Samstag, 6. April 2019

Mero „Wolke 10“


Deutschland Mitte April 2019. Wie jede Woche klettert ein mir völlig unbekannter Name auf Platz 1 der Albumcharts. Gestern Azet & Zuna, morgen Capital Bra heute Mero. Letzterer fiel mir auf, weil er in unserer an Rekorden so reichen Zeit, einen weiteren beisteuern konnte. Sein Musikvideo zu "Wolke 10" erreichte in den ersten 24 Stunden mehr als 4,47 Millionen Abrufe bei YouTube. Laut den Betreibern der Plattform kann der Rapper damit "das größte deutsche HipHop-Debüt auf YouTube feiern". Während diese Zeilen getippt werden steht der Song bei rund 30 Millionen Aufrufen. Wenn etwas so erfolgreich ist, muss es dann auch gut sein?

An anderer Stelle habe ich bei der Besprechung von Philipp Dittberners „Wolke 4“ geäußert, dass sich in der Liebe niemand mit weniger als Wolke 9 zufrieden geben sollte. Die sprichwörtliche Wolke 7 kommt übrigens wie vieles, was wir umgangssprachliche verwenden, aus der Bibel. In den Apokryphen steht im zweiten Brief des Paulus an die Korinther, dass der Himmel aus verschiedenen Schichten aufgebaut ist und ganz oben, im "siebten Himmel" also, da lebt Gott mit den Engeln. Wenn die Amerikaner verliebt sind, dann schweben sie auf "cloud nine", warum ist nicht genau bekannt, aber who cares, denn bei den Amis ist alles größer, höher und natürlich besser. Es brauchte einen deutschen Rapper türkischer Abstammung aus Rüsselsheim, um diesem Konzept die Wolke 10 hinzuzufügen. Drei Wolken über Gott und seinen Engeln, eine über Donald Trump. Genial. Was genau sich dort abspielen soll, finden wir im Text. Dachte ich.

Baby, komm, wir geh'n
Richtung Wolke zehn
Wo wir sind, kann uns keiner seh'n
Und ich weiß, du stehst
Auf Mero, also komm, wir geh'n
Richtung Wolke zehn
Wo wir sind, kann uns keiner seh'n
Und ich weiß, du stehst
Auf Mero

Was mich sofort anspringt, ist die Nennung des Künstlers durch den Künstler. Mero singt über Mero. Es gibt also keinerlei Distanz, kein lyrisches Ich und auch keinen Raum für Spekulationen. Wir schauen tief in die Seele eines pubertierenden Adoleszenten. Interessant ist, dass er über Mero zunächst in der dritten Person singt. Kunst oder Schizophrenie?
Dieser Mero also will mit Baby auf Wolke 10 „geh'n“. Der Reim auf „Zehn“ war einfach zu verführerisch, um auf die Wolke zu fliegen oder zu schweben. Und weil die Latte einfach nicht hoch genug gelegt werden kann, gibt es noch den Reim auf „seh'n“. Damit wird er die Kumpels seiner Gang sehr beeindruckt haben.
Inhaltlich bleibt es wirr, denn Mero will mit Baby erst noch auf die Wolke, sagt aber, dass da, wo sie gerade sind (nämlich zwischen all den Leuten, wie wir gleich sehen werden), sie keiner seh'n kann. Wie soll das gehen? Egal, wir ahnen was er sagen will, die Liebe braucht keine großen Worte, es genügt Gestammel.

Ich dreh' ein paar Runden
Und seh' eine Schlange, als wären sie Kunden
Ich weiß doch, sie wollen zu mir
Machen Bilder, weil alle sind nur für mich hier
Doch der Mero ist anders, der Typ
Er kennt diese Mädels, weil ich bin berühmt
Ich tausch' keine Nummern und zeig' kein Gefühl
Doch eine von vielen fällt auf, ist so süß
Yeah! Ich geh' hin, was für schäm'n? Und ich frag', wie sie heißt.

Wow. Da sitzt man erst einmal 5 Minuten vor der Tastatur und fragt sich wie man das besprechen soll. Nähern wir uns der Angelegenheit am Besten über den Inhalt. Mero, der als erfolgreicher Instagrammer schon vor „Wolke 10“ die Massen begeisterte, scheint so etwas wie eine Autogrammstunde zu haben. Als ambitionierter Texter, der im Refrain einen geschummelten Dreifachreim hinbekommen hat, will er natürlich nachlegen und reimt „Runden“ auf „Kunden“. Das dabei der Eindruck entsteht, er wäre zufällig irgendwo vorbei gekommen, wo Leute auf ihn warten, ist entweder genial oder hirnrissig. Ich vermute Letzteres. Was ich besonders bezeichnend finde, ist die Tatsache, dass er nach dieser Meisterleistung sukzessive die Lust am Reimen verliert. Reicht es in Zeile drei und vier noch für ein liebloses „hier“ auf „mir“, bleibt uns in fünf und sechs nur noch eine Assonanz, deren Bedeutung Mero erst nachschlagen muss. Danach ist erst mal Essig mit dem Reim.
Interessant ist, dass er dieses Prinzip auch bei den folgenden Strophen beibehält, was bei mir die Frage nach der Arbeitsweise aufwirft. Es scheint, als würde man auf Teufel komm raus nach einem Reim suchen, der eine Strophe initiiert, die man aber im weiteren Prozess der Ausarbeitung jedoch nie handwerklich durchhält.
Seine Fans als Kunden abzutun ist konsequent, denn er will ja ein Produkt vermarkten und das dazugehörige Video, welches hier nicht besprochen werden soll, lässt erahnen wofür die Kohle gebraucht wird.
Mitte der Strophe kippt übrigens die dritte Person des Meros in die erste Person Singular. Treffen wir jetzt auf den echten Mero, den, der zu Gefühlen fähig ist, den, der sich nicht was für schämt, mal zu einem Mädel rüber zu gehen, weil die ist so süß?

Sie ist schüchtern und kommt drauf nicht klar, weil sie weiß
Und ab jetzt ist sie meins, denn ich will mit ihr weg
Ihre Augen zu schön und ihr Körper perfekt, also
Ich rede gar nicht viel und sage, „Komm!“
Und weil ich mit der Gang bin, hat sie zwei Freundinnen mitgenomm'n
Und sie weiß, was ich mag, ich brauche sie nicht zu fragen
Weil ich weiß, sie sagt ja, bin mir sicher und ich sag'

Baby, komm, wir geh'n
Richtung Wolke zehn...

Das waren jetzt 10 Minuten. Vielleicht sollte man den Text einfach mal so wirken lassen. Über weitere Assonanzen brauche ich hier nicht reden. Schön, dass Mero Baby nicht nur auf die Titten sondern auch in die Augen schaut. Ist halt ein ganz Lieber, der Mero.

Wir geh'n erstmal essen
Sie stellt sich so dar, als wär' sie 'ne Prinzessin
Den heutigen Tag zu vergessen
Ist fast schon unmöglich, kann ich dir versprechen
Sie fragt mich, ob man sich noch sieht
Sie denkt sich, dass es bei mir sowas nicht gibt
Ja, irgendwie hat sie sich in mich verliebt
Doch so ein Gefühl hatte sie ja noch nie

In diesem ersten Teil der zweiten Strophe geschieht etwas merkwürdiges. Eben noch war Mero von Baby so angetan, dass er direkt auf Wolke 10 (wir erinnern uns: drei Wolken über Gott) mit ihr geh'n wollte. So voll verliebt eben. Jetzt wird Baby zur Bitch, klammert sich an den armen Mero als gäbe es kein Morgen und macht dabei einen auf Prinzessin. Ist das nun die Frau mit der er Kinder kriegen und alt werden will, oder doch nur ein Fan der ihn schon nach 10 Minuten nervt?

Ey, ey, meine Hand will sie nicht loslassen
Ein Lächeln im Gesicht würd' keinem so passen
Sie fragt mich, wann wir uns wieder treffen
Bin besessen, ihre Blicke machen mich an, so wie Gucciletten

Hinter Gucciletten muss ich einfach mal innehalten. Ja, es gibt so etwas wie Badelatschen von Gucci und wenn die Augen von Baby-Bitch Mero so anmachen, dass er diesen Vergleich wählt, dann muss auch dem Letzten klar sein, dass es hier nicht um Wolke 10 geht. Das Ganze ist einfach unterirdisch, dumm und nebenbei, jedes Klischee bedienend, frauenverachtend.
Falls mir Jemand die zweite Zeile interpretieren kann: Ich nehme Hilfe dankend entgegen.

Ich kann auf alles wetten, sie wird mir auch morgen schreiben
Bei mir bleiben, niemals streiten, mich auf meinem Weg begleiten
Sie hört nicht auf zu kleben, „Komm, lass die Leute reden!“
Lass uns lieber weggeh'n, meine Batzen könn'n wir beide zähl'n

Ich fasse noch einmal zusammen: Mero trifft Fans, kuckt sich ein Mädel aus, weil die Körper und Augen hat, geht mit ihr was essen, Freunde sind dabei, sie klammert sofort und Mero ist sich voll sicher, dass sie ab jetzt ständig Whats App Nachrichten schreiben und nie streiten wird und an ihm kleben bleibt für immer, und das ist so schön, dass er mit ihr auf Wolke 10 verschwinden will, was noch viel geiler ist als der siebente Himmel. Geht's noch dümmer? Kaum.
Immerhin ist es Mero gelungen ein Wort unterzubringen, dass ich noch nie in einem Popsong gehört habe: Batzen. By the way: Meint er wirklich was da steht, dass er und Baby-Bitch dann die viele Kohle zählen, die man mit so etwas verdienen kann? Ich empfehle einen Ehevertrag.

Fazit: Auch dieser Song wird das Abendland nicht untergehen lassen. Wer Erfolg hat, hat Recht. Wolke 10 ist ein verdammter Ohrwurm, der uns daran erinnert, dass eine eingängige Melodie uns vergessen lassen kann, wie oberflächlich und handwerklich dürftig Texte machmal sind, die damit transportiert werden.