Das soll ich sein
Ich schlag ins Wort ein
Nach diese ersten zwei Zeilen muss man
erst einmal die Stoptaste drücken. Ich habe nächtelang über diesen
Worten gebrütet und bin zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen.
Also nähern wir uns dem Inhalt ganz methodisch: Der Text ist aus der
Ich-Perspektive geschrieben. Das lyrische Ich fragt also „Das soll
ich sein?“, ganz so als würden Hinz und Kunz morgens vor dem
Spiegel stehen. Was würden Hinz und Kunz dann sagen? „Alter siehst
du heut wieder Scheiße aus!“ Der intellektuell geschulte
norddeutsche Musiker hält sich mit solcherlei Banalitäten nicht auf
und kontert: „Ich schlage in das Wort ein“.
Zur Wortbedeutung von „einschlagen“
fallen mir zwei Varianten ein: 1. Durch Schlagen etwas zertrümmern,
2. per Handschlag einen Handel besiegeln.
Ich lehne mich mal aus dem Fenster und
lege mich auf die erste Wortbedeutung fest. Außerdem nehme ich an,
dass das Wort, welches eingeschlagen werden soll, das Wort „Ich“
ist. Das Ich zertrümmert das Ich. Und zwar nicht im wörtlichen
Sinn, denn es werden keine Spiegel zerschlagen oder Köpfe an die
Wand gehauen bis sie bluten. Nein, es muss sich um ein postmodernes
Zertrümmern des Ich-Begriffes in einer vollkommen entfremdeten Welt,
die von Dekadenz und des Nihilismus geprägt ist, handeln. Alles klar?
Nein? Mir auch nicht.
Alles spricht gegen mich
Doch so war es immer
Das soll für dich sein
Ich will dir nah sein
Ich weiß, ich bin nicht gut genug
Doch bitte bleib bei mir
Ohne dich ist das Leben nur kalt und
leer
Ohne dich nimm Deine Liebe nicht von
mir
Moment mal, ist das aus dem gleichen
Lied? Na gut, der Song trägt den Titel „Wellen der Liebe“, die
Richtung war also schon mal vorgegeben. Geht es nur mir so, oder
könnte das auch aus einem Schlager sein? Meine Damen und Herren, es
ist 2001 und hier ist Bernhard Brink mit seinem neuen Titel „Nimm
deine Liebe nicht von mir“!
Blumfeld sind Experten für Lieder über
Beziehungen und Liebe. Natürlich darf und muss man über Liebe
singen, aber wenn man am Anfang des Textes einen stählernen Nagel in
die Wand schlägt nur um daran einen fadenscheinigen Mantel
aufzuhängen, fühle ich mich verschaukelt.
Wellen der Liebe
In guten wie in schlechten Zeiten
Will ich dich lieben und mit dir
leben Tag für Tag
Manchmal kann ich dich nicht
ausstehen
Manchmal ist es mir zuviel
Doch nichts ist stärker als die
Liebe, die ich fühl
Wäre da nicht dieser leicht
derangierte, studentische Unterton in der Zeile: „Manchmal kann ich
dich nicht ausstehen“, dieser Hauch von Realität, man würde am
Zucker glatt ersticken.
Das soll ich sein
Ich schlag ins Wort ein
Zeichen und Fleisch zugleich
Und nur noch wenig Welt vor mir
Für alle die zu spät eingeschaltet
haben und jetzt denken Nino de Angelo würde hier singen, wird der
postmoderne Nagel noch eimal bemüht. Doch damit nicht genug, jetzt
wird das Wort auch noch Zeichen und Fleisch. Das Wörter Zeichen sind
ist semiotisches Einmaleins. Zeichen deuten auf etwas hin, das Wort
„Ich“ deutet auf die Person die es benutzt und woraus sind wir?
Aus Fleisch. Das ist so unappetitlich wie es wahrhaftig ist, aber was
um alles in der Welt macht das in einem ansonsten rosaroten Popsong
über die wahre Liebe?
Das soll für dich sein
Du fängst das Licht ein
Durch dich weiß ich, was Liebe
heißt
Auch wenn der Alltag uns stumm macht
Jeder Tag, den wir beide zusammen
sind
Jeder Tag mit dir macht meine Liebe
neu
Jetzt fassen wir mal zusammen: Dass
lyrische Ich scheint schon etwas älter zu sein, denn es hat nur noch
wenig Welt vor sich (es sei denn es segelt gerade über den Rand der
Welt, aber das scheint mir zu weit hergeholt), es lebt in einer
Beziehung mit einer Person, die das Licht einfängt. Allerdings macht
der Alltag die Beiden stumm und machmal kann das lyrische Ich den
Partner gar nicht ausstehen und es ist ihm alles zu viel. Dann fühlt
es sich schuldig und sagt: „Ich bin nicht gut genug, so war es
immer aber (siehe weiter unten) ich arbeite an mir und bitte, bitte
geh auf keinen Fall weg!“ Wenn man so drüber nachdenkt, kommt man
schlecht drauf. Da würde man gern mal was einschlagen und sei es nur
ein Wort.
Das soll ich sein
Ich schlag ins Wort ein
Ich weiß, ich bin nicht gut genug
Doch ich arbeite an mir
Das soll für dich sein
Ich will dir nah sein
Alles spricht gegen mich
Doch bitte bleib bei mir
Laber, laber, alles gesagt. Und ganz
außer Konkurrenz: Hat jemand einen weiteren Reim als den von „sein“
auf „ein“ und „zuviel“ auf „fühl'“ gefunden? Ich nicht.
Fazit: Man kann eine Reproduktion der
Engel von Raffael (ihr wisst schon, diese zwei süßen, knuddeligen,
kleinen Putten) hernehmen und große schwarze Tintenklexe draufhauen.
Wer es schön findet, bitte. Aber verkauft das nicht als große
Kunst, denn über den beiden Figuren ragt noch zwei Meter fünfzig
die sixtinische Madonna auf.
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