Mittwoch, 14. Oktober 2015

Philipp Dittberner „Wolke 4“

Ein Gespenst geht um in Deutschland: Die Neuen DeutschPoeten. Eine Wortschöpfung des Berliner Radiosenders FRITZ, die ganz treffend auf den Zeitgeist der letzten Jahre zielt. Wie jede Welle, spült auch die aktuelle Deutsche Welle nicht nur erfrischendes, klares Wasser an unsere Gestade, nein, der ganze Schlamm und Schleim kommt ebenfalls hoch und weil deutsches Liedgut so gefragt ist, wie lange nicht, wird jedes noch so kleine Talent unter Vertrag genommen und ausgequetscht. Augenfällig dabei, dass vor allem junge greinende Männer dabei in der Überzahl sind. Alles fing vor einer Weile mit meinem besonderen und nicht mehr ganz so jungen Freund Adel Tawil an, der in dem unsäglichen Lied „Weinen“ seine verflossene Dame auf Knien anflehte, ihn zurück zu nehmen. Etwas geschmackvoller aber gleichwohl memmenhaft säuselten Andreas Bourani und Gregor Meyle in der Folge ihre Lieder, gefolgt von Johannes Oerding und flankiert von Axel Bosse. Soweit so gut, denn ein gelungener trauriger Song zur rechten Zeit hatte schon immer seine Berechtigung. Die Betonung liegt allerdings auf gelungen. Spätestens mit Joris „Herz über Kopf“ und Mark Forster „Bauch und Kopf“, wurde es mir dann einfach zu viel. Diese unsäglichen Zwiegespräche von Herzen und Hirnen und der lyrische Tiefpunkt des Jahres, dass ein lyrisches Ich zwischen Bauch und Kopf steht, und letzterer sich dann auch noch schüttelt... Ich war schon oft nah dran mir den einen oder anderen Titel vorzuknöpfen, vor allem auch deswegen, weil es durchweg sehr, sehr erfolgreiche Lieder sind. Wer gibt allen Epigonen und Küchenlyrikern recht? Der Erfolg. Womit wir direkt bei Herrn Dittberner wären, der das Pech hat, dass ich ihn jetzt heraus picke, was ihm aber herzlich egal sein kann, denn im letzten August erhielt Dittberner vom Bundesverband Musikindustrie eine Platin-Schallplatte für über 400.000 verkaufter Exemplare und Streaming von „Wolke 4“, was mich wiederum zu den altbekannten Fragen führt: Hört eigentlich niemand hin, oder ist es allen egal?

Lass uns die Wolke 4 bitte nie mehr verlassen,
weil wir auf Wolke 7 viel zu viel verpassen,
ich war da schon ein Mal, bin zu tief gefallen,
lieber Wolke 4 mit Dir, als unten wieder ganz allein.

Der Song startet gleich mit dem Refrain. Damit wird das Gewicht auf die Kernaussage gelenkt. Meist haben solche Lieder dann eher flächenhafte Strophen, die die Kernaussage nur illustrieren.
Wir haben es mit einem erzählenden Ich und einem anwesenden Du zu tun. Das anwesende Du ist der aktuelle Beziehungspartner, mit dem das lyrische Ich zur Zeit zusammen ist. Der Text ist eine Momentaufnahme, es wird bilanziert, dass es auf Wolke 4 ausreichend schön ist. Frage: Ergibt es irgendeinen Sinn, dass das Paar auf Wolke 4 etwas erlebt, was es auf Wolke 7 verpassen würde? Antwort: Nein.
Die allermeisten Songs lassen sich in einem Satz zusammenfassen. Hier wäre der Satz: Ich habe einmal zu heiß geliebt, wurde verletzt und begnüge mich daher ab sofort mit lauwarmer Liebe.
Der Künstler bemüht sich um Reime, auch wenn wir uns zunächst mit einem einsamen Paarreim begnügen müssen.

Ziemlich gut, wie wir das so gemeistert haben,
wie wir die großen Tage unter kleinen Dingen begraben.
Der Moment, der die Wirklichkeit maskiert,
es tut nur gut zu wissen, dass das wirklich funktioniert.

Ich weiß nicht, wie Philipp diese Strophe auf seinem Collegeblock nieder geschrieben hat, der Gesang gibt darüber keine genaue Auskunft. Ich habe einfach mal einen Punkt hinter die zweite Zeile gesetzt. Wir haben also zwei Sätze, von denen ich den ersten noch halbwegs verstehe, auch wenn der Inhalt deprimierend ist: Lieber Partner, toll wie wir die großen Tage unter kleinen, alltäglichen Dingen begraben. Smilie, Daumen nach oben, Herzchen.
Schwieriger wird es mit dem zweiten Satz. Ich bin nicht sicher, ob der Texter sich dem Diktat des Reimes beugte und so das maskiert in den Text kam. Sollte der inhaltliche Ansatz wirklich federführend gewesen sein, steht da nicht mehr oder weniger als: Es tut gut, die Wirklichkeit auszublenden, danke dafür, dass dies mit Dir gelingt, Partner. Grammatik und Satzbau gehen hier natürlich zum Teufel. Es ist halt schwierig, die Löschtaste zu drücken, wenn das Herz voll und der Kopf leer ist.
Immerhin: Zwei Paarreime.

Lass uns die Wolke 4 bitte nie mehr verlassen,
weil wir auf Wolke 7 viel zu viel verpassen,
ich war da schon ein Mal, bin zu tief gefallen,
lieber Wolke 4 mit Dir, als unten wieder ganz allein.

Laber Rhabarber, erneuter Refrain, schön ist das Leben auf Wolke 4 mit Dir, bloß gut, dass wir hier sind, wir würden auf Wolke 7 doch glatt einen Haufen kleiner Dinge verpassen.

Hab nicht gesehen, was da vielleicht noch kommt,
was am Ende dann mein Leben und mein kleines Herz zerbombt,
denn der Moment ist das, was es dann zeigt, dass die Tage ziemlich dunkel sind,
doch Dein Lächeln bleibt, doch Dein Lächeln bleibt…

Oh Jesus, da rennt ihm mal ne Alte weg und gleich ist sein Leben und sein kleines... wartet, es kommt gleich... Herz zerbombt. Echt jetzt? Paarreim hin oder her, so etwas streicht man aus seinem Textentwurf. Jemand, der sich in der lauen Mittelmäßigkeit von Wolke 4 eingerichtet hat, sollte nicht derartig übertreiben.
An der dritten Zeile dieser Strophe scheitert allerdings meine Intellekt: Der Moment (...in dem das Herz zerbombt wurde oder so?) ist das, was es dann zeigt, dass die Tage ziemlich... wartet, es kommt gleich... dunkel sind. Echt jetzt? Grammatik? Satzbau? Mühe geben? Müsste die Zeile nicht richtiger: … der Moment ist der, der mir dann zeigt, dass … lauten?
Moment, da kommt noch was: Doch dein Lächeln bleibt. Würg. Ende. Das war schon alles: 12 krumme Zeilen, 4 lahme Reime, eine fragwürdige Aussage.
Auch wenn man jung ist, sollte man doch ein Gefühl dafür haben, was abgegriffen ist. Man muss doch seine Strophen nicht aus abgelutschten Allgemeinplätzen zusammenklöppeln. Gib mir einen originellen Gedanken Philipp! Einen!

Lass uns die Wolke 4 bitte nie mehr verlassen usw.

Fazit: Es ist nicht nur der mangelhafte Text, das Ganze weinerliche Getue und die für mich grundfalsche Annahme, dass irgendwer sich in der Liebe mit weniger als Wolke 9 zufrieden geben sollte, verleiden mir das Lied. Ich empfehle allen Heulsusen Barney Stinson nachzueifern: “Whenever I'm sad, I stop being sad and be awesome instead.”





Donnerstag, 6. August 2015

Matteo Capreoli „Das Beste“

Neulich beim Frühstücksfernsehen: Kurz vor 9 Uhr, also kurz vor Schluss der Sendung, gibt es immer ein bisschen Musik. Die gibt es deswegen am Ende, weil viele Menschen bei Musik im Fernsehen wegschalten und am Ende des Morgenmagazins im ZDF tut das den öffentlich rechtlichen Programmmachern nicht mehr so weh. Dadurch wurde an diesem Morgen möglicherweise viel Geschirr gerettet, denn diesmal wurde ein gewisser Matteo Capreoli vorgestellt, der just an diesem Tag seine neue Single vorstellen durfte. Ihr kennt Matteo Capreoli nicht? Ich bete zu Gott, das wir uns seinen Namen nicht merken müssen und im Grund genommen wäre ihn zu ignorieren der richtige Weg, aber ich kann nicht anders.

Auf seinem Twitter account finden wir folgende vollmundige Kurzbeschreibung: Matteo Capreoli, der etwas andere Lockenkopf aus Stuttgart. Der multitalentierte Songwriter ist Vollblut-Musiker im wahrsten Sinne des Wortes...“ Im wahrsten Sinne des Wortes? Warum wird so ein Klischee auch noch unterstrichen? Hat er sich extra voll Blut bekleckert, um sein Talent herauszustreichen? Bei seinem Auftritt im ZDF jedenfalls fiel mir die Kinnlade herunter und das Müsli aus dem Mund. Den Text von „Das Beste“ jedenfalls hatte noch niemand ins Netz gestellt, so dass ich gezwungen war seine Darbietung zu transkribieren (was allein schon eine Strafe war).

Hab mich noch lange nicht, noch lange nicht erreicht
erreiche jeden Tag ein neues Ziel
und stell dann fest, dass es, dass es noch lang nicht reicht
weil ich noch viel, noch viel, viel weiter will

Dieses „ich hab mich noch nicht erreicht“ kommt aus der Schublade „ich bin auf der Suche nach mir, hab mich verloren, muss mich finden“. Ich prangere es gern wieder und wieder an: Es ist öde sich hinzustellen und zu behaupten, dass man nicht wisse, wer man sei, oder wo man hinwolle. Die wage Aussage, dass man trotzdem jeden Tag ein neues Ziel erreicht, ist genauso belanglos wie die Feststellung, dass es am Abend dunkel wird oder Zitronenfalter keine Zitronen falten.

ich will mehr aus mir hol'n
ich will mehr von mir seh'n
und ich will dir noch mehr von mir erzähl'n

Wenden wir doch noch einmal die Im-wahrsten-Sinne-des-Wortes-Technik an und stellen uns vor, wie Matteo, der etwas andere Lockenkopf, unappetitliche Dinge aus sich herausholt und sie sich anschaut. Muss das sein? Nein.
Ganz nebenbei wird an dieser Stelle neben dem lyrischen Ich ein Adressat eingeführt, ein nicht näher bezeichnetes du. Der Sänger besingt also nicht seine Selbstfindungsreise, nein, es ist nur ein Liebeslied. Auch das noch.

ich such nach meinen Grenzen und zwing sie in die Knie
bis ich am Boden lieg und nichts mehr geht

Oh jeh. Wie zwingt man denn Grenzen in die Knie? Ich habe noch keine Grenzen gesehen, die welche hätten. Und wenn man schon etwas schafft, was noch keiner geschafft hat, warum ist es dann kein heroischer Sieg? Warum liegt man dann am Boden? Macht sich der multitalentierte Songwriter aus Stuttgart überhaupt Gedanken darüber was er singt?

denn du kennst noch lang nicht das Beste in mir
doch du hast nur das Beste verdient
also werd ich mein Bestes tun
und hole das Beste aus mir

„Nein, hole bitte nicht das Beste aus dir!“ möchte man dem jungen Mann zurufen und hofft erneut, dass er das nicht wahrsten Sinne des Wortes meint.

da geht noch so viel mehr
da geht noch so viel mehr
will nicht der Beste sein
nur das Beste für dich

Allen die bis hier durchgehalten haben verspreche ich: Da geht noch mehr, allerdings wird es nichts Gutes sein und schon gar nicht das Beste.

für dich zieh ich in 'n Kampf
verprügel' mich im Dreck
wenn's sein muss bin ich Forrest Gump
und laufe um die ganze Welt

Das war der Moment, in dem mir die Kaffeetasse aus der Hand fiel und auf meinem Küchenboden zerschellte. Autoaggression ist eine ernste Sache, je früher mit der Therapie begonnen wird, desto größer sind die Chancen einer Heilung.
Bei circa 40 Kilometern am Tag ist man, wenn man die Ideallinie läuft, übrigens drei ganze Jahre unterwegs, wenn man die Welt umrunden möchte. Das sollte man sich gut überlegen, denn in dieser Zeit springen vielleicht die Fans ab und laufen zu Mark Forster über.

ich geb mich nicht zufrieden
man, wer weiß wie viel noch in mir steckt
ich werd's herausfinden
ey, siehts du wie mein Feuer brennt

In dem Kampf ziehen, um die Welt laufen, wie Feuer brennen, die Klischees klappern mal wieder, wie die Mühlen am rauschenden Bach.

ich schrei so laut, dass sogar Wölfe verstumm'n
erst schenk ich dir den Mond
und dann das ganze Universum

Dafür gibt es stehende Ovation von mir. Universum auf ein genuscheltes verstumm'n zu reimen, bringt ihn definitiv in die Hall Of Fame der besten Reimideen, was sich in der Welt von Matteo Capreoli wahrscheinlich auch reimt.
Um Wölfe zum verstummen zu bringen lade ich ihn gern einmal nach Brandenburg ein, wir haben hier nämlich welche, in Hamburg, wo der Erfinder dieser Zeilen zurzeit residiert, gibt es nicht einmal welche im Tierpark Hagenbeck. Und weil es so schön ist, lege ich noch ein paar Minions drauf, die dem lyrischen Ich helfen den Mond mit einem Schrumpfstrahler zu verkleinern.

ich werd so oft am Boden liegen, doch ich steh wieder auf
will nicht der Beste sein
nur das Beste für dich usw. usf.

Fazit: Matteo, sicher bist du ein netter Mensch, vielleicht hast du ja auch Talent, aber nimm bitte die Hilfe von Leuten an, die Erfahrung mit dem Schreiben haben und die über deine Texte schauen, bevor du sie für die Ewigkeit digitalisierst. Es lohnt sich!

Freitag, 17. Juli 2015

Adel Tawil „Lieder 2“

Ist die Welt nicht schön? Ja, sie ist nicht schön. Gerade als man dachte, man hätte ein wenig Ruhe vor seinen besonderen Freunden, gerade als man die trügerische Hoffnung nährte, es könnte nun eine lange, lange Pause geben, in der der Ausnahmekünstler Adel Tawil sich auf seine Wurzeln besinnen und neues Material erarbeiten würde, da springt er uns doch glatt aus dem TV auf gedeckten Abendbrottisch und verkündet stolz ein unerhört spannendes Projekt. Im Werbedeutsch liest sich das so:

Wie würde wohl ein Song klingen, der aus den Lieblingsliedern Tausender Menschen besteht? Der Komponist Adel Tawil hat sich dieser Frage angenommen und sucht im Internet nach den Favoriten der Deutschen. Aus diesen soll dann ein einzigartiger Hitmix entstehen.

Mal ganz abgesehen davon, dass ich denke, das „tausender“ in diesem Fall klein geschrieben wird, wirft diese Aktion vor allem eine Frage auf: „Hä?“
Also mal genauer hingeschaut und, aha, die Telekom steckt dahinter, man soll seine Lieblingslieder hochladen oder gleich über Spotify gehen. Das Ganze also eine ausgeklügelte, werberelevante Recyclingshow einer gar nicht mal so originellen Idee, aus Textversatzstücken einen Song zu machen. Was bei Adel Tawil und seiner Top-Lebens-Playlist einmal funktioniert hat, soll nun mit tausenden Deutschen auch funktionieren. Ich zitiere erneut:

Mit „Lieder 2“, so lautet der Titel des geplanten Songs, möchte der Deutsch-Tunesier schließlich scheinbar unvereinbare Genres und Emotionen in einem Lied zusammenbringen und aus den Top100 der geklickten Titel „ein Lied erschaffen, das uns alle berührt. Ich sehe darin eine sehr große Herausforderung für mich als Künstler. Es ist keine einfache Aufgabe. Aber gerade das reizt mich.“

Und weil diese Aufgabe vielleicht zu schwer für einen einzelnen Menschen ist (auch wenn es sich um einen Ausnahmekünstler handelt), biete ich hier und jetzt meine Hilfe an. Das Schöne an Statistik ist, dass alle Ecken und Kanten abgeschliffen werden und wir am Ende, sowieso die gleiche Top-Hundert-Liste bekommen, die Jahr für Jahr von allen Formatradiostationen gesendet wird. Wozu also abstimmen, wenn das Ergebnis längst feststeht?
Ich war also so frei, mich bei der Top-Hundert-Liste deutscher Lieder zu bedienen. Sollten englischsprachige Lieder einbezogen werden, dann investiere ich gern noch einmal eine halbe Stunde, denn länger dauert so ein Murks nicht.

Hier also, Tadaa!, die Weltpremiere von Lieder 2:

Lili Marleen kam aus Bochum
und nicht aus 'nem Haus am See,
war nie in New York gewesen
und sang nie Aloha He.
Sie ging über sieben Brücken,
fort ins Abenteuerland,
trank zehn kleine Jägermeister,
hatte Heimweh und war blank,
wollte nur ein bisschen Frieden,
auf der Reeperbahn halb eins,
traf sie aus Tirol den Anton,
der war auf dem Weg nach Mainz.
Dieser sprach zu ihr: “Ti amo,
ich will nur ein bisschen Spaß,
Marmor, Stein und Eisen brechen,
doch auf mich, da ist Verlass!“
In 'nem Sperrbezirk in Hamburg
kam es später zum Skandal,
Luftballons sind aufgestiegen,
99 an der Zahl.
„Rock me, rock me Amadeus!“,
schrie die Lili in die Nacht,
ganz Paris träumt von der Liebe,
wenn das Bett im Kornfeld kracht.
Wunder gibt es immer wieder,
doch für Lili gab es keins,
blau blüht auf der Alm der Enzian
und ihr Anton ging nach Mainz.
Nie ist er zurück gekommen,
nie gab es ein Wiederseh'n.
54, 74,
90 und 2010,
all die Jahre sind verronnen,
Lili träumt von Westerland,
doch sie ist jenseits von Eden,
will 'nen Cowboy nun als Mann.

Und der Adel sing uns Lieder,
wirft kein Geld ins Phrasenschwein,
macht die Beine breit für alle,
steckt sich fleißig Kohle ein,
die Sponsoren stehen Schlange,
schütteln fleißig ihm die Hand,
doch sie ahnen nichts von Lili,
wie sie träumt von Westerland.

Fazit: Was schwer aussieht muss nicht schwer sein, ich erkläre das Projekt „Unsere Lieder werden EINS“ hiermit für beendet!





Montag, 6. Juli 2015

Die Sache mit Hartmut Engler...

Wir schreiben das Jahr 2015, der Sommer kommt bis Juli irgendwie nicht in die Gänge und weil es am Abend zu kalt ist, sitzt man doch wieder vor dem TV Gerät und bestaunt die zweite Staffel von "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert". Dort rührt Dienstag für Dienstag Andreas Bourani die Nation zu Tränen und singt nebenbei alles außer Xavier Naidoo an die Wand, wir erleben die Neuerfindung von Yvonne Catterfeld, staunen über unsouveräne Prinzen, die einen Christina Stürmer Fanclub gründen wollen und fragen uns die ganze Zeit: Wer zum Teufel ist eigentlich Daniel Wirtz? Es wird viel abgeklatscht und noch viel mehr umarmt und weil es keine Castingshow ist, ist nichts peinlich, alle wunderbar und jeder in jedem Moment großartig. Das am meisten benutze Wort neben unglaublich ist unfassbar, weil alles so unglaublich, unfassbar gut ist: Die Songs, die Stimmen, die Interpretationen, die Menschen, der Gastgeber. Heile Welt am anderen Ende der derselben.

Alle Beteiligten stehen für deutsche Texte, überhaupt wird in Deutschland so viel deutsch gesungen wie nie zuvor, selbst die etwas ausgefranste Sarah Connor hat dieser Tage ein Album namens „Muttersprache“ in den Regalen. Konsequenterweise hätte sie ja anlässlich dessen auch zurück zum Geburtsnamen Sarah Lewe wechseln können, aber ich schweife ab.

Ja, und dann sitzt da noch - irgendwie verloren, irgendwie aus der Welt gefallen - Hartmut „Pur“ Engler, dessen große Stunde am 16. Juni 2015 schlägt, als die Songs seiner Band im Mittelpunkt stehen. Mit 2,53 Millionen Zuschauern schalteten mehr Vox-Zuschauer als jemals zuvor "Sing meinen Song - Das Tauschkonzert" ein. Auch die "Pur-Story" im Anschluss an das Tauschkonzert erreichte an jenem Abend einen neuen Bestwert: Die Dokumentation über den Sänger des Abends und seine Band kam auf insgesamt 2,31 Millionen Zuschauer, was mehr ist, als das Tauschkonzert sonst im Schnitt erreicht.

Zeit also, sich einmal einem seiner Texte zu widmen. Dachte ich. Denn je tiefer ich mich in die Welt des Sängers aus Großingersheim hinein begab, desto orientierungsloser und unsicherer wurde ich. Charakteristisch für seine Texte ist eine Mischung aus Alltagssprache und selbstdefinierter Poesie. Bei ihm sind mal die „Nerven am zerfetzen“, dann hat er das Licht am Ende des Tunnels „fest in Sicht“, er weint vor Glück und hat sich dabei höchstens seiner „Tränen stolz geschämt“. Alles ist sehr emotional. In vielen Texten geht es darum, dass das Gefühl über den Verstand siegen muss, damit man das Glück findet. Gern geschehen dabei regelrechte Wunder. Er sagt Sachen wie „Ich fühl' mich eifersüchtig, wohl nach Dir“ und obwohl solche und ähnliche Sätze kaum Sinn ergeben, versteht man doch irgendwie immer was er meint. Hartmut erfindet dann auch mal neue Worte wie Herzbeben und Funkelperlenaugen, manchmal biegt er die Grammatik zu seinen Gunsten und es gibt kaum eine Binsenweisheit aus Opas Zeiten, die nicht irgendwo in einem Text verbaut wurde.

In der Sendung vom 16. Juni gab es dann den unbestritten emotionalen Höhepunkt der Staffel, als Daniel Wirtz das vom Ballast des Pur-Arrangements befreite „Wenn sie diesen Tango hört“ sang. Hartmut Engler weinte und halb Zuschauerdeutschland auch. Diesen Moment kann man mit keiner Textkritik und keinem Zynismus der Welt kleinkriegen.
In der anschließenden Pur Story waren eine Menge (und wir sprechen von einer wirklich, wirklich großen Menge) Menschen, die seine Texte sangen, sich zu den Liedern von Pur küssten, umarmten und ebenfalls weinten. Einer erzählte, dass er früher Pur-Texte abgeschrieben und als Liebesbriefe verschickt habe. Und das war der Moment bei dem es bei mir Klick machte. Denn ich habe so etwas mit 14 auch gemacht, allerdings mit Citys „Am Fenster“. Und das ist der Punkt: Hartmut Englers Texte mögen schlageresk sein, kitschig und übertrieben pathetisch. Aber wenn es die Leute ins Mark trifft, wenn sie sich selber darin wieder finden, muss man dann nicht konstatieren, dass das in Ordnung geht?

Mein Liebesbrief bediente sich der Worte der Dichterin Hildegard Maria Rauchfuß:

Einmal wissen, dieses bleibt für immer
Ist nicht Rausch, der schon die Nacht verklagt
Ist nicht Farbenschmelz noch Kerzenschimmer
Von dem Grau des Morgens längst verjagt

Einmal fassen, tief im Blute fühlen
Dies ist mein und es ist nur durch dich
Nicht die Stirne mehr am Fenster kühlen
Dann ein Leben schwer vorüber strich

Einmal fassen, tief im Blute fühlen
Dies ist mein und es ist nur durch dich
Klagt ein Vogel, ach, auf mein Gefieder
Nässt der Regen, flieg ich durch die Welt

Ein Liebesbrief mit Texten von Hartmut Engler dürfte sich etwa so lesen:

Wenn der Himmel mir jetzt auf den Kopf drauf fällt,
bist du die Einzige, die noch zu mir hält.
Ich brauche jetzt deine ruhige Hand.
Oh, meld dich doch bei mir,
ich gäbe sonst was dafür.

Oder eben:

Ich lieb' Dich, egal wie das klingt
Ich lieb' Dich, ich weiß, dass es stimmt
Denn ich lieb' mich bei Dir, ich lieb' mich an Dir
Ich lieb' mich in Dir fest, wenn Du mich nur lässt

Das Gedicht von Hildegard Maria Rauchfuß ist Lyrik, ein geschliffenes Kleinod, welches ohne Toni Krahls lautmalerische Zusätze und Gogows Geige vielleicht gar kein so großer Hit geworden wäre. Pur spielt auf Schalke vor 50.000 Menschen und wenn Hans oder Peter am Abend von der Arbeit nach Hause kommen, bei welchem Satz würden sie sich wohler fühlen? Würden sie Uschi tief in die Augen blickten und sagen: „Uschi, einmal fassen, tief im Blute fühlen, dies ist mein und es ist nur durch dich!“? Oder lieber: „Ich lieb' mich in Dir fest, wenn Du mich nur lässt.“?

Für mich ging das Eine mit 14 in Ordnung, für Andere tun es Hartmuts Funkelperlenaugen. Ich selbst würde mich nie in Jemandem fest lieben wollen, an diesem Punkt kann man mit Textkritik ansetzen. Es gibt unbestritten ein Handwerk beim Texten, welches sich auf Reim und Metrum bezieht. Aber es gibt Grenzen, vor denen jede Kritik versagt, wenn ehrliche und tiefe Gefühle bei Menschen geweckt werden.

Fazit: Hartmut, du hast etwas geschafft, was dir keiner nehmen kann. Dafür gilt es, Respekt zu zollen.

Mittwoch, 10. Juni 2015

Tokio Hotel „Durch den Monsun“


Neulich Nacht werde ich doch wach und frage mich: „Warum eigentlich Monsun? Warum nicht Orkan, Hurrikan, Taifun oder einfach Sturm?“ Die eigentliche Frage ignorierend, warum mich ein 10 Jahre alter Song des Nachts heimsucht, machte ich mich an die Analyse des Textes der Magdeburger Band um die Kaulitz – Zwillinge. Deren erste Single „Durch den Monsun“ jagte 2005 durch die Decke und bescherte der Band Tokio Hotel einen heftigen Sturm des öffentlichen Interesses.
Nachdem ich den Text noch einmal gelesen hatte, recherchierte ich dessen Entstehung und musste leider alle strafmindernden Umstände revidieren. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit von sage und schreibe 5 Personen, die sich für Musik und Komposition angemeldet haben und der damals gerade erst strafmündig gewordene Bill Kaulitz ist nur einer davon. Dem androgynen Jüngling standen gleich vier Erwachsene zur Seite, darunter der Ex-Boygroup-Star und Autor David Jost und der Erfolgsproduzent Peter Hoffmann.

Das Fenster öffnet sich nicht mehr
Hier drin ist es voll von dir und leer
Und vor mir geht die letzte Kerze aus
Ich warte schon ’ne Ewigkeit
Endlich ist es jetzt soweit
Da draußen zieh’n die schwarzen Wolken auf

Ist das kryptisch? Arbeiten die Autoren hier mit Chiffren? Ist das pure Poesie, der man nur mit der Seele nachspüren kann? Ist alles konkret situativ beschrieben? Handelt es sich um zusammengepanschten Blödsinn?
Ich entscheide mich dafür, den Text nicht wörtlich zu nehmen, sondern darin Metaphern zu sehen. Allerdings sollten auch in diesem Fall Bilder und Bezüge innerhalb des Textes stimmen – ich komme darauf noch zu sprechen.
Demnach ist das Fenster also kein Fenster zum Hof, sondern das Fenster, welches sich normalerweise öffnet, wenn, wie eine Binsenweisheit besagt, irgendwo eine Tür zufällt. Da nun dieses Fenster sich nicht öffnet, es also keine Hoffnung gibt, werden wir verhaftet, um Zeuge zu werden, wie das lyrische Ich an der verlorenen, unglücklichen oder wahlweise auch bedrohten Liebe leidet.
Der poetische Raum ist zugleich voll und leer von der (vermutlich) arg vermissten Person und wer darin eine Paradoxie erkennen möchte hat in der Jugend nie geliebt.
Ein winziger Fingerzeig auf das leidige Thema Reim: Sauber reimen sich nur die ersten beiden Zeilen, für mehr reicht es zunächst nicht.
Weil alles so düster und traurig ist, geht die letzte Kerze aus und ich bin dankbar, dass der letzte Rest sterbender Hoffnung hier im Gewand der verlöschenden Kerze daher kommt und nicht namentlich erwähnt wird.
Nach drei Zeilen bekommt der Text dann einen Dreh, der ihn zum Refrain führen soll. Kurz das Klischee der gewarteten Ewigkeit zitiert, ohne die kein Liebesschmerzsong existieren kann, dann ist es endlich so weit, denn es ziehen schwarze Wolken auf – draußen, vor dem Fenster welches sich nicht mehr öffnet. Denn:

Ich muss durch den Monsun hinter die Welt
Ans Ende der Zeit bis kein Regen mehr fällt
Gegen den Sturm am Abgrund entlang
Und wenn ich nicht mehr kann, denk’ ich daran
Irgendwann laufen wir zusammen
Durch den Monsun, dann wird alles gut

Wenn es ein exemplarisches Beispiel für Metaphern-Häufung gibt, dann ist es dieser Abschnitt. Es genügt nicht, dass sich das lyrische Ich durch eine großräumige Luftzirkulation der unteren Troposphäre im Gebiet der Tropen und Subtropen im Einflussbereich der Passate kämpfen muss, es muss dabei noch hinter die Welt, an das Ende der Zeit und am Abgrund entlang. Das ist ziemlich viel verlangt aber wenn der Liebesschmerz groß ist, müssen es die Bilder auch sein. Das Ziel des ganzen Aufstandes wird auch benannt: Das lyrische Ich will irgendwann mit der (vermutlich) arg vermissten Person wieder zusammen sein und mit ihr durch den sturmgepeitschten Regen laufen. Dann wird alles gut.
Allerdings beantwortet das nicht die Frage, warum es ein Monsun sein muss. Seine stärkste Ausprägung und zugleich seinen Wortursprung hat der Begriff Monsun im Raum des Indischen Ozeans. Ist dies für die Autoren das Ende der Welt, welches es zu erreichen gilt? Ist die (vermutlich) Angebetete eine Inderin?
Ich will gnädig sein und annehmen, dass es sich um eine starke Metapher für Tränen handeln soll. Ein Sturm der Gefühle, der das lyrische Ich an den Abgrund drängt und nur das gemeinsame Weinen mit der (vermutlich) arg vermissten Person, macht alles wieder gut.

Weniger liebevolle Texte haben oft die Eigenschaft, dass einer leidlich schlechten ersten Strophe eine richtig schlechte zweite folgt. So auch in diesem Fall. Offensichtlich war man schon hoffnungslos mit Strophe Eins und Refrain überfordert, also Augen auf und durch:

n halber Mond versinkt vor mir
War der eben noch bei dir
Und hält er wirklich was er mir verspricht
Ich weiß, dass ich dich finden kann
Hör’ deinen Namen im Orkan
Ich glaub noch mehr dran glauben kann ich nicht

Ich sprach weiter oben von Bezügen innerhalb des Textes. Einen ganz klassischen Fehler findet sich gleich in Zeile eins. Die schwarzen Wolken, die eben noch aufzogen, und der Monsun der hereinbrach genügen offensichtlich nicht, um zu verhindern, dass das lyrische Ich dem halben Mond beim Versinken zusehen kann. Was braucht es jetzt eigentlich einen Mond? Warum diese kindlich naive Frage, ob jener eben noch bei der (vermutlich) arg vermissten Person (die von nun an im Text als „Varvep“ abgekürzt wird) war? Um die Verwirrung zu krönen soll dieser Mond auch noch etwas versprochen haben, das in Frage gestellt wird. Um welches Versprechen es sich handelt, was das alles mit der großräumigen Luftzirkulation zu tun hat bleibt das Geheimnis der Autoren.
Die zweite Hälfte der Strophe versöhnt mit einer Rückkehr zum Optimismus und zum schlechten Wetter, allerdings frage ich mich, wer den Namen der Varvep in den Orkan hinein ruft. Das rote Kreuz? Die Feuerwehr?
Bei all den Unzulänglichkeiten unerwartet, zeigt sich in dieser Strophe eine klare Reimstruktur, die man gar nicht so häufig findet: aa b cc b

Ich muss durch den Monsun Hinter die Welt
Ans Ende der Zeit bis kein Regen mehr fällt
Gegen den Sturm am Abgrund entlang
und wenn ich nicht mehr kann, denk’ ich daran
Irgendwann laufen wir zusammen
Weil uns einfach nichts mehr halten kann
Durch den Monsun

Der zweite Refrain unterscheidet sich nur um die hinzugefügte vorletzte Zeile, die uns – Klischee sei Dank – versichert, dass das lyrische Ich und die Varvep nicht mehr gehalten werden können, was impliziert, dass sie noch vor kurzem gehalten wurden. Nur von wem? Und warum?

Ich kämpf mich durch die Mächte, hinter dieser Tür
werde sie besiegen und dann führ’n sie mich zu dir
Dann wird alles gut, dann wird alles gut
Wird alles gut, alles gut

Auch eine schöne Steilvorlage, bei der kaum etwas gut wird, geschweige denn alles. Zunächst bestätigt sich der Verdacht, dass das Leben eben noch eine Tür zufallen ließ. Hinter dieser lauern nämlich finstere Mächte wie Eltern, Klassenkameraden, Schicksale und/oder Zombofanten, die, wenn sie besiegt wurden, auch noch so nett sind, das lyrische Ich zur Varvep zu führen. Herrlich.

Fazit: Wenn man jung ist und Liebeskummer hat, schreibt man solche Texte ins Poesiealbum und schämt sich später dafür. Der Erfolg des Songs gibt allen Beteiligten Recht – rechtfertig jedoch nicht dessen Lieblosigkeit.

Donnerstag, 12. Februar 2015

Unheilig „Wir sind Gipfelstürmer“

Ich hatte den Grafen schon an anderer Stelle am Wickel, aber sein neues Album bietet einfach zu viel Stoff zum nachhaken und so kann ich nicht zulassen, dass er sich ungestraft vom Acker macht. Reden wir also erneut über den Meister des zuckerwattigen Pathos.

Ich habe mir ganz spontan „Wir sind Gipfelstürmer“ herausgesucht, weil ich annehmen muss, dass dieser Song dem aktuellen und angeblich letzten Album den Namen gegeben hat. Ich vermutete daher, dass es ein ganz besonderer Song sein muss.
Unsere schöne neue Medienwelt beschert uns nicht nur Candy Crush, IBAN und Facebook Nutzungsbedingungen, nein, der Graf höchstselbst erklärt uns auf You Tube worum es bei „Wir sind Gipfelstürmer“ geht. Ich zitiere wörtlich:

„Das Lied handelt im Grunde genommen von der Botschaft, loszugehen, nicht immer alles auf Morgen zu verschieben, sondern einfach den Weg zu gehen, und dass wir das heute anpacken, dass wir heute starten, dass wir heute auf zu neuen Gipfeln gehen, dass wir heute in die großen Berge gehen, und dass wir dort auf ein großes Abendteuer gehen und irgendwann auf unserem großen Gipfel des Glücks ankommen.“

Na, dann schauen wir mal:

Die Kolben schlagen Sturm im Lauf
Es ruft das Horn zum Berg hinauf

An dieser Stelle sei vorweggenommen, dass das Motiv der Dampflok ganz wesentlich den Text bestimmt. Ohne diese Bedienungsanleitung wäre die erste Zeile nicht nur einfach schlecht (was sie auch mit dem Wissen um die Dampflok ist), sie wäre schlicht noch unverständlicher als sie es ohnehin schon ist.
Wie kann man einen Text mit so einem gedrechselten Quatsch beginnen? Die Kolben einer Dampfmaschine bewegen sich in den Zylindern, angetrieben vom Dampf wandeln sie Wärmeenergie in kinetische Energie um. Gut, lassen wir sie schlagen, lassen wir sie meinetwegen auch Sturm schlagen, die dichterische Freiheit ist groß. Akzeptieren wir auch, dass so eine Maschine läuft, sich fortbewegt, was auch immer. Aber noch einmal ganz langsam zum Mitmeißeln: Die – Kolben – schlagen – Sturm – im Lauf?

Es gilt, den Blödsinn zu geißeln und zu entlarven wo immer wir ihn treffen, auch wenn er sich hinter hochtrabenden Fassaden zu verstecken sucht!

Das war Zeile eins, bleibt uns nur noch das Horn, welches zum Berg hinauf ruft. Wir können annehmen, dass es das Signal der Lok ist, wobei es sich allerdings um eine dampfbetriebene Pfeife handelt, weswegen ich annehme, dass das lyrische Ich ein eigenes Signalhorn (Waldhorn, Flügelhorn, Posthorn, Jagdhorn, Olifant?) dabei hat, welches wie von Zauberhand von selbst ertönt, denn das Horn ist das Subjekt und ruft selbst. Was ruft es eigentlich? Ach, ich frage lieber nicht, das war schon genug Elend für gerade mal zwei Zeilen.
Lobend sei darauf hingewiesen, dass Lauf/hinauf sauber gereimt wurde. Spoiler: Es wird dem Grafen weiter unten ein zweites Mal gelingen.

Mit Kohlenglut und Feuerschein
An Täler, Tann' und Seen vorbei
Der Gipfel ruft uns aus der Ferne
Die Reise zieht uns in die Berge

Das singt er wirklich, ich hab noch zwei-, dreimal nachgehört. Warum korrigiert ihm denn keiner die Grammatik? Woran fahren wir vorbei? An Tälern! Das lässt sich sogar singen und wenn ihn das n nervt, dann doch gern „an Tal, und Tann' und See vorbei“. Apropos Grammatik: Wo ist eigentlich das Verb in den ersten beiden Zeilen? Bis zu diesem Zeitpunkt ist noch immer nicht klar, ob wir nicht mit Kohlebecken und Fackel über den Gletscher watscheln. Von fahren jedenfalls ist nirgendwo die Rede.
Nachdem das Horn-Subjekt schon zum Berg hinaufgerufen hatte, ruft nun ein ähnliches Gipfel-Subjekt aus der Ferne zurück. Ob es sich dabei eines Horns bedient oder einfach die Gipfel-Stimme erklingt, bleibt unserer wohlwollenden Interpretation überlassen. Noch besser wird es in Zeile vier, wenn uns das Reise-Subjekt in die Ferne zieht. Ich habe schon von Fernweh gehört, welches uns irgendwohin zieht, eine Reise jedoch, die einen Anfang, einen Verlauf und ein Ende hat, kann uns schwerlich ziehen, sie könnte uns rufen, aber das ist ja dem Gipfel vorbehalten. Führen? Was frag ich?
Es reimt sich weder Schein auf vorbei, noch Ferne auf Berge, hier haben wir es also eine Nulllösung auf diesem Gebiet.

Wir steigen an, bis wir am Himmel sind
Hoch hinaus, bis zum Wolkenrand der Welt
Wir ziehen los, immer weiter, immer höher
Und immer schneller
Bis zum Himmel um die Welt
Wir sind die Gipfelstürmer

Dank der Bedienungsanleitung wissen wir, dass wir eigentlich in einem Zug sitzen und wir vermeiden tunlichst die Frage, warum wir als Gipfelstürmer des Glücks verdammt noch mal auf eine Gehhilfe angewiesen sind. Also steigen wir nun an, bis wir am Himmel sind und weil das physikalisch noch nicht dumm genug und poetisch noch nicht abgegriffen genug ist, geht es noch ein Stückchen höher zum Wolkenrand der Welt. Wolken haben Ränder, die Welt jedoch hat keinen Rand, jedenfalls nicht mehr seit dem Mittelalter und Wolkenränder hat die Welt schon mal gar nicht, das ist Tatsache.
Wenn man sich den Refrain als Ganzes anschaut fällt auf, dass der Texter ziemlich vernarrt in den Himmel ist, die Formulierung „bis zum Himmel um die Welt“ schreit jedenfalls zum Selbigen. Etwas plump und unvermittelt wirkt deshalb die letzte Zeile. Was hat der Himmel jetzt genau mit dem Gipfel zu tun, den wir erstürmen, Verzeihung, befahren wollen? Ich habe vom Kopfschütteln schon einen steifen Hals.

Der Gleise Stahl führt uns den Weg
Es schreit der Pfad, es zittern Höhen

Da jubelt der Poet in mir: „Der Gleise Stahl“ statt der „Stahl der Gleise“... Was macht das eigentlich mit einer Formulierung, wenn man sie derart verdreht? Geht es nur mir so, oder denkt der ein oder andere auch an den aggressiven Duktus alter Reichsparteitagsreden?
Zeile zwei bildet den bisherigen Höhepunkt des Textes. Wann schreibt man so eine Zeile? In welchem Zustand muss man sich befinden, um sie nicht spätestens vor der Aufnahme in einem Tonstudio zu streichen? Hat der Mann keine Freunde, die ihn zur Seite nehmen und fragen: „Sag mal Bernd, willst Du ernsthaft von schreienden Pfaden und zitternden Höhen singen? Das reimt sich ja nicht einmal."

Im Eisentier durch Schnee und Sturm
Die Berge spiegeln unser Horn
Vom Himmelrand ruft uns die Ferne
Die Freiheit zieht uns in die Berge

Die Dampflok wird auch gern als Dampfross bezeichnet, die Metapher Eisentier kann durchaus als gelungen bezeichnet werden, allerdings fehlt wieder einmal das Verb, welches wir gedanklich hinzufügen müssen und den offiziellen Beweis, dass wir in einem Zug sitzen und auf der Gleise Stahl zum Gipfel rauschen bleibt uns der Text weiterhin schuldig.
Grassierender Unsinn auch in der zweiten Zeile, denn es wird behauptet, dass die Berge das Horn spiegeln, wo sich doch bestenfalls die Berge selbst im blankgeputzten Horn spiegeln könnten. Aber mit der Physik steht der Text eh auf dem Kriegsfuß.
Das Rufen und das Ziehen hat dem Grafen so gefallen, dass zur Abwechslung jetzt nicht der Gipfel aus der Ferne, sondern die Ferne selbst aus der Ferne ruft und dort, wo uns eben noch die Reise zog, da ist es nun die Freiheit, die uns in die Berge zieht und wir wagen nicht zu fragen, was dass denn für eine Freiheit ist, die uns zieht und uns somit unfrei macht. Das Ganze Elend mit Nullreim bei Sturm/Horn und Ferne/Berge, welches wir weiter oben schon einmal hatten.

Und irgendwann, wenn wir den Gipfel im Licht sehen
Ist das Glück zum Greifen nah, dort oben zu stehen
Ist das Glück zum Greifen nah
Bis zum Himmel um die Welt

Auch ein schöner Satz. Bedeutet so viel wie: Wenn man den Gipfel sehen kann, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, auch bald auf auf ihm zu stehen. Was für ein Geschwalle!
Dafür präsentiert uns der Autor hier seinen zweiten und letzten sauberen Reim: sehen/stehen.

Wir steigen an, bis wir am Himmel sind... usw.

Fazit:

Die Kolben treiben Räder an,
der Graf sitzt in der Eisenbahn,
fährt sehr bequem durch Tal und Tann
und kommt alsbald am Gipfel an.

Die Ferne ruft, der Gipfel auch,
die Reise zieht, so ist der Brauch,
ihn an den Wolkenrand der Welt,
dort steht der Graf nun stolzgeschwellt.

In seinem Berg, da spiegeln schön
sich Hörner, die im Lichte steh'n,
dort wohnt das Glück in Ewigkeit,
unheilig schön und tief verschneit.

Es schreit der Pfad, es zittern Höh'n,
so könnt' es ewig weiter geh'n.
Doch bald zieht ihn die Freiheit fort,
darauf gab Bernd sein Ehrenwort.