Samstag, 23. Januar 2016

Bodenski „An der Zeit“

Liebes jüngeres Ich,

ich sehe Dich noch auf dem Bett sitzen, die Gitarre in den Händen und es entsteht dieser Song. Es muss 1989 gewesen sein, Deine Welt stellte sich gerade auf den Kopf, alles war Aufbruch, Veränderung und auch Verunsicherung. Die Mauer stand noch. Ein gemeinsames Deutschland, eine neue Band, Mittelalterrock und Drehleier? Wenn Dir jemand gesagt hätte, was bald kommen würde, Du hättest ihn ausgelacht.

Warum der Song, der zwischen rotzigem Deutschrock und Pionierlied seine Identität sucht, mit einer so seltsam altmodischen Formulierung wie „es ist an der Zeit“ daher kommt bleibt heute, fünfundzwanzig Jahre später, rätselhaft. Mit dem Studioalbum „Es ist an der Zeit“ von Hannes Wader, welches er 1980 veröffentlichte, kann es nichts zu tun haben. Der war Dir nämlich damals egal. Wikipedia gab es nicht und auch keinen Computer. Also wurden die Zeilen auf Papier gekritzelt, später abgetippt und der Song noch in der Wendezeit mit der Band Bodenski Beat aufgeführt. Damals noch im Dreivierteltakt. Das fanden Deine Kollegen und Du damals cool.

Germanistik hast Du erst später studiert, Deine Sprache erst viel später gefunden. Haben wir hier also eine frühe Perle, zufällig aus dem seichten Wasser gefischt, oder ist das Ganze nur Theaterdonner?

Dort oben leuchten die Sterne,
mit silberglänzendem Licht,
die sehen aus als hätten sie mich gerne,
ich glaube die sind nicht ganz dicht.

Den Ingeborg-Bachmann-Preis wird es dafür wohl nicht geben. Sterne mit silberglänzendem Licht sind nicht gerade originell. Vor allem dann nicht, wenn man in den ersten beiden Zeilen beginnt einen Caspar David Friedrich zu malen und dann, ätsch, zu behaupten die ollen Silbersterne seien ja wohl nicht ganz dicht. Man könnte versuchen, dies mit einem gewollten Bruch zu rechtfertigen. Zwischen einem zunächst hochsprachlichen Ton, der dann in die Umgangssprache kippt. Aber Du und ich, wir wissen Beide, dass Du es einfach hingeschrieben hast weil es sich reimte. Immerhin.

Die Nachtvögel dort in den Zweigen,
sind schwarz wie der tiefste See,
sie starren mich an und sie schweigen,
als wären auch sie nicht ok.

Das muss ich Dir lassen, stringent ist Dein Vorgehen schon. Auch die zweite Strophe beginnt mit einem leidlich schlechten, pseudo-romantischen Bild, welches dann konterkariert wird. Nachtvögel, die auch nicht ok sind. Gebt dem Mann ein Taschentuch!

Ich steh auf der untersten Stufe,
der Weg nach oben ist weit,
es hat keinen Sinn, doch ich rufe:
Es ist an der Zeit!

Nun ja, so ganz bleibt es nicht beim Jammern. Denn obwohl alles doof ist und man ganz unten steht, gibt es dieses Gefühl des Aufbruchs. Mit dem ganzen Wissen um die Entstehung und die Zeit, in der der Song geschrieben wurde, kann man diesem „doch“ in der dritten Zeile gar nicht genug Aufmerksamkeit schenken. Doch, wir gehen jetzt los! Doch, wir ändern jetzt etwas! Doch, die Welt braucht eine weitere Band!

Doch stehe ich hier nicht alleine,
die Armee der Verlierer ist groß,
wir steh'n wie das Vieh auf der Weide
und warten auf das große Los!

Sag ich's doch, noch ein doch! In der dritten Strophe breitet nun also das lyrische Ich die Arme aus und zieht die ganze Armee der Verlierer in den Kreis derer hinein, die auf der untersten Stufe stehen wie Vieh auf der Weide. Und das lyrische Ich steigt auf den imaginären, umgedrehten Melkeimer, schlägt sich an die Brust und ruft den Massen noch einmal die Botschaft zu:

Ich steh auf der untersten Stufe,
der Weg nach oben ist weit,
es hat keinen Sinn, doch ich rufe:
Es ist an der Zeit!

Ist das Revolution? Die Frage muss unbeantwortet bleiben, genau wie die Frage, wofür genau es denn nun an der Zeit ist? Und wie bei jedem guten Song kann die Antwort jeder in sich selbst finden, so wie Du, liebes jüngeres Ich, sie einst für Dich gefunden hast.

Fazit: Netter Versuch. Setzen. Weiter machen. Besser werden.

1 Kommentar:

  1. Der Texter dieser Zeilen hat tatsächlich in den letzten 25 Jahren eine sehr positive Entwicklung gemacht. Das muss man ihm zu Gute halten, auch wenn der obige Text fast ähnlich frei von Sinn ist, wie das früher besprochene Machwerk "Durch den Monsun". ;)
    Während die Sterne ihn mögen, was er für bescheuert hält, zweifelt er auch am Verstand der Vögel, die ihn ungläubig anstarren.
    Doch obwohl er so mit den Meinungen der Außenwelt hadert, scheint sich der Verfasser zu einer Gruppe zugehörig zu fühlen, deren Gemeinsamkeit sich darin zu erschöpfen scheint, untätig herum zu stehen. Zudem scheint er zwar nach höherem zu streben, aber an der Sinnhaftigkeit des Aufbruchs zu zweifeln, den er herbei rufen will.
    So wirkt dieser Text auf mich, wie das Verhalten eines Pubertierenden, der davon träumt, seinem Leben Sinn zu verleihen, der aber an sich und der Welt so sehr zweifelt, dass er vergisst, sich auf den Weg zu machen.
    Gruß
    Karsten

    AntwortenLöschen