Mittwoch, 14. Oktober 2015

Philipp Dittberner „Wolke 4“

Ein Gespenst geht um in Deutschland: Die Neuen DeutschPoeten. Eine Wortschöpfung des Berliner Radiosenders FRITZ, die ganz treffend auf den Zeitgeist der letzten Jahre zielt. Wie jede Welle, spült auch die aktuelle Deutsche Welle nicht nur erfrischendes, klares Wasser an unsere Gestade, nein, der ganze Schlamm und Schleim kommt ebenfalls hoch und weil deutsches Liedgut so gefragt ist, wie lange nicht, wird jedes noch so kleine Talent unter Vertrag genommen und ausgequetscht. Augenfällig dabei, dass vor allem junge greinende Männer dabei in der Überzahl sind. Alles fing vor einer Weile mit meinem besonderen und nicht mehr ganz so jungen Freund Adel Tawil an, der in dem unsäglichen Lied „Weinen“ seine verflossene Dame auf Knien anflehte, ihn zurück zu nehmen. Etwas geschmackvoller aber gleichwohl memmenhaft säuselten Andreas Bourani und Gregor Meyle in der Folge ihre Lieder, gefolgt von Johannes Oerding und flankiert von Axel Bosse. Soweit so gut, denn ein gelungener trauriger Song zur rechten Zeit hatte schon immer seine Berechtigung. Die Betonung liegt allerdings auf gelungen. Spätestens mit Joris „Herz über Kopf“ und Mark Forster „Bauch und Kopf“, wurde es mir dann einfach zu viel. Diese unsäglichen Zwiegespräche von Herzen und Hirnen und der lyrische Tiefpunkt des Jahres, dass ein lyrisches Ich zwischen Bauch und Kopf steht, und letzterer sich dann auch noch schüttelt... Ich war schon oft nah dran mir den einen oder anderen Titel vorzuknöpfen, vor allem auch deswegen, weil es durchweg sehr, sehr erfolgreiche Lieder sind. Wer gibt allen Epigonen und Küchenlyrikern recht? Der Erfolg. Womit wir direkt bei Herrn Dittberner wären, der das Pech hat, dass ich ihn jetzt heraus picke, was ihm aber herzlich egal sein kann, denn im letzten August erhielt Dittberner vom Bundesverband Musikindustrie eine Platin-Schallplatte für über 400.000 verkaufter Exemplare und Streaming von „Wolke 4“, was mich wiederum zu den altbekannten Fragen führt: Hört eigentlich niemand hin, oder ist es allen egal?

Lass uns die Wolke 4 bitte nie mehr verlassen,
weil wir auf Wolke 7 viel zu viel verpassen,
ich war da schon ein Mal, bin zu tief gefallen,
lieber Wolke 4 mit Dir, als unten wieder ganz allein.

Der Song startet gleich mit dem Refrain. Damit wird das Gewicht auf die Kernaussage gelenkt. Meist haben solche Lieder dann eher flächenhafte Strophen, die die Kernaussage nur illustrieren.
Wir haben es mit einem erzählenden Ich und einem anwesenden Du zu tun. Das anwesende Du ist der aktuelle Beziehungspartner, mit dem das lyrische Ich zur Zeit zusammen ist. Der Text ist eine Momentaufnahme, es wird bilanziert, dass es auf Wolke 4 ausreichend schön ist. Frage: Ergibt es irgendeinen Sinn, dass das Paar auf Wolke 4 etwas erlebt, was es auf Wolke 7 verpassen würde? Antwort: Nein.
Die allermeisten Songs lassen sich in einem Satz zusammenfassen. Hier wäre der Satz: Ich habe einmal zu heiß geliebt, wurde verletzt und begnüge mich daher ab sofort mit lauwarmer Liebe.
Der Künstler bemüht sich um Reime, auch wenn wir uns zunächst mit einem einsamen Paarreim begnügen müssen.

Ziemlich gut, wie wir das so gemeistert haben,
wie wir die großen Tage unter kleinen Dingen begraben.
Der Moment, der die Wirklichkeit maskiert,
es tut nur gut zu wissen, dass das wirklich funktioniert.

Ich weiß nicht, wie Philipp diese Strophe auf seinem Collegeblock nieder geschrieben hat, der Gesang gibt darüber keine genaue Auskunft. Ich habe einfach mal einen Punkt hinter die zweite Zeile gesetzt. Wir haben also zwei Sätze, von denen ich den ersten noch halbwegs verstehe, auch wenn der Inhalt deprimierend ist: Lieber Partner, toll wie wir die großen Tage unter kleinen, alltäglichen Dingen begraben. Smilie, Daumen nach oben, Herzchen.
Schwieriger wird es mit dem zweiten Satz. Ich bin nicht sicher, ob der Texter sich dem Diktat des Reimes beugte und so das maskiert in den Text kam. Sollte der inhaltliche Ansatz wirklich federführend gewesen sein, steht da nicht mehr oder weniger als: Es tut gut, die Wirklichkeit auszublenden, danke dafür, dass dies mit Dir gelingt, Partner. Grammatik und Satzbau gehen hier natürlich zum Teufel. Es ist halt schwierig, die Löschtaste zu drücken, wenn das Herz voll und der Kopf leer ist.
Immerhin: Zwei Paarreime.

Lass uns die Wolke 4 bitte nie mehr verlassen,
weil wir auf Wolke 7 viel zu viel verpassen,
ich war da schon ein Mal, bin zu tief gefallen,
lieber Wolke 4 mit Dir, als unten wieder ganz allein.

Laber Rhabarber, erneuter Refrain, schön ist das Leben auf Wolke 4 mit Dir, bloß gut, dass wir hier sind, wir würden auf Wolke 7 doch glatt einen Haufen kleiner Dinge verpassen.

Hab nicht gesehen, was da vielleicht noch kommt,
was am Ende dann mein Leben und mein kleines Herz zerbombt,
denn der Moment ist das, was es dann zeigt, dass die Tage ziemlich dunkel sind,
doch Dein Lächeln bleibt, doch Dein Lächeln bleibt…

Oh Jesus, da rennt ihm mal ne Alte weg und gleich ist sein Leben und sein kleines... wartet, es kommt gleich... Herz zerbombt. Echt jetzt? Paarreim hin oder her, so etwas streicht man aus seinem Textentwurf. Jemand, der sich in der lauen Mittelmäßigkeit von Wolke 4 eingerichtet hat, sollte nicht derartig übertreiben.
An der dritten Zeile dieser Strophe scheitert allerdings meine Intellekt: Der Moment (...in dem das Herz zerbombt wurde oder so?) ist das, was es dann zeigt, dass die Tage ziemlich... wartet, es kommt gleich... dunkel sind. Echt jetzt? Grammatik? Satzbau? Mühe geben? Müsste die Zeile nicht richtiger: … der Moment ist der, der mir dann zeigt, dass … lauten?
Moment, da kommt noch was: Doch dein Lächeln bleibt. Würg. Ende. Das war schon alles: 12 krumme Zeilen, 4 lahme Reime, eine fragwürdige Aussage.
Auch wenn man jung ist, sollte man doch ein Gefühl dafür haben, was abgegriffen ist. Man muss doch seine Strophen nicht aus abgelutschten Allgemeinplätzen zusammenklöppeln. Gib mir einen originellen Gedanken Philipp! Einen!

Lass uns die Wolke 4 bitte nie mehr verlassen usw.

Fazit: Es ist nicht nur der mangelhafte Text, das Ganze weinerliche Getue und die für mich grundfalsche Annahme, dass irgendwer sich in der Liebe mit weniger als Wolke 9 zufrieden geben sollte, verleiden mir das Lied. Ich empfehle allen Heulsusen Barney Stinson nachzueifern: “Whenever I'm sad, I stop being sad and be awesome instead.”





1 Kommentar:

  1. Ich fürchtete schon, ich müsse mich der deutschpoppenden Heulpoeten selbst annehmen und über sie herziehen. Schön, dass es mir jemand abnahm. Ich glaube mich nicht in einer Liga mit Goethe & Co. aber was uns im Radio an Texten geboten wird, zerbombt mir schier mein kleines Hobbydichterherz.

    Doch will ich an dieser Stelle eine Lanze für den armen Philipp brechen. Warum will er auf Wolke 4 bleiben? Die Antwort ist denkbar einfach: Der arme Junge leidet an Akrophobie, an Höhenangst. Wenn er auf Wolke 7 sitzt, ist ihm das schlicht zu hoch, weshalb er das Liebesleben auf der niedriger gelegenen Wolke 4 einfach mehr genießen kann. An Wolke 9 wollen wir dabei gar nicht erst denken, zumal in DIESER Höhe dann auch die Luft verdammt dünn ist.

    Aber insgesamt ist die Situation in der neuen deutschen Poesie doch nicht neu. Wir hatten das in 1980ern schon und nannten es Neue Deutsche Welle. Jede Menge Eintagsfliegen mit Texten, die den Tiefgang eines Plattbodenschiffes hatten. Oder, um Julian Grendel aus "Ford Fairlane" zu zitieren: Wir maßschneider diesem [hier bitte einen beliebigen DeutschPoeten einsetzen] eine Platte, damit die Teenager auf seine CD einen Abgang kriegen." Oder so ähnlich. Die Musik ist Business und das Business lebt nicht von Qualität sondern von Ersetzbarkeit. Leider.

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