Ich bin nicht gut genug, so war es immer aber (siehe weiter unten) ich arbeite an mir und bitte, bitte geh auf keinen Fall weg!“ Wenn man so drüber nachdenkt, kommt man schlecht drauf. Da würde man gern mal was einschlagen und sei es nur ein Wort.

Das soll ich sein
Ich schlag ins Wort ein
Ich weiß, ich bin nicht gut genug
Doch ich arbeite an mir
Das soll für dich sein
Ich will dir nah sein
Alles spricht gegen mich
Doch bitte bleib bei mir

Laber, laber, alles gesagt. Und ganz außer Konkurrenz: Hat jemand einen weiteren Reim als den von „sein“ auf „ein“ und „zuviel“ auf „fühl'“ gefunden? Ich nicht.

Fazit: Man kann eine Reproduktion der Engel von Raffael (ihr wisst schon, diese zwei süßen, knuddeligen, kleinen Putten) hernehmen und große schwarze Tintenklexe draufhauen. Wer es schön findet, bitte. Aber verkauft das nicht als große Kunst, denn über den beiden Figuren ragt noch zwei Meter fünfzig die sixtinische Madonna auf.

Montag, 5. Mai 2014

Tocotronic „Kapitulation“

Bisher habe ich mich relativ lustvoll an schlechten Texten abgearbeitet oder auch sprödes Lob verteilt. Beim hier vorliegenden Text ist die Sache nicht so einfach. Handwerklich gibt er nicht viel her, aber die Band kann, wenn man das Œuvre betrachtet, durchaus auch sauber reimen und poetisch sein. Im vorliegenden Fall findet man davon wenig, aber vielleicht ist das Manko ja Programm.

Das Gesamtpaket Tocotronic ist für mich leider immer ein Abturner gewesen. Zu sehr wurde das Bild vom leicht anämischen Intellektuellen strapaziert, der reflexartig dementierte, wollte man bei ihm eine Haltung verorten. Ihre Vorliebe für schief geschrammelte Gitarren tat ein Übriges. Auch wenn die Band seit einiger Zeit aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, so wirkt und webt sie auch heute noch.
Mitte der 90er Jahre spülte eine weitere Neue-Deutsche-Welle, die den Stempel Hamburger Schule bekam (ein Grund, sofort zu dementieren), die Band an die Spitze der Charts. Erheiternd und konsequent zugleich, dass die Band 1996 einen ihr zugedachten Comet in der Kategorie „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ ablehnte. Der Titel des damals aktuellen Albums lautete schließlich nicht „Wir kommen, um abzusahnen“ sondern „Wir kommen, um uns zu beschweren“. Dafür gilt es, Respekt zu zollen.
Bei all den sehr bemühten Anstrengungen, weder bemüht noch angestrengt zu wirken, ist es den Textern (die Band komponiert und schreibt im Kollektiv, wobei Sänger Dirk von Lowtzow federführend sein dürfte) gelungen, einige überstrapazierte Themen neu zu interpretieren. Der dabei angewendete Kunstgriff ist so einfach wie wirkungsvoll: Man dreht das Klischee auf links, krempelt das Innere nach außen, bürstet es gegen den Strich. Schauen wir uns „Kapitulation“ genauer an:

Und wenn du kurz davor bist
Kurz vor dem Fall
Und wenn du denkst
"Fuck it all!"
Und wenn du nicht weißt
Wie soll es weitergehen:

Kapitulation

Ziemlich unspektakulär eigentlich. Die Versatzstücke sind abgegriffen und austauschbar: Keine Ahnung wie es weiter gehen soll, Niemand ist da, der einen versteht, man ist traurig und allein (siehe weitere Strophen). Normalerweise müsste im Refrain eine Durchhalteparole kommen. So etwas wie: Nach Regen kommt die Sonne, Zeit heilt alle Wunden, es kann und wird nur besser werden. Die Toten Hosen haben es mit „Steh auf, wenn du am Boden bist“ vorgemacht (ein Song der geradezu danach schreit, hier besprochen zu werden).
Aber es kommt das Wort „Kapitulation“. Ein Grund zum Hinhören und Nachdenken. Für mich steckt da ziemlich viel drin. Wir stemmen uns stetig gegen die Widrigkeiten des Alltags, kämpfen um Glück und Erfolg und wenn es mal nicht so gut läuft, dann ist das ein Grund die Anstrengungen zu verdoppeln. Oder man kapituliert. Das Wort ist negativ besetzt. Es klingt nach verlieren, nach versagen. Aber man kann es auch als Chance begreifen. Eine Möglichkeit, sich unbeschadet zurück zu ziehen, nicht alle Truppen in einen hoffnungslosen Kampf schicken, sich neu sortieren, sich frei machen, von den Erwartungen Anderer.

Und wenn du denkst
"Alles ist zum speien!"
Und so wie du jetzt bist
Willst du überhaupt nicht sein
Wenn du dir sicher bist
Niemand kann dich je verstehen:

Kapitulation

Inhaltlich finden wir nichts Neues, das wird auch bis zum Ende so bleiben. Pulver verschossen. Jetzt gilt es, das Bild mit Farben auszumalen.
Nett, wie die norddeutschen Musiker den süddeutsch verbreiteten Ausdruck „speien“ verwenden. und darauf die Zeile „so willst du nicht sein“ reimen. Erheiternd.
Auffällig, dass sich die jeweils letzten Zeilen der drei Strophen reimen. Für einen Song ist das zu weit auseinander, das Ohr erinnert sich dann nicht mehr. Aber das Auge nimmt so etwas als wohltuend strukturell wahr (nennt man übrigens Schweifreim). Ich glaube, dies lässt Rückschlüsse auf die Arbeitsweise zu.

Und wenn du traurig bist
Und einsam und allein
Wenn die Welt im Schlaf versunken ist
Du wirst es nie bereuen.
Wenn du denkst, "fuck it all
wie soll es weitergehen?":

Kapitulation

Ein Lyriker hätte sich diese Zeilen geklemmt. Aber Pop braucht Strophen. Wie gesagt: Inhaltlich kommt nichts Neues und so zentral „fuck it all“ auch in der Hamburger Schule verankert sein mag – das hatten wir schon.

Die Vögel im Baum
sie kapitulieren

Die Füchse im Bau
sie kapitulieren

Die Wölfe im Gehege
sie kapitulieren

Die Stars in der Manege
sie kapitulieren

Ich habe keine Ahnung wie die Tiere und die Stars in der Manege in den Text gekommen sind. Entweder die Texter haben sich treiben lassen oder es dient der Ironisierung. Vielleicht war es auch die Reihe Baum, Bau, Gehege, Manege, die es ihnen angetan hat.
Dabei ist der Reim von Manege auf Gehege natürlich kein Reim, auch wenn jede Reimmaschine im Internet ihn ausspucken würde. Der oberste Richter beim Reim ist nun einmal das Ohr und nicht das Auge. Berühmt ist das Beispiel von Goethe, der einmal „Ach, neige / du Schmerzenreiche“ reimte, was in seiner thüringischen Wahlheimat einen perfekten Reim ergab.

Alle, die die Liebe suchen
sie müssen kapitulieren

Alle, die die Liebe finden
sie müssen kapitulieren

An der Stelle muss jeder für sich entscheiden, wie er die oben genannten Gedanken zum Thema Kapitulation an sich heran lassen will. Wir alle wollen lieben und geliebt werden. Kann es dabei Sieger und Verlierer geben? Oder sind Kapitulierer die Besserliebenden?

Alle, die disziplinieren
sie müssen kapitulieren

Alle, die uns kontrollieren
sie müssen kapitulieren

Alle, die uns deprimieren
sie müssen kapitulieren

Lasst uns an alle appellieren
Wir müssen kapitulieren

Kapitulation

Na ja, da schlägt das Hamburger Schanzenviertel durch. Für viele Leute bedeutet links zu sein, die Faust nach oben zu recken und kräftig zu schütteln, aber die, die uns deprimieren, werden ja hoffentlich nicht Tocotronic selber sein.

Fazit: Tocotronic schreiben Texte, die sich schlau geben, es machmal sogar sind. Was davon bei „Kapitulation“ zutrifft, mag jeder selber entscheiden.

Dienstag, 22. April 2014

Cassandra Steen feat. Adel Tawil „Stadt“



In diesem Fall haben wir es mit einer klassischen Konstellation zu tun: Komponisten und Produzenten arbeiten zusammen, eine professionelle Textautorin wird hinzugezogen, ein Song entsteht, der dann von Gesangskünstlern interpretiert wird. Ich kenne solche Gegebenheiten auch. Meist geht es sehr hektisch zu, besser gestern als heute soll der Song der Plattenfirma vorgelegt werden, die entscheidet ob die Single was taugt, jede Menge Leute reden mit und am Ende ist das Ergebnis meist ein Zufallsprodukt, machmal wird dieses ein Hit. Die Autorin des folgenden Textes hat für viele Künstler gearbeitet und Besseres als das hier abgeliefert. Da sie weder mit eigener Webseite noch mit einem Facebookauftritt aufwartet, soll ihre Identität hier keine Rolle spielen. Es geht wie immer nur um den vorliegenden Text.

Es ist so viel, so viel zu viel
Überall Reklame
Zuviel Brot und zu viel Spiel
Das Glück hat keinen Namen

Wenn ein Text so anfängt, dann gehen bei mir gleich die Alarmsignale an. Ein Dozent im Studium prophezeite einst, dass es zukünftig neue Steigerungsformen in der deutschen Sprache geben würde. Ein Vorbote damals war der SAT1 FilmFilm. Nun also „so viel, so viel zu viel“.
Es wird ein Betroffenheitstext, so viel, so viel ist gleich klar. Die Missstände unserer Zeit werden angeprangert. Anscheinend wurde man mit den Liedermachern der 70er Jahre sozialisiert. In wenigen Worten wird unser Konsumverhalten, die moderne Medienwelt und die Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft an den Pranger gestellt. Ganz schön viel Tobak für einen Popsong aber Nicole hat es ja vorgemacht: Man kann mit Liedern auch den Weltfrieden retten. Bleibt nur die Frage: Was bedeutet „Das Glück hat keinen Namen“? Kennt irgendwer ein Glück, das Heike heißt oder Manfred? Sehr kryptisch, oder einfach nur verbales Getöse.
Was mich außerdem noch stört ist dieser merkwürdige Nachhall, den die Wortverbindung „Brot und Spiele“ bei mir erzeugt. In der heutigen Bedeutung bezeichnet sie „die Strategie politischer (oder industrieller) Machthaber, das Volk mit Wahlgeschenken und eindrucksvoll inszenierten Großereignissen von wirtschaftlichen oder politischen Problemen abzulenken. (Quelle Wikipedia)“ Da wird mit dem Zeigefinger für mich unangenehm nach oben gedeutet. Ja, ja, die Politiker, die da oben, die machen sich die Taschen voll, arbeiten nicht, zerstören die Umwelt und verkaufen uns für dumm.

Alle Straßen sind befahren
In den Herzen kalte Bilder
Keiner kann Gedanken lesen
Das Klima wird milder

Wenn ich so etwas lese, dann kommt es mir vor, als würde man mir die Heisenbergsche Unschärferelation wie folgt zusammenfassen: Die Welt ist unscharf. Die Autorin hoffte anscheinend, dass, wenn sie so viel Banalität wie möglich in eine Strophe pressen würde, ein Diamant daraus entstünde. Eingequetscht zwischen den wachsenden Problemen durch die Verkehrsbelastung auf unseren Straßen und den daraus resultierenden Klimaproblemen (global natürlich), werden gleich noch die Herzen und Gedanken der Menschheit auf den Prüfstand gestellt. Und was finden wir? Kalte Bilder in den Herzen. Das klingt so deklamatorisch und wunderschön. Aber was bitte sind kalte Bilder? Bilder von Skipisten oder Winterwäldern? Nein, ich ahne, dass es sich um schmelzende Gletscher handelt, den das Klima wird ja milder. Aber haben wir diese Bilder nicht im Kopf oder vor dem geistigen Auge? Ich kann die Gedanken der Autorin nicht lesen. Keiner kann das!

Ich bau 'ne Stadt für dich
Aus Glas und Gold und Stein
Und jede Straße die hinausführt
Führt auch wieder rein
Ich bau eine Stadt für dich - und für mich

Fangen wir mal mit der grundlegenden Aussage an: Die Welt da draußen ist schlecht, aber weil wir Beide zusammen sind (Achtung: Duett) und was ganz Tolles haben, kapseln wir uns von der gemeinen Welt ab, bauen uns eine eigene Stadt in unseren Träumen, in unseren vier Wänden, was auch immer. So werden die Probleme der Umweltverschmutzung wohl nicht gelöst!
Aber bevor ich zu streng werde, begreifen wir den Text als das, was er wirklich sein will: Ein Liebeslied.
Der Gedanke, dass in einer Beziehung, einer starken Liebe, jede Straße die hinausführt auch wieder hineinführt, ist poetisch und kraftvoll. Gefällt mir.

Keiner weiß mehr wie er aussieht
oder wie er heißt
Alle sind hier auf der Flucht
die Tränen sind aus Eis

Boah, das ist wieder so klischeehaft, ich mag das gar nicht kommentieren. Tränen aus Eis müssen höllisch weh tun, aber sie korrespondieren mit den kalten Bildern im Herzen. Hier erkennt man den Profi. Nicht einmal das Argument reim dich oder ich fress dich zieht hier, denn es reimt sich nix.

Es muss doch auch anders gehen
So geht das nicht weiter
Wo find ich Halt, wo find ich Schutz
Der Himmel ist aus Blei hier

Leider geht es nicht anders, es geht immer so weiter. Hat jemand mal ein Taschentuch für den Sänger? Für den Schutz vor einem Himmel aus Blei empfehle ich einen Schutzraum, würde aber auf Glas verzichten. Das geht sonst nach hinten los.

Ich geb keine Antwort mehr
Auf die falschen Fragen
Die Zeit ist rasend schnell verspielt
Und das Glück muss man jagen

Ach ja, die falschen Fragen: Woher kommen wir, warum sind wir hier? Ist die Rente sicher? Werden zukünftige Generationen noch einen Planeten haben, den sie bewohnen können? Wie viele Platten verkauft man, wenn sich ganz viele Leute zusammen tun, die total was von Musik verstehen? Wird das nächste iPhone auch mit Android laufen?
Dazu rasende Zeiten und gejagtes Glück – man ist im Phrasenhimmel.

Eine Stadt in der es keine Angst gibt nur Vertrauen
Wo wir die Mauern aus Gier und Verächtlichkeit abbauen
Wo das Licht nicht erlischt
Das Wasser hält (? Textunverständlichkeit)
Und jedes Morgenrot
Und der Traum sich lohnt
Und wo jeder Blick durch Zeit und Raum in unsere Herzen fließt

Dieser letzte Teil muss auf Zuruf entstanden sein. Die ersten beiden Zeilen klingen noch so, als hätte die Autorin im Stil des vorhergehenden Gedöns weiter gemacht. Was dann folgt ist pures Gestammel, das sich jeder Interpretation entzieht. Wenn jemand bei den Aufnahmen dabei war, soll er mich mal aufklären (nicht über den Inhalt, über die Entstehung).
Irgendwie ist auch der tröstliche Gedanke, dass es im Kern ein Liebeslied ist, abhanden gekommen. Wenn man erst mal Mauern aus Gier und Verächtlichkeit abbauen muss, dann hätte man vielleicht erst gar keine Stadt für den Duettpartner bauen sollen. Also doch eine Stadt für uns alle, ohne Verkehr und Klimawandel, mit Menschen, die wissen wie sie heißen. Bin ich zu kleinlich?

Fazit: Solange Blicke durch Zeit und Raum in unsre Herzen fließen, wird es schlecht getextete Popsongs geben.

Montag, 14. April 2014

Revolverheld „Das kann uns keiner nehmen“



Die Band hat eine ziemlich klassische Karriere hingelegt und sich zunächst über Supporttouren und kleine Clubgigs ordentlich Hornhaut auf die Finger gespielt. Die smarten, Popakademie geschulten und irgendwie gecastet wirkenden Musiker sind im Studio und auf der Bühne Vollprofis, die ihren Job gelernt haben und alles was sie machen, richtig machen. Wirklich alles?
Ihre Karriere begann 2002, ein erstes Album erschien 2005. Auf der ersten Single „Generation Rock“ sangen sie noch recht ungestüm:

Und die Zeit tickt
Immer weiter, immer schneller
Das Leben dreht sich fast wie ein Propeller
Wenn Dich Rock kickt
Und Dir gefällt was Du hier hörst
Vergiss den Pop-Shit und komm mit uns mit

Schon die zweite Single war, ganz klassisch, eine Ballade, eine Teilnahme am Bundesvision Song Contest sorgte für weitere Aufmerksamkeit und so folgte eine weitere Ballade und die 1Live Krone (des WDR-Radiosenders Eins Live) als Bester Newcomer 2006. Mit deutlich glatterem Sound begann die Band, sich 2007 selbst Lügen zu strafen. Single auf Single folgte und mit dem dritten Album knallte der Pop-Shit dann richtig, als die Spatzen die Single „Halt dich an mir fest“ von den Dächern pfiffen. Wobei ich neulich las, dass Dohlen, Stare und Eichelhäher viel besser Laute wie die von Mobiltelefonen imitieren können, aber ich schweife ab.
Wenn man erst einmal vom süßen Nektar des Radiohits gekostet hat, dann kann man nur ganz schwer wieder in die verrauchte Kneipe an der Ecke zurückkehren und am schalen Bier der Generation Rock nippen. Wobei wir bei der ersten Single des Albums „Immer in Bewegung“ aus dem Jahr 2013 angekommen wären:

Alte Freunde wiedertreffen
Nach all' den Jahr'n
Wir hab'n alle viel erlebt
Und sind immer noch da

„Tach, Jungs!“, grüßen die Musiker um den inzwischen zum neuen Sasha gereiften Johannes Strate in die Runde und nehmen am Tresen Platz. Zum reimen jedenfalls bleibt keine Zeit. Obwohl der ganze Text im weiteren Verlauf nach dem einfachen Reimschema a,b,c,b schreit und wohl auch so klingen soll, kriegen die Jungs das erst mal nicht gebacken.
In den Neunzigern waren die Jungs keine 20 Jahre alt. Jetzt, 2013, sind sie so um die 35., haben viel erlebt und sind immer noch da. Wow. Da mach ich mir erst einmal ein Alkoholfreies auf, das hier wird bitter.

In der Kneipe an der Ecke
Uns'rer ersten Bar
Sieht es heute noch so aus
Wie in den Neunzigern

An dieser Stelle empfehle ich, sich einmal den Text von Peter Alexanders „Die kleine Kneipe“ anzusehen. Getextet übrigens von Michael Kunze (rund 80 Goldene- und Platin-Schallplatten) nach einem Lied von Pierre Kartner, auch bekannt als Vader Abraham (128 Goldene Schallplatten als Komponist und 57 Goldene und Diamantene Schallplatten mit seinen Schlümpfen), aber ich schweife ab. Hier wird mit wenigen Worten so viel Atmosphäre erzeugt, man fühlt sich sofort in die Szene hineinversetzt, hat alles als lebendiges Bild vor Augen.
Bei Revolverheld sieht es aus wie in den Neunzigern. Ja, genau. Und wie sahen die aus?
Herausragend übrigens der Versuch das Wort „Bar“ auf genuschelte „Neunzigar(n)“ zu reimen. Nee, wird nie ein Reim.

Manche sind geblieben
Und jeden Abend hier
Meine erste Liebe
Wirkt viel zu fein dafür

Wir erinnern uns: Zwischen den Neunzigern und jetzt sind rund 20 Jahre vergangen. Die Gestalten, die seit dem jeden Abend hier in der Kneipe waren, können einem nur leidtun, aber es wird nicht sozialkritisch, es wird kryptisch. Sitzt die erste Liebe von Sasha Strate auch seit 20 Jahren in der Kneipe (dann gute Nacht) oder ist sie nur heute mal zur Feier des Tages vorbeigekommen und hat den Nerz rausgekramt? Ich weiß es nicht und will es auch nicht wissen. Dafür gibt es wenigstes den Hauch eines Reims, keinen reinen zwar, aber wir begnügen uns schon mit einem vokalisch unreinen.

Wir sind wirklich so verschieden
Und komm' heut von weit her
Doch uns're Freundschaft ist geblieben
Denn uns verbindet mehr

Ja, verdammt, das kann ja alles sein. Aber was außer Plattitüden und (Achtung: Plattitüde) leeren Worthülsen soll denn das hier? Uns verbindet mehr? Was denn? Die Vorliebe für das Design der Neunziger?
Beim vierten Anlauf hat es endlich mit dem Reim geklappt. Toll.

Ooooooh
Das kann uns keiner nehmen
Ooooooh
Lasst uns die Gläser heben
Ooooooh
Das kann uns keiner nehmen
Die Stadt wird hell und wir trinken auf's Leben

Ohohoho. Das bisschen Nichts von dem ich hier singe kann uns keiner nehmen. Also bechern wir mal mit den Alkoholikern, die hier seit Jahrzehnten am Tresen kleben und obwohl ich einen sauberen dreifach Reim hinbekommen habe, den man ohne Not auch mit Endung singen könnte, lasse ich es klingen wie „nehm“, hem“, „Lem“. Man möchte sich die Kugel gem.

Wir hab'n an jede Wand geschrieben
Dass wir da war'n
Und die Momente sind geblieben
Und sind nicht zu bezahlen

Genau. Für alles andere gibt es Visa Card. Ich muss jetzt mal zum Ende kommen, ich bekomme seltsamerweise einen unstillbaren Durst auf Schnaps.

Jedes Dorf und jeden Tresen
Hab'n wir zusamm' gesehen
Und wenn ich morgen drüber rede
Klingt das nach Spaß am Leben

Was ich immer sage: Saufen ist purer Spaß am Leben. Und natürlich seinen Namen auf die Innenseite einer Klotür schreiben. Ohohoho.

Und in der Kneipe an der Ecke
brennt noch immer das Licht
Wir trinken Schnaps, rauchen Kippen
und verändern uns nicht

Da, wo das Leben noch lebenswert ist, dort, in der Kneipe in unserer Straße, da fragt dich keiner, was du hast oder bist. Ohohoho. Prost.

Fazit: Dümmlicher Text, handwerklich schlampig. Generation Rock schunkelt schnapsselig in den Pop-Himmel. Das kann Euch keiner nehmen.