Ein Gespenst geht um
in Deutschland: Die Neuen DeutschPoeten. Eine Wortschöpfung des
Berliner Radiosenders FRITZ, die ganz treffend auf den Zeitgeist der
letzten Jahre zielt. Wie jede Welle, spült auch die aktuelle
Deutsche Welle nicht nur erfrischendes, klares Wasser an unsere
Gestade, nein, der ganze Schlamm und Schleim kommt ebenfalls hoch und
weil deutsches Liedgut so gefragt ist, wie lange nicht, wird jedes
noch so kleine Talent unter Vertrag genommen und ausgequetscht.
Augenfällig dabei, dass vor allem junge greinende Männer dabei in
der Überzahl sind. Alles fing vor einer Weile mit meinem besonderen
und nicht mehr ganz so jungen Freund Adel Tawil an, der in dem
unsäglichen Lied „Weinen“ seine verflossene Dame auf Knien
anflehte, ihn zurück zu nehmen. Etwas geschmackvoller aber
gleichwohl memmenhaft säuselten Andreas Bourani und Gregor Meyle in
der Folge ihre Lieder, gefolgt von Johannes Oerding und flankiert von
Axel Bosse. Soweit so gut, denn ein gelungener trauriger Song zur
rechten Zeit hatte schon immer seine Berechtigung. Die Betonung liegt
allerdings auf gelungen. Spätestens mit Joris „Herz über Kopf“
und Mark Forster „Bauch und Kopf“, wurde es mir dann einfach zu
viel. Diese unsäglichen Zwiegespräche von Herzen und Hirnen und der
lyrische Tiefpunkt des Jahres, dass ein lyrisches Ich zwischen Bauch
und Kopf steht, und letzterer sich dann auch noch schüttelt... Ich
war schon oft nah dran mir den einen oder anderen Titel vorzuknöpfen,
vor allem auch deswegen, weil es durchweg sehr, sehr erfolgreiche
Lieder sind. Wer gibt allen Epigonen und Küchenlyrikern recht? Der
Erfolg. Womit wir direkt bei Herrn Dittberner wären, der das Pech
hat, dass ich ihn jetzt heraus picke, was ihm aber herzlich egal sein
kann, denn im letzten August erhielt Dittberner vom Bundesverband
Musikindustrie eine Platin-Schallplatte für über 400.000 verkaufter
Exemplare und Streaming von „Wolke 4“, was mich wiederum zu den
altbekannten Fragen führt: Hört eigentlich niemand hin, oder ist es
allen egal?
Lass uns die
Wolke 4 bitte nie mehr verlassen,
weil wir auf
Wolke 7 viel zu viel verpassen,
ich war da schon
ein Mal, bin zu tief gefallen,
lieber Wolke 4
mit Dir, als unten wieder ganz allein.
Der Song startet
gleich mit dem Refrain. Damit wird das Gewicht auf die Kernaussage
gelenkt. Meist haben solche Lieder dann eher flächenhafte Strophen,
die die Kernaussage nur illustrieren.
Wir haben es mit
einem erzählenden Ich und einem anwesenden Du zu tun. Das anwesende
Du ist der aktuelle Beziehungspartner, mit dem das lyrische Ich zur
Zeit zusammen ist. Der Text ist eine Momentaufnahme, es wird
bilanziert, dass es auf Wolke 4 ausreichend schön ist. Frage: Ergibt
es irgendeinen Sinn, dass das Paar auf Wolke 4 etwas erlebt, was es
auf Wolke 7 verpassen würde? Antwort: Nein.
Die allermeisten
Songs lassen sich in einem Satz zusammenfassen. Hier wäre der Satz:
Ich habe einmal zu heiß geliebt, wurde verletzt und begnüge mich
daher ab sofort mit lauwarmer Liebe.
Der Künstler bemüht
sich um Reime, auch wenn wir uns zunächst mit einem einsamen
Paarreim begnügen müssen.
Ziemlich gut, wie
wir das so gemeistert haben,
wie wir die
großen Tage unter kleinen Dingen begraben.
Der Moment, der
die Wirklichkeit maskiert,
es tut nur gut zu
wissen, dass das wirklich funktioniert.
Ich weiß nicht, wie
Philipp diese Strophe auf seinem Collegeblock nieder geschrieben hat,
der Gesang gibt darüber keine genaue Auskunft. Ich habe einfach mal
einen Punkt hinter die zweite Zeile gesetzt. Wir haben also zwei
Sätze, von denen ich den ersten noch halbwegs verstehe, auch wenn
der Inhalt deprimierend ist: Lieber Partner, toll wie wir die großen
Tage unter kleinen, alltäglichen Dingen begraben. Smilie, Daumen
nach oben, Herzchen.
Schwieriger wird es
mit dem zweiten Satz. Ich bin nicht sicher, ob der Texter sich dem
Diktat des Reimes beugte und so das maskiert in den Text kam.
Sollte der inhaltliche Ansatz wirklich federführend gewesen sein,
steht da nicht mehr oder weniger als: Es tut gut, die Wirklichkeit
auszublenden, danke dafür, dass dies mit Dir gelingt, Partner.
Grammatik und Satzbau gehen hier natürlich zum Teufel. Es ist halt
schwierig, die Löschtaste zu drücken, wenn das Herz voll und der
Kopf leer ist.
Immerhin: Zwei
Paarreime.
Lass uns die
Wolke 4 bitte nie mehr verlassen,
weil wir auf
Wolke 7 viel zu viel verpassen,
ich war da schon
ein Mal, bin zu tief gefallen,
lieber Wolke 4
mit Dir, als unten wieder ganz allein.
Laber Rhabarber,
erneuter Refrain, schön ist das Leben auf Wolke 4 mit Dir, bloß
gut, dass wir hier sind, wir würden auf Wolke 7 doch glatt einen
Haufen kleiner Dinge verpassen.
Hab nicht
gesehen, was da vielleicht noch kommt,
was am Ende dann
mein Leben und mein kleines Herz zerbombt,
denn der Moment
ist das, was es dann zeigt, dass die Tage ziemlich dunkel sind,
doch Dein Lächeln
bleibt, doch Dein Lächeln bleibt…
Oh Jesus, da rennt
ihm mal ne Alte weg und gleich ist sein Leben und sein kleines...
wartet, es kommt gleich... Herz zerbombt. Echt jetzt? Paarreim hin
oder her, so etwas streicht man aus seinem Textentwurf. Jemand, der
sich in der lauen Mittelmäßigkeit von Wolke 4 eingerichtet hat,
sollte nicht derartig übertreiben.
An der dritten Zeile
dieser Strophe scheitert allerdings meine Intellekt: Der Moment
(...in dem das Herz zerbombt wurde oder so?) ist das, was es dann
zeigt, dass die Tage ziemlich...
wartet, es kommt gleich...
dunkel sind. Echt
jetzt? Grammatik? Satzbau?
Mühe geben? Müsste die
Zeile nicht richtiger: … der Moment ist der, der mir dann
zeigt, dass … lauten?
Moment,
da kommt noch was: Doch dein Lächeln bleibt.
Würg. Ende. Das war schon
alles: 12 krumme Zeilen, 4
lahme Reime, eine fragwürdige Aussage.
Auch
wenn man jung ist, sollte man doch ein Gefühl dafür haben, was
abgegriffen ist. Man muss doch seine Strophen nicht aus abgelutschten
Allgemeinplätzen zusammenklöppeln. Gib mir einen originellen
Gedanken Philipp!
Einen!
Lass uns die
Wolke 4 bitte nie mehr verlassen usw.
Fazit: Es ist nicht
nur der mangelhafte Text, das Ganze weinerliche Getue und die für
mich grundfalsche Annahme, dass irgendwer sich in der Liebe mit
weniger als Wolke 9 zufrieden geben sollte, verleiden mir das Lied.
Ich empfehle allen Heulsusen Barney Stinson nachzueifern: “Whenever
I'm sad, I stop being sad and be awesome instead.”
Ich fürchtete schon, ich müsse mich der deutschpoppenden Heulpoeten selbst annehmen und über sie herziehen. Schön, dass es mir jemand abnahm. Ich glaube mich nicht in einer Liga mit Goethe & Co. aber was uns im Radio an Texten geboten wird, zerbombt mir schier mein kleines Hobbydichterherz.
AntwortenLöschenDoch will ich an dieser Stelle eine Lanze für den armen Philipp brechen. Warum will er auf Wolke 4 bleiben? Die Antwort ist denkbar einfach: Der arme Junge leidet an Akrophobie, an Höhenangst. Wenn er auf Wolke 7 sitzt, ist ihm das schlicht zu hoch, weshalb er das Liebesleben auf der niedriger gelegenen Wolke 4 einfach mehr genießen kann. An Wolke 9 wollen wir dabei gar nicht erst denken, zumal in DIESER Höhe dann auch die Luft verdammt dünn ist.
Aber insgesamt ist die Situation in der neuen deutschen Poesie doch nicht neu. Wir hatten das in 1980ern schon und nannten es Neue Deutsche Welle. Jede Menge Eintagsfliegen mit Texten, die den Tiefgang eines Plattbodenschiffes hatten. Oder, um Julian Grendel aus "Ford Fairlane" zu zitieren: Wir maßschneider diesem [hier bitte einen beliebigen DeutschPoeten einsetzen] eine Platte, damit die Teenager auf seine CD einen Abgang kriegen." Oder so ähnlich. Die Musik ist Business und das Business lebt nicht von Qualität sondern von Ersetzbarkeit. Leider.