Bisher habe
ich mich relativ lustvoll an schlechten Texten abgearbeitet oder auch
sprödes Lob verteilt. Beim hier vorliegenden Text ist die Sache
nicht so einfach. Handwerklich gibt er nicht viel her, aber die Band
kann, wenn man das Œuvre betrachtet, durchaus
auch sauber reimen und poetisch sein. Im vorliegenden Fall findet man
davon wenig, aber vielleicht ist das Manko ja Programm.
Das Gesamtpaket Tocotronic ist für
mich leider immer ein Abturner gewesen. Zu sehr wurde das Bild vom
leicht anämischen Intellektuellen strapaziert, der reflexartig
dementierte, wollte man bei ihm eine Haltung verorten. Ihre Vorliebe
für schief geschrammelte Gitarren tat ein Übriges. Auch wenn die
Band seit einiger Zeit aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, so
wirkt und webt sie auch heute noch.
Mitte der 90er Jahre spülte eine
weitere Neue-Deutsche-Welle, die den Stempel Hamburger Schule bekam
(ein Grund, sofort zu dementieren), die Band an die Spitze der
Charts. Erheiternd und
konsequent zugleich, dass die Band 1996 einen ihr zugedachten Comet
in der Kategorie „Jung,
deutsch
und auf dem Weg nach oben“ ablehnte. Der Titel des damals aktuellen
Albums lautete schließlich nicht „Wir kommen, um abzusahnen“
sondern „Wir kommen, um uns zu beschweren“. Dafür gilt es,
Respekt zu zollen.
Bei
all den sehr bemühten Anstrengungen, weder bemüht noch angestrengt
zu wirken,
ist es den
Textern (die Band komponiert
und schreibt
im Kollektiv, wobei Sänger
Dirk von Lowtzow federführend sein dürfte)
gelungen, einige überstrapazierte
Themen neu zu interpretieren. Der dabei angewendete Kunstgriff ist so
einfach wie wirkungsvoll: Man dreht das Klischee auf links, krempelt
das Innere nach außen, bürstet es gegen den Strich. Schauen
wir uns „Kapitulation“
genauer an:
Und wenn du kurz davor bist
Kurz vor dem Fall
Und wenn du denkst
"Fuck it all!"
Und wenn du nicht weißt
Wie soll es weitergehen:
Kapitulation
Ziemlich unspektakulär eigentlich. Die
Versatzstücke sind abgegriffen und austauschbar: Keine Ahnung wie es
weiter gehen soll, Niemand ist da, der einen versteht, man ist
traurig und allein (siehe weitere Strophen). Normalerweise müsste im
Refrain eine Durchhalteparole kommen. So etwas wie: Nach Regen kommt
die Sonne, Zeit heilt alle Wunden, es kann und wird nur besser
werden. Die Toten Hosen haben es mit „Steh auf, wenn du am Boden
bist“ vorgemacht (ein Song der geradezu danach schreit, hier
besprochen zu werden).
Aber es kommt das Wort „Kapitulation“.
Ein Grund zum Hinhören und Nachdenken. Für mich steckt da ziemlich
viel drin. Wir stemmen uns stetig gegen die Widrigkeiten des Alltags,
kämpfen um Glück und Erfolg und wenn es mal nicht so gut läuft,
dann ist das ein Grund die Anstrengungen zu verdoppeln. Oder man
kapituliert. Das Wort ist negativ besetzt. Es klingt nach verlieren,
nach versagen. Aber man kann es auch als Chance begreifen. Eine
Möglichkeit, sich unbeschadet zurück zu ziehen, nicht alle Truppen
in einen hoffnungslosen Kampf schicken, sich neu sortieren, sich frei
machen, von den Erwartungen Anderer.
Und wenn du denkst
"Alles ist zum speien!"
Und so wie du jetzt bist
Willst du überhaupt nicht sein
Wenn du dir sicher bist
Niemand kann dich je verstehen:
Kapitulation
Inhaltlich finden wir nichts Neues, das
wird auch bis zum Ende so bleiben. Pulver verschossen. Jetzt gilt es,
das Bild mit Farben auszumalen.
Nett, wie die norddeutschen Musiker den
süddeutsch verbreiteten Ausdruck „speien“ verwenden. und darauf
die Zeile „so willst du nicht sein“ reimen. Erheiternd.
Auffällig, dass sich die jeweils
letzten Zeilen der drei Strophen reimen. Für einen Song ist das zu
weit auseinander, das Ohr erinnert sich dann nicht mehr. Aber das
Auge nimmt so etwas als wohltuend strukturell wahr (nennt man
übrigens Schweifreim). Ich glaube, dies lässt Rückschlüsse auf
die Arbeitsweise zu.
Und wenn du traurig bist
Und einsam und allein
Wenn die Welt im Schlaf versunken
ist
Du wirst es nie bereuen.
Wenn du denkst, "fuck it all
wie soll es weitergehen?":
Kapitulation
Ein Lyriker hätte sich diese Zeilen
geklemmt. Aber Pop braucht Strophen. Wie gesagt: Inhaltlich kommt
nichts Neues und so zentral „fuck it all“ auch in der Hamburger
Schule verankert sein mag – das hatten wir schon.
Die Vögel im Baum
sie kapitulieren
Die Füchse im Bau
sie kapitulieren
Die Wölfe im Gehege
sie kapitulieren
Die Stars in der Manege
sie kapitulieren
Ich habe keine Ahnung wie die Tiere und
die Stars in der Manege in den Text gekommen sind. Entweder die
Texter haben sich treiben lassen oder es dient der Ironisierung.
Vielleicht war es auch die Reihe Baum, Bau, Gehege, Manege, die es
ihnen angetan hat.
Dabei ist der Reim von Manege auf
Gehege natürlich kein Reim, auch wenn jede Reimmaschine im Internet
ihn ausspucken würde. Der oberste Richter beim Reim ist nun einmal
das Ohr und nicht das Auge. Berühmt ist das Beispiel von Goethe, der
einmal „Ach, neige / du Schmerzenreiche“ reimte, was in seiner
thüringischen Wahlheimat einen perfekten Reim ergab.
Alle, die die Liebe suchen
sie müssen kapitulieren
Alle, die die Liebe finden
sie müssen kapitulieren
An der Stelle muss jeder für sich
entscheiden, wie er die oben genannten Gedanken zum Thema
Kapitulation an sich heran lassen will. Wir alle wollen lieben und
geliebt werden. Kann es dabei Sieger und Verlierer geben? Oder sind
Kapitulierer die Besserliebenden?
Alle, die disziplinieren
sie müssen kapitulieren
Alle, die uns kontrollieren
sie müssen kapitulieren
Alle, die uns deprimieren
sie müssen kapitulieren
Lasst uns an alle appellieren
Wir müssen kapitulieren
Kapitulation
Na ja, da schlägt das Hamburger
Schanzenviertel durch. Für viele Leute bedeutet links zu sein, die
Faust nach oben zu recken und kräftig zu schütteln, aber die, die
uns deprimieren, werden ja hoffentlich nicht Tocotronic selber sein.
Fazit: Tocotronic schreiben Texte, die
sich schlau geben, es machmal sogar sind. Was davon bei
„Kapitulation“ zutrifft, mag jeder selber entscheiden.
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