Donnerstag, 29. Mai 2014

Olaf Malolepski „Ich mach's wie die Sonnenuhr“


Olaf wer? Als die Flippers 2009 bekanntgaben, dass ihre nächste Tournee die letzte sein würde, ging ein hörbares Aufatmen durch das Land. Der ganze Spuk dauerte noch bis 2011, in der Sendung „Das Frühlingsfest der Volksmusik“ wurde die Band dann am 9. April durch Alfred Biolek mit einer Laudatio verabschiedet. Ende im Gelände? Leider nein, denn Olaf Malolepski, einer der drei Herren mit den quietschbunten Sakkos, hatte noch nicht genug. Im selben Jahr erschien sein erstes Soloalbum, was darauf schließen lässt, dass er nie vorhatte aufzuhören. Auch wenn es einem in den Fingern juckt, sich über Olaf der Flipper (!) hier auszulassen, ihn in der Luft zu zerreißen, seine Musik zu verhöhnen und die billigen Produktionen samt Plastikkeyboardsounds und Drumcomputern aus den Achzigern zu geißeln, darf man doch leider nicht vergessen, dass Olaf nur ein Interpret ist. Er schreibt seine Texte nicht, er komponiert nicht, er trällert nur und das zur Freude von Hunderttausenden, die seine Platten reflexartig kaufen, so wie sie es schon taten, als er noch bei den Flippers in die Kamera grinste.
Ich wollte schon immer einen Schlager besprechen, dass es nun die Texterin von Herrn Malolepski trifft, verdankt sie dem Umstand, dass ihr Klient neulich in einer Talkshow saß, in welcher ein Ausschnitt des Titeltracks seiner aktuellen Langrille gespielt wurde.

Allein schon der Titel „Ich mach's wie die Sonnenuhr“ lädt zum träumen ein, denn was macht so eine Sonnenuhr? Sie wirft Schatten. Und wer würde nicht gern einen langen Schatten werfen, anstatt im selbigen eines Anderen zu stehen. Aber schauen wir mal, was die Profitexterin daraus macht.

Uns stehen alle Wege offen,
wir haben hundert Jahre Zeit
aus diesem Leben was zu machen,
ja, das klingt wie eine Ewigkeit.

Ja, das klingt vor allem wie ausgemachter Blödsinn, denn wer die Statistiken kennt weiß, dass nur die wenigsten von uns 100 Jahre haben werden und die, die so alt werden, verbringen die letzten Jahre auch nicht immer walzertanzend auf einer Terrasse am Mittelmeer. Allerdings soll Schlager in aller erste Linie Trost spenden und Lebenshilfe sein, also gehört Übertreibung des Guten zum Programm.

Wir klettern über hohe Berge
und schwimmen durch so manches Tal,
mit meinem Kompass in der Hand
gelingt mir das auf jeden Fall.

So klappern die Klischees und mir ist natürlich klar, dass Berg und Tal hier die Hindernisse und Tiefen im Leben sind, dass man eine Einstellung im Leben haben kann, die einem hilft, mit allem fertig zu werden. Trotzdem muss man sauber mit den Bildern arbeiten, die man verwendet. In meinem Kopfkino klettern nämlich jetzt hundertjährige Rentner mit Krücken über hohe Berge und sind dazu verdammt, nie ans Ziel zu kommen, denn kaum hat man einen Berg hinter sich gelassen, ragt der nächste vor einem auf. Viel schlimmer jedoch wird es in Zeile zwei, denn wie bitte schwimmt man durch ein Tal? Man kann durch einen Fluss schwimmen oder durch einen See, manche von denen soll es sogar in Tälern geben, aber durch ein Tal wandert man, basta. Olaf ist inzwischen 68 Jahre alt, deshalb nehmen wir ihm mal ab, dass er nicht mit GPS sondern noch althergebracht mit Kompass wandert, von dem die Texterin ganz besessen ist, wie wir noch sehen werden.

Ich mach's wie die Sonnenuhr
und seh die schönen Stunden nur
die der Tag mir verspricht
mit einem Lächeln im Gesicht

Aha. Klar, Schatten wäre ja auch zu negativ. Die Sonnenuhr sieht die schönen Stunden nur. Das leuchtet ein. In diesen vier Zeilen hat man das Lebensgefühl Schlager in konzentrierter Form: Wenn man die Worte Sonne, schöne Stunden, Tag, Versprechen, Lächeln in eine Reihe stellt kann nur eines dabei herauskommen: Gute Laune.
Ich gehe davon aus, dass diese ersten zwei Zeilen den ganzen Text in Gang gesetzt haben. Der lyrische Grundeinfall des Textes wenn man so will.

Ich mach's wie die Sonnenuhr,
dann wird das Leben Abenteuer pur,
Leinen los, Fahrt voraus,
so machen wir das Beste draus.

Auch so ein Gesetz im Schlager: Refrain bis der Arzt kommt. Also wird er gleich noch einmal wiederholt und von der Texterin ambitioniert variiert. Absolut rätselhaft ist mir jedoch, wie aus der Tatsache, dass man nur die schönen Dinge im Leben an sich heran lässt, ein Leben voller Abenteuer erwächst? Am Mangel an Reimmöglichkeiten auf Uhr kann es nicht gelegen haben, denn es gäbe da zum Beispiel noch das wunderbar positive Wort Dur. Ich vermute, dass der Kompass seinen Tribut forderte, deshalb auch Leinen los und freie Fahrt voraus, Seemannslieder haben gerade Hochkonjunktur und der Produzent fand es sicher auch ganz toll so.

Ich stehe nicht auf kluge Sprüche:
tu blos nicht dies und auch nicht das“,
zu jedem Weg gehören Fehler,
verrückte Träume machen Spaß.

Wir erinnern uns an den Kern der Textidee: Ich sehe nur das Schöne im Leben, wie die Sonnenuhr nur die schönen Stunden anzeigt. Was dabei herauskommt, wenn man eigentlich keinen Bock hat, sich mit dieser Simpelbotschaft weiter auseinanderzusetzen, zeigt diese Strophe. Erst werden Leute zitiert, die uns gar nicht interessieren, dies und das wird nicht weiter ausgeführt und dann auch noch behauptet, dass verrückte Träume Spaß machen. Erzähl mir das mal einer, wenn ich wieder mal schweißgebadet aus meinem immer wieder kehrenden Albtraum aufwache, in dem ich die Bühne vor dem Auftritt nicht finde.

Wir können siegen und verlieren
so ist's für alle vorgeseh'n
mit meinem Kompass in der Hand
werde ich nicht untergeh'n

Sie können singen und verdienen, so ist's für Olaf vorgeseh'n. Und alle klopfen sich auf die Schenkel, wenn banale Sätze wie diese sich in goldene Schallplatten verwandeln. Der Kompass hat noch einmal einen großen Auftritt. Wie zum Teufel aber hilft der einem beim Schwimmen, wo man doch dazu tunlichst beide Hände benutzen sollte? Ich hoffe er ist nicht zu schwer, sonst zieht er Olaf wohlmöglich noch in die Tiefe.

Stehen auch die Zeiger nicht still,
das ist mein Lebensgefühl,
noch einen Schritt weiter bis an's Ziel.

Zeiger? Seit wann haben Sonnenuhren Zeiger? Klar, ich hab auch verstanden, dass es um die voranschreitende Zeit geht, aber sollte man in einem Text mit Sonnenuhr nicht etwas wählerischer sein in der Wahl der Bilder? Und weil ich schon so viele Fragen auf den Lippen hatte, hier gleich noch eine: Welches Ziel? Die nächste goldene Schalplatte, das Ende dieses Liedes, die Schlagerrente, die hundert Jahre voll machen und endlich abtreten?

Fazit: Schlagertexte zu besprechen ist nicht halb so lustig, wie ich es mir vorgestellt habe.

Freitag, 23. Mai 2014

Rammstein „Sehnsucht“


Ich bin nicht der größte Rammsteinfan den die Welt je gesehen hat, aber ich hege große Bewunderung und Respekt für die Band, die sich einst aus der Asche von Feeling B erhob. Ich hatte das Glück, sie erstmals 1995 als Vorgruppe von Sandow im Potsdamer Lindenpark erleben zu können. Damals versuchte sich Till noch an Ansagen. Dies war die einzige Schwäche einer Band, die wie eine Naturgewalt den vermeintlichen Hauptakt von der Bühne fegte. Ihr Debüt „Herzeleid“ tat sich am Anfang schwer, die Band war ein Geheimtip und wurde in Deutschland zunächst wenig beachtet. Als sie in Holland auf dem Index landeten, schwappte eine Medienwelle zurück nach Deutschland und es ging Berg auf. Mit dem zweiten Album „Sehnsucht“ und der Single „Engel“ wurden sie nicht nur zu Superstars, sondern auch zur meistdiskutierten Band Deutschlands. Das ganze Gedöns um die Neue Deutsche Härte und ihr Spiel mit Rechtsextremismus (lange her) soll hier außen vor bleiben.
Mit dem Titel „Sehnsucht“ verbindet mich eine ganz persönliche Anekdote. Ich war 1997 in eigener Sache unterwegs, denn es war gerade unser Album „Bannkreis“ erschienen. Ich unterhielt mich mit einer sehr bekannten Promoterin über den Titel und sie erzählte mir, dass sie den Titel sehr mochte, weil er von Fernweh handeln würde und auch sie würde sich schon auf den nächsten Urlaub freuen.
Alle, die auch dieser Meinung sind, sollten an dieser Stelle aufhören zu lesen, es könnte sein, dass die folgende Lektüre sonst als verstörendes Erlebnis enden wird.

Die Texte, die Till Lindemann für Rammstein schreibt, bilden ein kleines, eigenes Universum. Ich bin oft gefragt worden, ob ich nicht diesen oder jenen Text der erfolgsverwöhnten Berliner Band interpretieren würde. Ich habe mich lange davor gedrückt und tue mich auch hier schwer mit der Aufgabe. Ich werde erklären warum: Till Lindemann ist ein sehr interessanter Texter. Er arbeitet gern mit sauberen Reimen und zackigem Metrum. Außerdem hat er ein Ohr für Wortspiele und wie jeder echte Ossi auch ein Herz für Poesie. Till ist Baujahr 1963 und dürfte in seiner Jugend ungefähr das gleiche Zeug wie alle anderen seiner Genration in der DDR gehört haben: metaphernreiche Texte.
Der Stil, der sich bei ihm entwickelt hat, geht in vielen Fällen über die bloße Metapher hinaus. Er schreibt teilweise in Chiffren. Metaphern sind Bedeutungsübertragungen. In den meisten Fällen erklären sie sich von selber oder greifen auf allgemeine kulturelle Bezüge zurück, die man schnell entschlüsseln kann. Wenn man den Mond als angebissenes Stück Käse in der Himmelsfalle beschreiben würde, dann wäre das eine astreine Metapher. Chiffren sind weit komplizierter. Es sind verschlüsselte Inhalte, deren Interpretation nur gelingt, wenn der Autor einem den entsprechenden Schlüssel in die Hand gibt. Im Fall von Till Lindemann, der notorisch schweigsam ist, gibt es sehr wenige Schlüssel. Außerdem ist er so unfair, bestimmte Worte in unterschiedliche Chiffren zu verwandeln. So kann eine Träne eben noch ein Ausdruck für Leid sein, im nächsten Augenblick ist es Sperma oder, wie wir weiter unten sehen werden, möglicherweise etwas ganz anderes.
Dies hat dazu beigetragen, dass es im Netz ein nahezu unglaubliche Menge von Spekulationen, Interpretationen und Blödsinn zum Thema Bedeutungen von Rammsteintexten gibt. Mit meiner Besprechung von „Sehnsucht“ werde ich diesem Wust nur einen kleinen Partikel hinzufügen können, allerdings ist es nur mein Versuch, mich einigen Chiffren in diesem speziellen Text zu nähern und solange Till weiter schweigt, halten wir uns wie echte Germanisten eben an den Text.

Da ich im Besitz des original Booklets bin, kann jeder davon ausgehen, dass ich hier buchstabengetreu den Text wiedergebe. Im Netz finden sich einige fehlerhafte Varianten. Wie ich zeigen werde, können einzelne Buchstaben sehr wichtig sein.

Lass mich deine Träne reiten
übers Kinn nach Afrika
wieder in den Schoß der Löwin
wo ich einst zuhause war
zwischen deine langen Beine
such den Schnee vom letzten Jahr
doch es ist kein Schnee mehr da

So steht es im Booklet. Wichtig: „Träne“ nicht „Tränen“ und „zwischen deine langen Beine“ und nicht „zwischen deinen langen Beinen“.
Mein Interpretationsansatz ist nicht Fernweh sondern Sex. Und zwar nicht Blümchensex sondern knallharter Sex, der trotzdem keine Erfüllung bringt. Die Chiffren im ersten Block sind Träne, Kinn, Afrika, Schoß der Löwin. Ich gehe davon aus, dass es sich hier um verschlüsselte anatomische Angaben handelt. Die Reise geht über mehrere Stationen und das lyrische Ich berichtet, wohin es gelangt: „zwischen deine langen Beine“. Der Schoß der Löwin wäre demnach die weibliche Schamgegend. Afrika wäre ein südliche Region, die damit korrespondiert. Die Träne bereitet mir Kopfzerbrechen. Eine zeitlang dachte ich es könnte sich auf Grund der Form dabei um die Klitoris handeln. Immerhin steht die Träne in der Einzahl und „deine Träne reiten“ wäre dann selbsterklärend. Aber warum übers Kinn? Vielleicht beginnt der Geschlechtsakt ja oral. Wie gesagt: Chiffren brauchen Schlüssel und ich habe hier keinen parat.
Wenn wir uns Satzzeichen hinzudenken würden, ginge das ganze Satzkonstrukt erst einmal bis einschließlich Zeile 5, dann könnte man ein „Ich“ einfügen (das hat der Texter wegrationalisiert, weil er im Metrum bleiben wollte) und neu ansetzen.
„Ich such den Schnee...“ Hier also die nächste Chiffre. Schnee steht im allgemeinen für das Rauschmittel Kokain. Es ist ziemlich naheliegend, dies auch als Interpretation anzuwenden. Kokain ist eine Droge, die mit Sex kombiniert sehr stimulierend sein soll. Das lyrische Ich im vorliegenden Text jedoch kommt so oder so nicht zum ersehnten Rauschzustand. Es wäre aber auch möglich, hinter der Chiffre Schnee Sperma zu vermuten. Vielleicht hat das lyrische Ich nicht zum ersten Mal Sex mit der Person, in diesem Fall sollte man sehr froh sein, wenn man keinen Schnee vorfindet.

Lass mich deine Träne reiten
über Wolken ohne Glück
der große Vogel schiebt den Kopf
sanft in sein Versteck zurück
zwischen deine langen Beine
such den Sand vom letzten Jahr
doch es ist kein Sand mehr da

Till Lindemann liebt es von Zeit zu Zeit mechanisch vorzugehen. Das gesamte textliche Konstrukt wiederholt sich, Zeile 1 und 5 sind identisch, in den letzen beiden Zeilen wird wieder gesucht und nicht gefunden. Im Zusammenhang mit der zu reitenden Träne verwandeln sich „Wolken ohne Glück“ auch wieder in eine Chiffre, für die ich keine schlüssige Interpretation habe. Das Gefühl, welches diese Zeile jedoch erzeugt ist klar: Die Erfüllung, das Happy End, bleibt dem lyrischen Ich versagt. Dafür macht es uns der Texter mit dem „großen Vogel“ recht einfach, auch wenn die Gleichsetzung des männlichen Gliedes, das in eine Vagina eindringt, mit dem Kopf eines Vogels (Strauß = langer nackter Hals und Kopf?) wenig schmeichelhaft ist. Dafür ist der Sand wiederum noch verwirrender als der Schnee aber er korrespondiert mit Afrika, welches man sich klischeehaft als trockenes Land vorstellt.

Sehnsucht versteckt
sich wie ein Insekt
im Schlafe merkst du nicht
dass es dich sticht

Recht spät startet der Refrain des Liedes, diesmal nicht mit einer Chiffre sondern mit einem Gleichnis und zwar mit einem etwas holprigem. Abstrakte Begriffe mit konkreten Begriffen zu vergleichen, kann leicht in die Hose gehen. Sehnsucht ist ein Gefühl. Wie soll es sich bitte unter einem Stein oder in einer Baumritze verstecken? Aber da Insekten immer auf der Seite des Teufels stehen und der Reim so schön knallt, geht das schon in Ordnung. So sticht denn die Insekt gewordene Sehnsucht das lyrische Ich im Schlafe und was ist das für eine Sehnsucht? Die Sehnsucht nach Analverkehr! Denn:

Glücklich werd ich nirgendwo
der Finger rutscht nach Mexiko
doch er versinkt im Ozean
Sehnsucht ist so grausam
Sehnsucht

Spätestens seit Mickie Krauses „Finger im Po, Mexiko“ wissen wir wo Mexiko auf der anatomischen Landkarte liegt. Der Finger hat dort eine wichtige Rolle beim Vorspiel, der Rest ist Schweigen. Leider beschert uns dieser Interpretationsansatz die nächste Chiffre, denn in welchem Ozean versinkt der Finger? Nun, ich glaube ich war schon deutlich genug, deshalb überlasse ich dieses Rätsel dem geneigten und inzwischen sensibilisierten Leser.

Fazit: Keiner singt so gekonnt über sexuelle Praktiken außerhalb der Norm wie Till Lindemann. Möglich jedoch, dass das alles nur ein Missverständnis ist, denn auch Rockstars machen gern mal Urlaub an weißen Stränden.

Montag, 12. Mai 2014

Blumfeld „Wellen Der Liebe“




Als ich letzte Woche in den Niederungen der Hamburger Schule recherchierte, stolperte ich über den hier annoncierten Text. „Wellen der Liebe“ stammt vom 2001 erschienenen Album „Testament der Angst“. Rufen wir uns zunächst ins Gedächtnis, dass sich die Hamburger Schule vor allem durch deutschsprachige Texte auszeichnet, „denen oft ein hoher intellektueller Anspruch zugemessen wird und die umfangreich mit Gesellschaftskritik, linkspolitischer Einstellung und postmodernen Theorien verbunden sind.“ (Quelle Wikipedia) Die Band Blumfeld ist dabei nicht irgendeine Kapelle, sondern zählt neben Tocotronic und Die Sterne zur Speerspitze. Kann man einem so hohen Anspruch, wie er oben formuliert ist, durchgängig gerecht werden?

Das soll ich sein
Ich schlag ins Wort ein

Nach diese ersten zwei Zeilen muss man erst einmal die Stoptaste drücken. Ich habe nächtelang über diesen Worten gebrütet und bin zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Also nähern wir uns dem Inhalt ganz methodisch: Der Text ist aus der Ich-Perspektive geschrieben. Das lyrische Ich fragt also „Das soll ich sein?“, ganz so als würden Hinz und Kunz morgens vor dem Spiegel stehen. Was würden Hinz und Kunz dann sagen? „Alter siehst du heut wieder Scheiße aus!“ Der intellektuell geschulte norddeutsche Musiker hält sich mit solcherlei Banalitäten nicht auf und kontert: „Ich schlage in das Wort ein“.
Zur Wortbedeutung von „einschlagen“ fallen mir zwei Varianten ein: 1. Durch Schlagen etwas zertrümmern, 2. per Handschlag einen Handel besiegeln.
Ich lehne mich mal aus dem Fenster und lege mich auf die erste Wortbedeutung fest. Außerdem nehme ich an, dass das Wort, welches eingeschlagen werden soll, das Wort „Ich“ ist. Das Ich zertrümmert das Ich. Und zwar nicht im wörtlichen Sinn, denn es werden keine Spiegel zerschlagen oder Köpfe an die Wand gehauen bis sie bluten. Nein, es muss sich um ein postmodernes Zertrümmern des Ich-Begriffes in einer vollkommen entfremdeten Welt, die von Dekadenz und des Nihilismus geprägt ist, handeln. Alles klar? Nein? Mir auch nicht.

Alles spricht gegen mich
Doch so war es immer
Das soll für dich sein
Ich will dir nah sein
Ich weiß, ich bin nicht gut genug
Doch bitte bleib bei mir
Ohne dich ist das Leben nur kalt und leer
Ohne dich nimm Deine Liebe nicht von mir

Moment mal, ist das aus dem gleichen Lied? Na gut, der Song trägt den Titel „Wellen der Liebe“, die Richtung war also schon mal vorgegeben. Geht es nur mir so, oder könnte das auch aus einem Schlager sein? Meine Damen und Herren, es ist 2001 und hier ist Bernhard Brink mit seinem neuen Titel „Nimm deine Liebe nicht von mir“!
Blumfeld sind Experten für Lieder über Beziehungen und Liebe. Natürlich darf und muss man über Liebe singen, aber wenn man am Anfang des Textes einen stählernen Nagel in die Wand schlägt nur um daran einen fadenscheinigen Mantel aufzuhängen, fühle ich mich verschaukelt.

Wellen der Liebe
In guten wie in schlechten Zeiten
Will ich dich lieben und mit dir leben Tag für Tag
Manchmal kann ich dich nicht ausstehen
Manchmal ist es mir zuviel
Doch nichts ist stärker als die Liebe, die ich fühl

Wäre da nicht dieser leicht derangierte, studentische Unterton in der Zeile: „Manchmal kann ich dich nicht ausstehen“, dieser Hauch von Realität, man würde am Zucker glatt ersticken.

Das soll ich sein
Ich schlag ins Wort ein
Zeichen und Fleisch zugleich
Und nur noch wenig Welt vor mir

Für alle die zu spät eingeschaltet haben und jetzt denken Nino de Angelo würde hier singen, wird der postmoderne Nagel noch eimal bemüht. Doch damit nicht genug, jetzt wird das Wort auch noch Zeichen und Fleisch. Das Wörter Zeichen sind ist semiotisches Einmaleins. Zeichen deuten auf etwas hin, das Wort „Ich“ deutet auf die Person die es benutzt und woraus sind wir? Aus Fleisch. Das ist so unappetitlich wie es wahrhaftig ist, aber was um alles in der Welt macht das in einem ansonsten rosaroten Popsong über die wahre Liebe?

Das soll für dich sein
Du fängst das Licht ein
Durch dich weiß ich, was Liebe heißt
Auch wenn der Alltag uns stumm macht
Jeder Tag, den wir beide zusammen sind
Jeder Tag mit dir macht meine Liebe neu

Jetzt fassen wir mal zusammen: Dass lyrische Ich scheint schon etwas älter zu sein, denn es hat nur noch wenig Welt vor sich (es sei denn es segelt gerade über den Rand der Welt, aber das scheint mir zu weit hergeholt), es lebt in einer Beziehung mit einer Person, die das Licht einfängt. Allerdings macht der Alltag die Beiden stumm und machmal kann das lyrische Ich den Partner gar nicht ausstehen und es ist ihm alles zu viel. Dann fühlt es sich schuldig und sagt: „Ich bin nicht gut genug, so war es immer aber (siehe weiter unten) ich arbeite an mir und bitte, bitte geh auf keinen Fall weg!“ Wenn man so drüber nachdenkt, kommt man schlecht drauf. Da würde man gern mal was einschlagen und sei es nur ein Wort.

Das soll ich sein
Ich schlag ins Wort ein
Ich weiß, ich bin nicht gut genug
Doch ich arbeite an mir
Das soll für dich sein
Ich will dir nah sein
Alles spricht gegen mich
Doch bitte bleib bei mir

Laber, laber, alles gesagt. Und ganz außer Konkurrenz: Hat jemand einen weiteren Reim als den von „sein“ auf „ein“ und „zuviel“ auf „fühl'“ gefunden? Ich nicht.

Fazit: Man kann eine Reproduktion der Engel von Raffael (ihr wisst schon, diese zwei süßen, knuddeligen, kleinen Putten) hernehmen und große schwarze Tintenklexe draufhauen. Wer es schön findet, bitte. Aber verkauft das nicht als große Kunst, denn über den beiden Figuren ragt noch zwei Meter fünfzig die sixtinische Madonna auf.

Montag, 5. Mai 2014

Tocotronic „Kapitulation“

Bisher habe ich mich relativ lustvoll an schlechten Texten abgearbeitet oder auch sprödes Lob verteilt. Beim hier vorliegenden Text ist die Sache nicht so einfach. Handwerklich gibt er nicht viel her, aber die Band kann, wenn man das Œuvre betrachtet, durchaus auch sauber reimen und poetisch sein. Im vorliegenden Fall findet man davon wenig, aber vielleicht ist das Manko ja Programm.

Das Gesamtpaket Tocotronic ist für mich leider immer ein Abturner gewesen. Zu sehr wurde das Bild vom leicht anämischen Intellektuellen strapaziert, der reflexartig dementierte, wollte man bei ihm eine Haltung verorten. Ihre Vorliebe für schief geschrammelte Gitarren tat ein Übriges. Auch wenn die Band seit einiger Zeit aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, so wirkt und webt sie auch heute noch.
Mitte der 90er Jahre spülte eine weitere Neue-Deutsche-Welle, die den Stempel Hamburger Schule bekam (ein Grund, sofort zu dementieren), die Band an die Spitze der Charts. Erheiternd und konsequent zugleich, dass die Band 1996 einen ihr zugedachten Comet in der Kategorie „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ ablehnte. Der Titel des damals aktuellen Albums lautete schließlich nicht „Wir kommen, um abzusahnen“ sondern „Wir kommen, um uns zu beschweren“. Dafür gilt es, Respekt zu zollen.
Bei all den sehr bemühten Anstrengungen, weder bemüht noch angestrengt zu wirken, ist es den Textern (die Band komponiert und schreibt im Kollektiv, wobei Sänger Dirk von Lowtzow federführend sein dürfte) gelungen, einige überstrapazierte Themen neu zu interpretieren. Der dabei angewendete Kunstgriff ist so einfach wie wirkungsvoll: Man dreht das Klischee auf links, krempelt das Innere nach außen, bürstet es gegen den Strich. Schauen wir uns „Kapitulation“ genauer an:

Und wenn du kurz davor bist
Kurz vor dem Fall
Und wenn du denkst
"Fuck it all!"
Und wenn du nicht weißt
Wie soll es weitergehen:

Kapitulation

Ziemlich unspektakulär eigentlich. Die Versatzstücke sind abgegriffen und austauschbar: Keine Ahnung wie es weiter gehen soll, Niemand ist da, der einen versteht, man ist traurig und allein (siehe weitere Strophen). Normalerweise müsste im Refrain eine Durchhalteparole kommen. So etwas wie: Nach Regen kommt die Sonne, Zeit heilt alle Wunden, es kann und wird nur besser werden. Die Toten Hosen haben es mit „Steh auf, wenn du am Boden bist“ vorgemacht (ein Song der geradezu danach schreit, hier besprochen zu werden).
Aber es kommt das Wort „Kapitulation“. Ein Grund zum Hinhören und Nachdenken. Für mich steckt da ziemlich viel drin. Wir stemmen uns stetig gegen die Widrigkeiten des Alltags, kämpfen um Glück und Erfolg und wenn es mal nicht so gut läuft, dann ist das ein Grund die Anstrengungen zu verdoppeln. Oder man kapituliert. Das Wort ist negativ besetzt. Es klingt nach verlieren, nach versagen. Aber man kann es auch als Chance begreifen. Eine Möglichkeit, sich unbeschadet zurück zu ziehen, nicht alle Truppen in einen hoffnungslosen Kampf schicken, sich neu sortieren, sich frei machen, von den Erwartungen Anderer.

Und wenn du denkst
"Alles ist zum speien!"
Und so wie du jetzt bist
Willst du überhaupt nicht sein
Wenn du dir sicher bist
Niemand kann dich je verstehen:

Kapitulation

Inhaltlich finden wir nichts Neues, das wird auch bis zum Ende so bleiben. Pulver verschossen. Jetzt gilt es, das Bild mit Farben auszumalen.
Nett, wie die norddeutschen Musiker den süddeutsch verbreiteten Ausdruck „speien“ verwenden. und darauf die Zeile „so willst du nicht sein“ reimen. Erheiternd.
Auffällig, dass sich die jeweils letzten Zeilen der drei Strophen reimen. Für einen Song ist das zu weit auseinander, das Ohr erinnert sich dann nicht mehr. Aber das Auge nimmt so etwas als wohltuend strukturell wahr (nennt man übrigens Schweifreim). Ich glaube, dies lässt Rückschlüsse auf die Arbeitsweise zu.

Und wenn du traurig bist
Und einsam und allein
Wenn die Welt im Schlaf versunken ist
Du wirst es nie bereuen.
Wenn du denkst, "fuck it all
wie soll es weitergehen?":

Kapitulation

Ein Lyriker hätte sich diese Zeilen geklemmt. Aber Pop braucht Strophen. Wie gesagt: Inhaltlich kommt nichts Neues und so zentral „fuck it all“ auch in der Hamburger Schule verankert sein mag – das hatten wir schon.

Die Vögel im Baum
sie kapitulieren

Die Füchse im Bau
sie kapitulieren

Die Wölfe im Gehege
sie kapitulieren

Die Stars in der Manege
sie kapitulieren

Ich habe keine Ahnung wie die Tiere und die Stars in der Manege in den Text gekommen sind. Entweder die Texter haben sich treiben lassen oder es dient der Ironisierung. Vielleicht war es auch die Reihe Baum, Bau, Gehege, Manege, die es ihnen angetan hat.
Dabei ist der Reim von Manege auf Gehege natürlich kein Reim, auch wenn jede Reimmaschine im Internet ihn ausspucken würde. Der oberste Richter beim Reim ist nun einmal das Ohr und nicht das Auge. Berühmt ist das Beispiel von Goethe, der einmal „Ach, neige / du Schmerzenreiche“ reimte, was in seiner thüringischen Wahlheimat einen perfekten Reim ergab.

Alle, die die Liebe suchen
sie müssen kapitulieren

Alle, die die Liebe finden
sie müssen kapitulieren

An der Stelle muss jeder für sich entscheiden, wie er die oben genannten Gedanken zum Thema Kapitulation an sich heran lassen will. Wir alle wollen lieben und geliebt werden. Kann es dabei Sieger und Verlierer geben? Oder sind Kapitulierer die Besserliebenden?

Alle, die disziplinieren
sie müssen kapitulieren

Alle, die uns kontrollieren
sie müssen kapitulieren

Alle, die uns deprimieren
sie müssen kapitulieren

Lasst uns an alle appellieren
Wir müssen kapitulieren

Kapitulation

Na ja, da schlägt das Hamburger Schanzenviertel durch. Für viele Leute bedeutet links zu sein, die Faust nach oben zu recken und kräftig zu schütteln, aber die, die uns deprimieren, werden ja hoffentlich nicht Tocotronic selber sein.

Fazit: Tocotronic schreiben Texte, die sich schlau geben, es machmal sogar sind. Was davon bei „Kapitulation“ zutrifft, mag jeder selber entscheiden.