Dienstag, 25. Februar 2014

In Extremo "In Extremo"


Wie lange braucht man wohl, um so einen Text zu schreiben? Als ich vor einiger Zeit das leidlich lieblose Bonusmaterial zum Album „Kunstraub“ ansah, staunte ich nicht schlecht. In dem Video wurde der Studioalltag der Band gezeigt, die mit skizzierten Songs und Texten im schönen Münsterland ein Album zusammenbastelten. Das Wort basteln soll hier nicht despektierlich klingen, so kann man durchaus Bedeutendes erschaffen. Während die Einen sich die Musik vorknöpften, saßen Andere am Computer und werkelten an den Texten.
Ich stelle es mir auch sehr schwierig vor, in einer festgelegten Zeit ein Album zu produzieren. Was ist, wenn die Muse mal nicht zu einem ins Bett hüpft oder der Tag auf Grund nächtlicher Ausschweifungen nur in abgedunkelten Räumen zu ertragen ist?

Auf ihrem zweiten regulären Rockalbum „Verehrt und angespien“ befindet sich ein Song, der den Bandnamen als Titel trägt:

In Extremo

Du bist die Sonne, die auf mich scheint
Du bist die Träne, die für mich weint
Du bist der Tropfen, der mich tränkt
Du bist das Feuer, das mich lenkt

In Extremo, In Extremo

Ich bin mir nicht sicher, an wen dieses Lied gerichtet ist. Das literarische Gegenüber, das gedutzt wird, könnte ein Lebenspartner ebenso wie ein Gott sein. Vielleicht ist es aber auch das innere Selbst, welches uns antreibt, die Unruhe die uns verzehrt. Richtig schlau wird man im ganzen Text nicht aus der Sache, denn die Bilder haben irgendwie keinen durchgehenden Bezug. Also doch Gott, der geht immer.
Die zweite Zeile ist ein echter Schenkelklopfer und wenn ich mal ein Buch über Fehler beim Dichten schreibe, kommt das als Paradebeispiel hinein: Wie kann eine Träne weinen? Die Träne ist das Produkt des Weinens, sie kann nicht aktiv weinen, das tut die Tränendrüse für sie.
Auch wenn es nicht leicht vorstellbar ist, dass ein einzelner Tropfen uns tränkt, lassen wir das mal gelten. Noch schwerer fällt es mir allerdings, mir ein Feuer vorzustellen, das mich lenkt. Wir würden wohl immer dorthin ausweichen, wo das Feuer nicht ist. Es sein denn, wir sprechen vom inneren Feuer. Die Deutung bleibt verschwommen.

Du bist der Geist- an mich vererbt
Du bist das Blut, das mich bekehrt
Du spielst die Harfen, die für mich singen
Du stößt die Hörner, die für mich klingen

In Extremo, In Extremo

Aha, ein deutliches Indiz für den göttlichen Deutungsansatz: der Geist wurde vererbt. Geist gleich denkendes Bewusstsein des Menschen, Verstandeskraft, Verstand? Heiliger Geist? Oder reden wir profan von einer Pulle ollen Alkohols? Wohl nicht, denn das gedutzte literarische Gegenüber ist auch das Blut, das das lyrische Ich bekehrt. Welches Blut und zu welcher Religion bleibt offen. Passend zum feierliche Anlass singen die Harfen (herrje) weil es sich so schön auf „klingen“ reimt. Dabei stößt das Du die Hörner, anstatt in sie zu stoßen – das Versmaß kann ein Biest sein.

Du bist der Neid der mich verzehrt
Du bist das Weib das mich begehrt
Du bist die Erde auf der ich steh
Du bist der Weg auf dem ich geh

In Extremo, In Extremo

Ha! Da haben wir es: das Weib! Nach einem kurzen Intermezzo einer Todsünde – der Neid setzte sich im Casting gegen seine sechs Konkurrenten durch – kriegt der Text die Kurve ins Irdische. Es geht doch um Beischlaf und wahrscheinlich um Liebe, denn kann man dem Weibe etwas schöneres sagen, als dass es die Erde wäre, auf der man steht und der Weg auf dem man geht? Man kann.

Alle Zeilen werden im Lied wiederholt, was nur zwei mögliche Schlüsse zulässt: Entweder sind sie enorm wichtig, oder den Textern fiel einfach nix mehr ein so kurz vor Ultimo.

Fazit: Das können die Kollegen viel besser, wie sie später bewiesen haben. Hier war anno 1999 noch extrem viel Luft nach oben.

Montag, 17. Februar 2014

Maxim „Meine Soldaten“


Auch die coolen Jungs haben Liebeskummer wie alle anderen. Und wie alle anderen auch schreiben sie darüber Gedichte oder wenn sie zu Höherem berufen sind Lieder. Und weil das Ganze so abgedroschen und öde ist und es schon tausend andere Leute tränenreich vorgemacht haben, denken sich die coolen Jungs, dass es weniger abgedroschen und öde wäre, wenn sie ein gar martialisches Bild bemühen. So werden in diesem Lied die Gefühle im wahrsten Sinn niedergezwungen und ausgemerzt.

Ich bau eine Mauer und sprenge die Brücken.
Systematisch jeden Gedanken an dich unterdrücken.
Die Fotos verbrennen und die Lieder zensieren.
Komme was wolle, ich darf die Kontrolle nie wieder verlieren.

Schon das zweite Wort wird lässig und ohne Not umgangssprachlich von „baue“ auf „bau“ verkürzt. Warum dann nicht auch „spreng“ statt „sprenge“? Der Texter folgt hier offensichtlich keinem Muster. Die zweite Zeile lässt neben dem Subjekt auch gleich das Hilfsverb vermissen. Das „Ich“ aus der ersten Zeile haben wir als Subjekt anscheinend noch im Sinn denkt sich der Künstler. Ob es aber „Ich muss, möchte, werde, soll, sollte, kann, könnte, systematisch jeden Gedanken an dich unterdrücken“ bedeuten soll, bleibt dem Hörer überlassen. Schön, dass der Dichter hier konsequent ist und in der dritten Zeile den Verzicht auf Subjekt und Hilfsverb etabliert. Warum kompliziert, wenn es auch schlecht geht. Die Strophe endet versöhnlich mit einem schönen Binnenreim und auch das Subjekt hat seinen zweiten Auftritt.

Alles was sich bewegt, lass ich streng überwachen,
Verdächtige Elemente sofort unschädlich machen.
Es reicht ein Zeichen der Schwäche, ein Zittern der Finger.
Ich brauch kühles Blut, denn es tut mir nicht gut, mich an dich zu erinnern.
Es tut mir nicht gut, mich an dich zu erinnern.

Erste und zweite Zeile geht in Ordnung, die Aufzählung ist diesmal grammatisch richtig. Aber warum so weitermachen? „Es reicht ein Zeichen der Schwäche, ein Zittern der Finger.“ Wofür? Um was zu provozieren oder zu tun? Sicherlich, um sofort unschädlich gemacht zu werden. Das kann man aus dem Zusammenhang schließen, aber es steht nicht wirklich da. Da hätte man die Strophe umbauen müssen, das allerdings hätte Arbeit gemacht und der schöne Reim wäre auch in Gefahr. Wobei – Finger/erinnern? Nee, ist ja gar kein Reim, bestenfalls eine Klangverwandtschaft, die man Assonanz nennt. Dafür hat die letzte Zeile aber wieder einen Binnenreim: „kühles Blut, tut mir nicht gut“. Gefällt mir.

Und immer wenn mein Herz nach dir ruft
und das Chaos ausbricht in mir drin,
schicke ich meine Soldaten los,
um den Widerstand niederzuzwingen.

Ja, auch coole Jungs haben ein Herz. Ich belobige Maxim vor der Front, dass er nicht auch noch „Schmerz“ gereimt hat. Dafür bricht aber Chaos aus und zwar in ihm drin. Ich möchte mir das nicht bildlich vorstellen, nehmen wir es als das was es ist: Ein Gleichnis.
Wenn ich mal einen Verein gründe, dann den Verein zum Verbot des Reims von „-in“ auf „-ingen“, den junge Künstler dadurch rechtfertigen, dass sie beim Vortrag zum Beispiel „niederzuzwingn“ nuscheln und denken es reimt sich. Tut es nicht und gehört verboten.

Immer wenn mein Herz nach dir ruft
und es brennt in den Straßen in mir drin,
befehle ich meiner Armee alles zu tun,
um es wieder zum Schweigen zu bringen.
Bis es geknebelt, gebrochen ist und weggesperrt
und mir endlich gehorcht mein armes Herz.

Und um mich jetzt richtig wütend zu machen, haut der Texter gleich noch einmal in die Kerbe und reimt das so gar nicht lyrische „drin“ auf (nuschel, nuschel) „bringn“! Wo ist ein passender Verein der jemanden, der so etwas singt, knebelt, bricht und wegsperrt bis er schweigt?

Ein guter Soldat stellt keine Fragen.
Er läuft Runden im Park, bis die Beine versagen.
Die Stirn in den Staub wie ein Ja und ein Amen.
Ein Soldat vergisst alles,
im Falle des Falles auch den eigenen Namen.

Ich wüsste gern wie viele Bundeswehrsoldaten im Park ihre Runden drehen dürfen, aber gehen wir mal über dieses holprige Bild hinweg. „Die Stirn in den Staub wie ein“ Büßer, ein Geknechteter? Das würde gehen, aber „wie ein Ja und Amen“? Da lockten anscheinend die Jungs am Stammtisch und Maxim musste schnell weg und wollte fertig werden. Überhaupt wirkt die ganze Strophe überflüssig und scheint nur den Song zu füllen.

Doch ich brauch nur einen Verräter, eine undichte Stelle,
einen winzigen Stein für eine gewaltige Welle.
Ein Funken im Zunder und alles steht wieder in Flammen.
Die ganze Fassade klappt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Klappt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Fast hätten wir den Texter abgeschrieben, aber die letzte Strophe beweist, dass da doch Talent ist. Stimmige Bilder, saubere Reime – warum nicht durchgängig so?

Warum gibt es eigentlich keine Institution, die junge Künstler zwingt sich mal auf den Hintern zu setzen, damit sie etwas genauer und ambitionierter an die Arbeit gehen und sich nicht mit jeder Zeile gleich zufrieden geben?

Fazit: Unsauber ausgeführter Text, der sich originell gibt ohne es zu sein.

Kann Maxim aber wurscht sein, es wurde trotzdem ein Hit.

Donnerstag, 6. Februar 2014

Jupiter Jones "Still"


Das ist ein toller Popsong mit einem emotionalen Text. Emotional vor allem deswegen, weil jeder die Situation, die dem Text zu Gunde liegt, zu kennen glaubt. Ich bin mir sicher, dass die Meisten es so interpretieren: Es geht um das Ende einer Beziehung und das beschissene Gefühl danach. Nun bringt eine Recherche im Netz allerdings zu Tage, dass Nicholas Müller, der Sänger und Texter der Band, in dem Lied den Tod seiner Mutter verarbeitet hat. Wir sollten Texte immer als das was sie sind interpretieren. Wir sollten das lyrische Ich im Text niemals mit demjenigen, der den Text geschaffen hat, gleichsetzen. Aber kann man nach so einer Information den Text noch unbefangen interpretieren?

So Still, dass jeder von uns wusste,
das hier ist für immer, für immer und ein Leben
und es war so still, dass jeder von uns ahnte,
hierfür gibts kein Wort, das jemals das Gefühl beschreiben kann.“

Der Texter stellt als erstes fest, dass sich hier nichts reimt. Muss es ja auch nicht. Die Formulierung „für immer und ein Leben“ fand ich zunächst etwas überzogen. Das ist so wie „bis zur Unendlichkeit und noch ein Stückchen weiter“. Aber wenn ich weiß, dass es um den Tod eines geliebten Menschen geht, kann ich es auch anders lesen: Der Tod ist endgültig und für immer, aber es gab davor ein ganzes Leben und das bleibt so lange ich mich daran erinnere.
Es gibt übrigens sehr wohl ein Wort für das Gefühl um das es geht, es heisst Trauer. Wie alle Wörter verweist es allerdings nur auf etwas, in diesem Fall auf etwas Abstraktes, ein Gefühl, und das lässt sich in der Tat nur schwer beschreiben.

So still, dass alle Uhren schwiegen,
ja, die Zeit kam zum erliegen,
so still und so verloren gingst du fort,
so still und so verloren gingst du fort.

Darf man über Kausalität nachdenken, wenn man trauert? Vielleicht nicht. Mal ganz unemotional: „So still, dass alle Uhren schwiegen“? Es war also so still, dass die Uhren nicht mehr gegangen sind? Wenn es bei mir sehr still ist, ticken die Uhren besonders laut. Ich hab sogar mal einen Wecker in das Badezimmer verbannt, weil er einfach zu laut tickte. Mit den Uhren kommt auch die Zeit zum erliegen? Nun, unser Zeitbegriff schließt eigentlich ein, dass sie niemals zum erliegen kommt, auch wenn mal eine Uhr stehen bleibt, was der Zeit ziemlich wurscht ist.

Ich hab so viel gehört und doch kommts niemals bei mir an,
das ist der Grund warum ich Nachts nicht schlafen kann,
wenn ich auch tausend Lieder vom Vermissen schreib,
heisst das noch nicht das ich versteh, warum dieses Gefühl für immer bleibt.

Das lyrische Ich hat schon viel gehört, aber niemals ist etwas angekommen. Ich vermute, dass es umgangssprachlich gemeint ist und das lyrische Ich bestimmte Informationen nicht verarbeitet hat. Ich denke da an gute Ratschläge oder Berichte von Anderen, die Ähnliches erlebt haben. Wir wissen zwar, dass dieses Gefühl nicht für immer bleibt, aber wem nutzt das in so einer Situation?

So laut, die Stunden nach dem Aufschlag als es galt,
das alles zu erfassen und verstehen und es war
so laut, dass alles was wir dachten nichts als Leere zu uns brachte,
so laut und so verloren war es hier,
als Stille bei uns wohnte anstatt dir.

Diese Strophe enthält die beiden Zeilen die mich motiviert haben, den Text zu besprechen: „so laut und so verloren war es hier, als Stille bei uns wohnte anstatt dir“. Ich dachte: Das kann nicht sein. Da ich Schwierigkeiten hatte, der Sache auf den Grund zu gehen, habe ich den Fall Bastian Sick vorgelegt, der dankenswerter Weise Licht ins Dunkel bringen konnte. Ich zitiere:


Die Präpositionen "anstatt", "statt" und "anstelle" erfordern standardsprachlich den Genitiv.

Darum heißt es auch "stattdessen" und nicht "stattdem".

Das gilt für Dinge

"Anstatt des Wollpullovers solltest du lieber zwei zusätzliche T-Shirts einpacken!"

"Ich habe anstelle eines neuen Rezepts lieber ein bewährtes genommen."

genau wie für Personen:

"Anstatt meines Vaters kam ich", anders ausgedrückt: "Anstatt seiner kam ich". (Nicht: "anstatt ihm", "anstatt ihn" oder "anstatt er")

Man erfragt das Objekt also nicht mit "Wem?", auch nicht mit "Wen?", schon gar nicht mit "Wer?" (dann wär's kein Objekt, denn Objekte stehen niemals im Nominativ) - sondern mit: "Wessen?"

Der Genitiv der Personalpronomen lautet

meiner, deiner, seiner/ihrer, unser, euer, ihrer/Ihrer

Berühmtestes Beispiel:

Herr, erbarme dich unser!

So, das war Hochdeutsch. Nun kommt Schlagerdeutsch.

Im Schlager/Deutschpop ist der Genitiv der Personalpronomen heute eher ungewöhnlich und wird von vielen als unpassend empfunden. Statt des Genitivs den Dativ zu verwenden ist allerdings eine unsaubere Lösung, denn das wäre ein Abrutschen in Dialekt/Umgangssprache/Jargon.

"Als Stille bei uns wohnte anstatt dir" tut einem sprachbeflissenen Hörer in den Ohren weh. Trinkfreudigen Halbwüchsigen und tätowierten Motorradfahrern dürfte es hingegen egal sein. Insofern spielt es keine Rolle. Jupiter Jones hat mit "Still" einen Echo gewonnen. Das ist ein großartiger Erfolg. Wer den Echo hat, bedarf des Genitivs nicht mehr. (Ein paar zusätzliche Harmonie-Einfälle würde ich ihnen langfristig allerdings wünschen.)

Aha, das bedeutet also, dass "als Stille bei uns wohnte anstatt deiner" hier korrekt gewesen wäre. Und weiter im Text.
 
So still, obwohl ich dich mit jedem Tag vermiss
und wo immer du auch gerade bist,
du zeigst mir, dass Stille jetzt dein Freund geworden ist.

Die letzte Strophe würde wohl besser funktionieren, wenn es um das Ende einer Liebe gehen würde. Menschen, die sich nichts mehr zu sagen haben, wählen die Stille zum Freund. Das die verstorbene Mutter dem lyrischen Ich zeigt, dass Stille ihr Freund ist, macht sie zum Geist. Das ist nicht so meins.

Fazit: Auf das emotionale Tor geschossen, Treffer, versenkt. Wie im Fußball zählt das Ergebnis, auch wenn hier die Möglichkeit verschenkt wurde, das Ganze etwas eleganter herauszuspielen.

Warum das Video zu diesem sehr erfolgreichen Lied die Steilvorlage der verfügbaren Tiefendimension nicht aufgegriffen hat und sich darauf beschränkt, die Bandmitglieder und ein paar Mädels wahlweise kuschelnd oder einsam in die Gegend starrend zu zeigen, bleibt Geheimnis des zuständigen A&R.