Donnerstag, 12. Februar 2015

Unheilig „Wir sind Gipfelstürmer“

Ich hatte den Grafen schon an anderer Stelle am Wickel, aber sein neues Album bietet einfach zu viel Stoff zum nachhaken und so kann ich nicht zulassen, dass er sich ungestraft vom Acker macht. Reden wir also erneut über den Meister des zuckerwattigen Pathos.

Ich habe mir ganz spontan „Wir sind Gipfelstürmer“ herausgesucht, weil ich annehmen muss, dass dieser Song dem aktuellen und angeblich letzten Album den Namen gegeben hat. Ich vermutete daher, dass es ein ganz besonderer Song sein muss.
Unsere schöne neue Medienwelt beschert uns nicht nur Candy Crush, IBAN und Facebook Nutzungsbedingungen, nein, der Graf höchstselbst erklärt uns auf You Tube worum es bei „Wir sind Gipfelstürmer“ geht. Ich zitiere wörtlich:

„Das Lied handelt im Grunde genommen von der Botschaft, loszugehen, nicht immer alles auf Morgen zu verschieben, sondern einfach den Weg zu gehen, und dass wir das heute anpacken, dass wir heute starten, dass wir heute auf zu neuen Gipfeln gehen, dass wir heute in die großen Berge gehen, und dass wir dort auf ein großes Abendteuer gehen und irgendwann auf unserem großen Gipfel des Glücks ankommen.“

Na, dann schauen wir mal:

Die Kolben schlagen Sturm im Lauf
Es ruft das Horn zum Berg hinauf

An dieser Stelle sei vorweggenommen, dass das Motiv der Dampflok ganz wesentlich den Text bestimmt. Ohne diese Bedienungsanleitung wäre die erste Zeile nicht nur einfach schlecht (was sie auch mit dem Wissen um die Dampflok ist), sie wäre schlicht noch unverständlicher als sie es ohnehin schon ist.
Wie kann man einen Text mit so einem gedrechselten Quatsch beginnen? Die Kolben einer Dampfmaschine bewegen sich in den Zylindern, angetrieben vom Dampf wandeln sie Wärmeenergie in kinetische Energie um. Gut, lassen wir sie schlagen, lassen wir sie meinetwegen auch Sturm schlagen, die dichterische Freiheit ist groß. Akzeptieren wir auch, dass so eine Maschine läuft, sich fortbewegt, was auch immer. Aber noch einmal ganz langsam zum Mitmeißeln: Die – Kolben – schlagen – Sturm – im Lauf?

Es gilt, den Blödsinn zu geißeln und zu entlarven wo immer wir ihn treffen, auch wenn er sich hinter hochtrabenden Fassaden zu verstecken sucht!

Das war Zeile eins, bleibt uns nur noch das Horn, welches zum Berg hinauf ruft. Wir können annehmen, dass es das Signal der Lok ist, wobei es sich allerdings um eine dampfbetriebene Pfeife handelt, weswegen ich annehme, dass das lyrische Ich ein eigenes Signalhorn (Waldhorn, Flügelhorn, Posthorn, Jagdhorn, Olifant?) dabei hat, welches wie von Zauberhand von selbst ertönt, denn das Horn ist das Subjekt und ruft selbst. Was ruft es eigentlich? Ach, ich frage lieber nicht, das war schon genug Elend für gerade mal zwei Zeilen.
Lobend sei darauf hingewiesen, dass Lauf/hinauf sauber gereimt wurde. Spoiler: Es wird dem Grafen weiter unten ein zweites Mal gelingen.

Mit Kohlenglut und Feuerschein
An Täler, Tann' und Seen vorbei
Der Gipfel ruft uns aus der Ferne
Die Reise zieht uns in die Berge

Das singt er wirklich, ich hab noch zwei-, dreimal nachgehört. Warum korrigiert ihm denn keiner die Grammatik? Woran fahren wir vorbei? An Tälern! Das lässt sich sogar singen und wenn ihn das n nervt, dann doch gern „an Tal, und Tann' und See vorbei“. Apropos Grammatik: Wo ist eigentlich das Verb in den ersten beiden Zeilen? Bis zu diesem Zeitpunkt ist noch immer nicht klar, ob wir nicht mit Kohlebecken und Fackel über den Gletscher watscheln. Von fahren jedenfalls ist nirgendwo die Rede.
Nachdem das Horn-Subjekt schon zum Berg hinaufgerufen hatte, ruft nun ein ähnliches Gipfel-Subjekt aus der Ferne zurück. Ob es sich dabei eines Horns bedient oder einfach die Gipfel-Stimme erklingt, bleibt unserer wohlwollenden Interpretation überlassen. Noch besser wird es in Zeile vier, wenn uns das Reise-Subjekt in die Ferne zieht. Ich habe schon von Fernweh gehört, welches uns irgendwohin zieht, eine Reise jedoch, die einen Anfang, einen Verlauf und ein Ende hat, kann uns schwerlich ziehen, sie könnte uns rufen, aber das ist ja dem Gipfel vorbehalten. Führen? Was frag ich?
Es reimt sich weder Schein auf vorbei, noch Ferne auf Berge, hier haben wir es also eine Nulllösung auf diesem Gebiet.

Wir steigen an, bis wir am Himmel sind
Hoch hinaus, bis zum Wolkenrand der Welt
Wir ziehen los, immer weiter, immer höher
Und immer schneller
Bis zum Himmel um die Welt
Wir sind die Gipfelstürmer

Dank der Bedienungsanleitung wissen wir, dass wir eigentlich in einem Zug sitzen und wir vermeiden tunlichst die Frage, warum wir als Gipfelstürmer des Glücks verdammt noch mal auf eine Gehhilfe angewiesen sind. Also steigen wir nun an, bis wir am Himmel sind und weil das physikalisch noch nicht dumm genug und poetisch noch nicht abgegriffen genug ist, geht es noch ein Stückchen höher zum Wolkenrand der Welt. Wolken haben Ränder, die Welt jedoch hat keinen Rand, jedenfalls nicht mehr seit dem Mittelalter und Wolkenränder hat die Welt schon mal gar nicht, das ist Tatsache.
Wenn man sich den Refrain als Ganzes anschaut fällt auf, dass der Texter ziemlich vernarrt in den Himmel ist, die Formulierung „bis zum Himmel um die Welt“ schreit jedenfalls zum Selbigen. Etwas plump und unvermittelt wirkt deshalb die letzte Zeile. Was hat der Himmel jetzt genau mit dem Gipfel zu tun, den wir erstürmen, Verzeihung, befahren wollen? Ich habe vom Kopfschütteln schon einen steifen Hals.

Der Gleise Stahl führt uns den Weg
Es schreit der Pfad, es zittern Höhen

Da jubelt der Poet in mir: „Der Gleise Stahl“ statt der „Stahl der Gleise“... Was macht das eigentlich mit einer Formulierung, wenn man sie derart verdreht? Geht es nur mir so, oder denkt der ein oder andere auch an den aggressiven Duktus alter Reichsparteitagsreden?
Zeile zwei bildet den bisherigen Höhepunkt des Textes. Wann schreibt man so eine Zeile? In welchem Zustand muss man sich befinden, um sie nicht spätestens vor der Aufnahme in einem Tonstudio zu streichen? Hat der Mann keine Freunde, die ihn zur Seite nehmen und fragen: „Sag mal Bernd, willst Du ernsthaft von schreienden Pfaden und zitternden Höhen singen? Das reimt sich ja nicht einmal."

Im Eisentier durch Schnee und Sturm
Die Berge spiegeln unser Horn
Vom Himmelrand ruft uns die Ferne
Die Freiheit zieht uns in die Berge

Die Dampflok wird auch gern als Dampfross bezeichnet, die Metapher Eisentier kann durchaus als gelungen bezeichnet werden, allerdings fehlt wieder einmal das Verb, welches wir gedanklich hinzufügen müssen und den offiziellen Beweis, dass wir in einem Zug sitzen und auf der Gleise Stahl zum Gipfel rauschen bleibt uns der Text weiterhin schuldig.
Grassierender Unsinn auch in der zweiten Zeile, denn es wird behauptet, dass die Berge das Horn spiegeln, wo sich doch bestenfalls die Berge selbst im blankgeputzten Horn spiegeln könnten. Aber mit der Physik steht der Text eh auf dem Kriegsfuß.
Das Rufen und das Ziehen hat dem Grafen so gefallen, dass zur Abwechslung jetzt nicht der Gipfel aus der Ferne, sondern die Ferne selbst aus der Ferne ruft und dort, wo uns eben noch die Reise zog, da ist es nun die Freiheit, die uns in die Berge zieht und wir wagen nicht zu fragen, was dass denn für eine Freiheit ist, die uns zieht und uns somit unfrei macht. Das Ganze Elend mit Nullreim bei Sturm/Horn und Ferne/Berge, welches wir weiter oben schon einmal hatten.

Und irgendwann, wenn wir den Gipfel im Licht sehen
Ist das Glück zum Greifen nah, dort oben zu stehen
Ist das Glück zum Greifen nah
Bis zum Himmel um die Welt

Auch ein schöner Satz. Bedeutet so viel wie: Wenn man den Gipfel sehen kann, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, auch bald auf auf ihm zu stehen. Was für ein Geschwalle!
Dafür präsentiert uns der Autor hier seinen zweiten und letzten sauberen Reim: sehen/stehen.

Wir steigen an, bis wir am Himmel sind... usw.

Fazit:

Die Kolben treiben Räder an,
der Graf sitzt in der Eisenbahn,
fährt sehr bequem durch Tal und Tann
und kommt alsbald am Gipfel an.

Die Ferne ruft, der Gipfel auch,
die Reise zieht, so ist der Brauch,
ihn an den Wolkenrand der Welt,
dort steht der Graf nun stolzgeschwellt.

In seinem Berg, da spiegeln schön
sich Hörner, die im Lichte steh'n,
dort wohnt das Glück in Ewigkeit,
unheilig schön und tief verschneit.

Es schreit der Pfad, es zittern Höh'n,
so könnt' es ewig weiter geh'n.
Doch bald zieht ihn die Freiheit fort,
darauf gab Bernd sein Ehrenwort.

1 Kommentar:

  1. Bodenski - Du bist der Beste und hast es mal wieder auf den Punkt gebracht :-)!

    Von mir aus kann der Graf gerne in den Ruhestand gehen und braucht auch nicht zurückzukommen.

    Ich jedenfalls werde ihn nicht vermissen.

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