Montag, 20. November 2017

Vanessa Mai „Regenbogen“


„Ein Regenbogen“, so sagte Vanessa Mai, „ist ein ganz wunderbares Zeichen. Ein Symbol für Reinheit und Frische. Für das neue Erleben nach dunkler Zeit. Und er sieht fantastisch aus. Vielleicht, weil er so bunt ist.“ Aha.

Schon das Cover ihres aktuellen Albums „Regenbogen“ wirft Fragen auf, die man nicht beantwortet haben möchte. Warum zum Teufel posiert eine junge Frau, nur mit Nachthemd und Hauspuschen bekleidet, breitbeinig auf einem spiegelblanken Boden sitzend, für ein Schlageralbum? Ich finde das ehrlich gesagt verstörend. Aber ich möchte hier keine neue Rubrik aufmachen, es geht wie immer um einen Text und zwar um die gleichnamige Single dieses zum Erfolg verdammten Silberlings. Vanessa Mai, so konnte man unlängst lesen, habe sich von ihrem Erfolgsproduzenten Dieter Bohlen getrennt, der anscheinend nicht mehr ohne das Attribut „Pop-Titan“ genannt werden darf. Für diesen Titel allerdings ist er sowohl als alleiniger Komponist, als auch als Texter eingetragen – ein Novum in der heutigen Zeit und ich habe den Verdacht, dass da im Hintergrund Leute abgezockt werden, die sich nicht wehren wollen, weil sie sonst keine Aufträge mehr bekommen und lieber ihre Rechte für einen festen Betrag abtreten, anstatt als Urheber eigetragen zu werden, wie es anständige Produzenten veranlassen würden (#spekulation).

Ich kann den Sternenhimmel gar nicht sehen
Weil die Wolken heute endlos sind

Diese zwei simplen ersten Zeilen liefern eine Menge Fakten. Es lohnt sich, diese kurz zu dechiffrieren, damit wir den Rest des Textes richtig einordnen können: Die Tatsache, dass das lyrische Ich den Sternenhimmel nicht sehen kann, weil die Wolken endlos sind, bedeutet nichts anderes, als dass es Nacht ist und eine geschlossene Wolkendecke den Himmel verdeckt.

Und ich wart' auf dich, für jetzt und immer
Können wir uns heute Nacht noch sehen?

Meine Vermutung, dass es Nacht ist, wird explizit bestätigt. Abgesehen davon, dass es meiner Meinung nach „ich wart' auf dich jetzt und für immer“ heißen müsste, scheint das lyrische Ich sehr dringend nach seinem Partner zu verlangen. Ob die Kontaktaufnahme durch Lichtzeichen oder SMS erfolgt bleibt offen.

Denn ich muss mit dir so viel bereden
Und ich weiß ich lieb' dich, jetzt und immer, immer, immer, immer
Jetzt und immer

Es gibt also viel zu bereden. Ein cleverer Schachzug des Texters, denn nun sind wir angefixt und wollen mehr wissen. Liebe für immer geht i.O., ein Schlager ist ein Schlager, ist ein Schlager.

Ein Winzigkeit noch, die man nicht lesen, sondern nur beim gesungenen Vortrag genießen kann: Dank Dieter Bohlens Produzententätigkeit reimt sich ab jetzt „sehen“ auf „bereden“ indem man es wie folgt singt: „können wir uns seh'n, ich muss noch was bere'n?“

Und ein Regenbogen zeigt den Weg
Zwischen Traum und Nacht, wie es weitergeht

Das sind Zeilen, die man sich gerne von Mutti auf ein Kopfkissen sticken lässt. Wenn man mal nicht mehr weiter weiß im Leben, kommt einfach ein Regenbogen zwischen Traum und Nacht daher und zeigt uns wie es weiter geht. Mann stelle sich jetzt die Stimme von Gernot Hassknecht vor und wir lassen diese Zeilen noch einmal mit Fragezeichen Revue passieren: WIE BITTE SOLL EIN SCHEISS REGENBOGEN UNS ZWISCHEN TRAUM UND NACHT IRGENDETWAS ZEIGEN!?
Erste Frage: Wo kommt bei geschlossener Wolkendecke mitten in der Nacht ein Regenbogen her? Zweite Frage: Wie kann es einen Weg geben zwischen einer Folge von Bildern und Vorstellungen, die im Schlaf auftreten, und dem Zeitraum zwischen Morgen und Abend?
Es sind genau diese Zeilen, die solche Texte so verabscheuungswürdig dumm und oberflächlich machen.

Und ich werde immer bei dir sein, für immer
Und ein Regenbogen hält uns fest
Wenn das Glück uns mal alleine lässt
Und ich werde immer bei dir sein, für immer

Klar, dass das hier jetzt nicht besser wird. Jetzt wird der physikalisch unmögliche Regenbogen auch noch mit Armen ausgestattet um die Liebenden festhalten, weil das personifizierte Glück mal eben auf 'nen Sprung an die Tankstelle ist, um Kippen zu holen.

Ist der Mond heut' Nacht auch nicht zu sehen
Aber es ist trotzdem wunderschön
Wenn du bei mir bist, für jetzt und immer
Du gibst mir Wärme und du schenkst mir Zeit
Bist meine Sonne in der Dunkelheit
Und ich weiß ich lieb' dich, jetzt und immer, immer, immer, immer
Jetzt und immer

Bin ich enttäuscht? Ja. Bin ich überrascht? Nein. In der ersten Strophe hatte man mir versprochen, dass es noch so viel zu bereden gibt. Ich hatte nicht auf die Aristotelische Poetik gehofft, aber wenigstens ein „Schatz, ich bin schwanger von meinem Produzenten“ oder „stell dir vor, die Geschichte der Meteorologie muss nach heute Nacht umgeschrieben werden“ wäre doch drin gewesen. Stattdessen bekommen wir weitere Versatzstücke aus dem ausgelutschten Kanon der Klischees serviert. Und das geht so für immer, immer, immer, immer, jetzt und immer

Und ein Regenbogen zeigt den Weg...

Laber Rhabarber, zweiter gnadenloser Refrain.

Lass dich fallen, lass uns leben, über allen Dingen schweben
Lass und lieben, lass uns treiben, an manchen Dingen reiben
Ich will einfach immer nur bei dir sein

Wie so oft bei zügig zusammengeschraubten Schlagworttexten hält man sich sich am C-Part nicht extra lange auf. Die erste Zeile ist ein schönes Beispiel dafür, dass es vollkommen egal ist, was noch im Text steht, egal ob das liebende lyrische Ich in der wolkenverhangenen Nacht dringend reden wollte, egal, dass schon Regenbögen es festhielten und Wärme und Zeit verschenkt wurden – jetzt wird noch gefallen und geschwebt, ja, einfach nur gelebt. Da wirkt die zweite Zeile seltsam übermotiviert, wenn das lyrische Ich nicht nur mit dem Partner treiben, sondern sich auch an etwas reiben will. Ist etwa doch nicht alles heil im Schlagerhimmel, worüber sollte noch mal geredet werden?

Und weil es so schön ist, noch einmal zum Mitlesen der ganze Refrain:

Und ein Regenbogen zeigt den Weg
Zwischen Traum und Nacht, wie es weitergeht
Und ich werde immer bei dir sein, für immer
Und ein Regenbogen hält uns fest
Wenn das Glück uns mal alleine lässt
Und ich werde immer bei dir sein, für immer

Ich will immer nur bei dir sein

Fazit: Ich erwarte von einem Schlagertext keine Ambitionen. Er muss mir nicht die Welt erklären und nicht versuchen, sie zu retten. Das Einzige, das ich erwarte, ist ein Mindestmaß an Stimmigkeit und nicht auf Teufel komm raus mit Schlüsselwörtern zugemüllt zu werden. Mit anderen Worten: Ein Minimum an Hingabe und Handwerk.