In diesem Haus, wo ich wohn',
hier ist alles so gewohnt,
so zum Kotzen vertraut.
Mann, jeder Tag ist so gleich,
ich zieh Runden durch mein' Teich,
ich will nur noch hier raus.
Kennt noch jemand die Redewendung
„Gegen Windmühlenflügel kämpfen“? Der alte Don Quijote reitet
aus, um ritterliche Taten zu vollbringen, doch es gibt schon lange
keine Ritter mehr und die Riesen, gegen die er sinnlos anrennt, sind
doch nur Windmühlen. Und so wie man diese Erzählung und die
Bedeutung der Redewendung vergessen wird, so werden auch die schönen
deutschen Endungen „e“ und „en“ in den Orkus
der Geschichte wandern. Und wer wird schuld sein? Die Pop-Musik.
Unser lyrisches Ich jedenfalls schert
sich weder um Grammatik noch um den Typen im ersten Stock, der immer
seine Tochter schlägt, das alles ist ihm zum Kotzen vertraut (der
Imbiss an der Ecke scheidet wohl als Ursache aus), deshalb muss es
einfach weg. Basta.
Ich brauch mein' Platz und frischen
Wind,
ich muss schnell wo anders hin,
sonst wachs' ich hier fest.
Ich mach 'nen Kopfsprung durch die
Tür,
ich lass' alles hinter mir,
hab' was Großes im Visier,
ich komm' nie zurück zu mir.
Gut, dass wir das mit dem „e“
und „en“ geklärt haben. Als lyrisches Highlight – und
das meine ich ganz ehrlich – wird ein Kopfsprung durch die Tür
gewagt. Gut, dass wir in der ersten Strophe erfahren haben, dass das
lyrische Ich hier seinen metaphorischen Teich hat, also wird es nicht
auf das Pflaster knallen, sondern sanft in die Fluten gleiten. Warum
die letzte Zeile „ich komm nie zurück zu mir“
statt „ich komm nie hier her zurück“ lautet ist mir ein
Rätsel. Des Reimes wegen wird Mark das nicht gemacht haben, denn den
gab es schon vorher. Also handelt es sich um das typisch pseudointellektuelle
Geschwurbel, bei dem sich Leute verlieren und/oder wiederfinden
müssen, oder eben nie zu sich zurückkehren. Liebe Texter, nehmt
Euch bitte wörtlich, dann passiert so ein Quatsch nicht.
Es gibt nichts, was mich hält au
revoir,
vergesst wer ich war,
vergesst meinen Nam'!
Es wird nie mehr sein, wie es war,
ich bin weg, oh, oh, au revoir.
Das kommt dabei heraus, wenn man den
oh, oh, onomatopoetischen Wohlklang der Interjektion „oh“
mit dem französischen „au revoir“
kombiniert: Ein Hit-Refrain. Da nehmen wir doch gern einen
verstümmelten „Nam“ in Kauf (hoffentlich kein Kürzel für
Leichnam).
Auf Wiederseh'n? Auf kein'.
Ich habe meine Sachen gepackt, ich
hau rein.
Sonst wird das für mich immer nur
dieser Traum bleiben.
Ich brauch Freiheit, ich geh auf
Reisen,
ich mach alles das, was ich verpasst
hab,
fahr mit 'nem Gummiboot bis nach
Alaska,
ich spring in Singapur in das kalte
Wasser,
ich such das Weite und dann tank ich
neue Kraft da.
So, nun also Sido, der vor gar nicht so
langer Zeit noch die Massen mit so schönen Texten wie dem
Arschficksong beglückte. Aber unser Langzeitgedächtnis ist
abgestorben und warum sollen Gangsta Rapper und böse Buben nicht
auch die Chance erhalten, reich zu werden und obendrauf einen
Integrations-Bambie zu bekommen? Aggro goes Pop, irgendwie ist das ja
auch tröstlich und wunderbar bieder.
Herr Würdig verschluckt nicht mehr nur
Endungen sondern gleich ganze Phrasen. „Auf keinen Fall“
reimt sich nun einmal nicht auf „ich hau rein“, das
versteh ich voll. Dankbar sind wir alle dafür, einen neuen Reim ins Reimlexikon aufnehmen zu können: Von nun an reimt sich "Wasser" (sprich Wassa) auf "Alaska" oder wahlweise "Kraft da".
Apropos bieder: Freiheit, auf Reisen gehen, alles
machen, was man verpasst hat... Die Klischees klappern und man möchte
fast das Weite suchen, wenn man nicht so unendlich gespannt wäre,
wie es denn nun weiter geht.
Ich sehe Orte, von den' andere nie
hörten.
Ich fühl mich wie Humboldt oder
Steve Irwin.
Ich setz mich im Dschungel auf den
Maya-Thron,
auf den Spuren von Messner, Indiana
Jones.
Wow, jetzt gibt es eine gehörige
Demonstration Bildung die zeigt, dass Drogen doch gar nicht so
schädlich sein können. Trotzdem werfen einige Vergleiche mehr
Fragen auf als ich Antworten habe. Wie sich Alexander Humboldt (sein Bruder Wilhelm kam über Eropa nicht hinaus), der
große Entdecker, nach seinen ausgedehnten Reisen gefühlt hat, kann
man sich noch vorstellen. Wie es ist, mit dem Stachel eines Rochens
im Herzen zu sterben, wie es Steve Irwin geschah, ist schon
schwieriger. Irgendwo, scheint es, lauert die Provokation unter der
Oberfläche des Textes, der alte Arschficker ist noch nicht so ganz
verschwunden und da ist es auch konsequent, dass man Reinhold Messner
neben eine fiktive Figur stellt, die allein in unserer
Vorstellungskraft auf der Halbinsel Yucatán gewesen sein könnte.
Der Phönix macht jetzt 'n Abflug.
Au revoir, meine Freunde macht's gut,
ich sag dem alten Leben Tschüss,
Affe tot, Klappe zu,
wie die Kinder in Indien, ich mach
'n Schuh.
Früher war es üblich, dass kleine
Affen in einer Holzkiste am Kassenhäuschen eines Zirkus als
Attraktion gezeigt wurden. Starb dieser Affe, blieb die Klappe
geschlossen und es fand keine Vorstellung statt. Das bringt uns jetzt
hier zwar nicht weiter, ist aber doch mehr Information, als der ganze
Text zusammen enthält.
Über den Schlusssatz muss ich noch ein
paar Worte verlieren. Ich mag keine Ahnung von Rap haben, es ist mir
auch egal mit welchem zynischen Kalkül Leute an der Nase
herumgeführt werden, denn was gefällt hat auch seine Berechtigung.
Aber: „Ich mache es wie die Kinder in Indien: Ich mache 'n Schuh“?
In welchem Universum ist das ein gelungener Wortwitz? Man geht davon
aus, dass bis zu 60 Millionen Kinder in Indien zwischen 5 und 14
Jahren zeitweise oder regelmäßig arbeiten müssen. Kindheit?
Fehlanzeige. Aber was schert das einen Typen aus dem Block, der jetzt
im beschaulichen Hohen Neuendorf residiert.
Es gibt nichts was mich hält, au
revoir,
vergesst, wer ich war,
vergesst meinen Nam'!
usw. usf.
Fazit: Ach, könnten wir der Aussage
des Songs nur vertrauen! Leider bleibt zu erwarten, dass wir von
allen Beteiligten noch viel zu hören bekommen.