Mittwoch, 16. Mai 2018

Max Giesinger „80 Millionen“

Max Giesinger ist ein talentierter junger Sänger und Songschreiber, dessen Karrierestart einige kleine Wackler hatte. An der Popakademie in Baden-Würtemberg bestand er 2011 die Aufnahmeprüfung nicht. „Dann also Castingshow“, dachte sich Max und schaffte es im gleichen Jahr bei The Voice Of Germany bis auf Platz vier. Eine beachtliche Leistung, die im Musikgeschäft allerdings keinen Karrierestart garantiert. Single und EP liefen mäßig, erste Touren änderten daran nichts. Also ließ man Max fallen, der daraufhin dank Crowdfunding ein eigenes Album produzierte. Ohne nennenswerten Erfolg. An dieser Stelle, wäre die Geschichte, wie bei so vielen Talenten, zu Ende, allerdings beginnt im Fall von Max das Märchen genau hier. Denn dank eines erneuten Vertrages mit der BMG und der Hitsingle „80 Millionen“ war Giesinger 2016, laut Goldener Henne, der Aufsteiger des Jahres. Grund genug, den Text, der sein Schicksal nachhaltig änderte, hier unter die Lupe zu nehmen.

Da wo ich herkomm' wohnen eintausend Menschen,
im Ort daneben schon zweimal so viel,
300.000 in der nächsten Großstadt
und bald vier Millionen in Berlin.

Max kommt aus Busenbach, einem Ortsteil von Waldbronn im Landkreis Karlsruhe. Busenbach hat gut 5.400 Einwohner, ganz Waldbronn kommt auf rund 12.450. In Karlsruhe wohnen tatsächlich rund 307.000 Leute. Max hat also ein bisschen geschummelt, scheint aber alles in allem autobiografisch vorzugehen. Die Verwendung von „da, wo ich herkomme“ verweist übrigens auch auf eine regionale Komponente, denn mein Sprachgefühl hätte dort ein „dort“ platziert. Beides ist richtig, die Verwendung schwankt je nach Breitengrad etwas. Ansonsten gibt es nicht viel zu meckern, Max verschluckt gern Endungen und schert sich nicht viel um Reime, damit ist er dieser Tage in bester Gesellschaft.

Ich war die letzten 5 Jahre alleine,
hab nach dem Sechser im Lotto gesucht,
sieben Nächte die Woche zu wenig gepennt,
wie auf ner Achterbahn im Dauerflug.

 
Na gut, wenn das autobiografisch ist, dann wäre Max der erste passabel aussehende Singer Songwriter, der mit Anfang Zwanzig kein Mädchen in sein Bett singt. Vielleicht ist es aber auch eher eine emotionale Einsamkeit, die nach jeder schnellen Nummer nur die Leere vergrößerte, die sein Leben beherrschte. Auf jeden Fall hat man einen garantierten Mitleidsbonus, wenn man so etwas dunkeläugig und unrasiert ins Mikrofon nuschelt. Ob die Verwendung von „Dauerflug“ der Versuch ist, mit einer Assonanz (Klangähnlichkeit, Halbreim) einen Funken Reim auf „gesucht“ zu kreieren, bleibt Spekulation.
So weit gekommen und so viel gesehen,
so viel passiert, das wir nicht verstehen,
ich weiß es nicht, doch ich frag' es mich schon,
wie hast du mich gefunden?
Einer von 80 Millionen.

Das hier ist so etwas wie der Chorus, der auf der alles entscheidenden letzten Zeile endet. Im Lied gibt es dann noch viel Lautmalerisches, was sich ungefähr mit „de, de, dup, oh“ wiedergeben ließe, sich damit zwar der Textkritik entzieht, den Song aber mitsingsicher gestaltet.

Jetzt aber zur titelgebenden Kernaussage des Textes: Einer von 80 Millionen. Gehen wir davon aus, dass eine mögliche Partnerin von Max wahrscheinlich heterosexuell ist (also nur auf der Suche nach einem männlichen Partner) und sie sich für Männer zwischen 20 und 50 Jahren interessiert, dann stehen statistisch gesehen 16.000.000 Männer zur Verfügung, von denen wiederum (erneut reine Statistik) 7,4%, also rund 1,2 Millionen, schwul sind. Bleiben 14,8 Millionen (verheiratete und laktoseintolerante Männer inklusive) mögliche Partner übrig.
 
Hier war das Ufer unserer Begegnung,
du warst schon draußen und kamst nochmal zurück.
Du sagtest "Hi!" und mir fehlten die Worte,
war alles anders mit einem Augenblick.

Das mit dem Ufer der Begegnung ist eine Geschmacks-bzw. Stilfrage, entweder ich bin poetisch unterwegs oder aber ich jongliere mit Alltagssprache. Letzteres scheint mir hier eher zuzutreffen, weswegen der poetische Ausflug irgendwie wie ein Fremdkörper wirkt. Trotzdem geht die Strophe in Ordnung und überrascht mit einem astreinen Reim.
Ich war nie gut in Wahrscheinlichkeitsrechnung,
aber das hier hab sogar ich kapiert.
Die Chance, dass wir beide uns treffen,
ging gegen Null und doch stehen wir jetzt hier.

Wenn man nicht weiß, wie man ein Auto repariert, geht man zu einer Werkstatt, im Fall der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu Peter Backus, einem Mathematik-Dozenten der Warwick University in England. Der soll ausgerechnet haben, dass die Wahrscheinlichkeit für Max und Miss Perfekt, sich dort am Ufer der Begegnung zu treffen, bei 1 zu 285.000 lag. Das ist nicht Null aber gegen Null. Daumen hoch.

So weit gekommen und so viel gesehen,
so viel passiert, dass wir nicht verstehen,
ich weiß es nicht, doch ich frag' es mich schon,
wie hast du mich gefunden?
Einer von 14,8 Millionen.

Nein, nur Spaß! Er singt natürlich: „Einer von 80 Million'.“ Uns droht noch ein C-Part und der wird heutzutage meist stiefmütterlich behandelt.

Wenn wir uns begegnen, dann leuchten wir auf wie Kometen.
Wenn wir uns begegnen, dann leuchten wir auf wie Kometen.

Nach Mathe kommt Astronomie. Schnell nachgeschlagen erfahren wir, dass Kometen oder Schweifsterne in Sonnennähe eine durch Ausgasen erzeugte Koma und meist auch einen leuchtenden Schweif entwickeln. Jetzt könnte man monieren, dass bei zwei Kometen, die sich begegnen, nichts aufleuchtet, aber gegen so schöne Worte kommt man einfach nicht an.

Fazit: Pop erwärmt nicht nur die Herzen. Bei genauer Betrachtung und näherer Beschäftigung mit einem Text wie diesem, lernt man ein ganze Menge.