Ist die Welt nicht
schön? Ja, sie ist nicht schön. Gerade als man dachte, man hätte
ein wenig Ruhe vor seinen besonderen Freunden, gerade als man die
trügerische Hoffnung nährte, es könnte nun eine lange, lange Pause
geben, in der der Ausnahmekünstler Adel Tawil sich auf seine Wurzeln
besinnen und neues Material erarbeiten würde, da springt er uns doch
glatt aus dem TV auf gedeckten Abendbrottisch
und verkündet stolz ein unerhört spannendes Projekt. Im
Werbedeutsch liest sich das so:
Wie würde wohl
ein Song klingen, der aus den Lieblingsliedern Tausender Menschen
besteht? Der Komponist Adel Tawil hat sich dieser Frage angenommen
und sucht im Internet nach den Favoriten der Deutschen. Aus diesen
soll dann ein einzigartiger Hitmix entstehen.
Mal ganz abgesehen
davon, dass ich denke, das „tausender“ in diesem Fall klein
geschrieben wird, wirft diese Aktion vor allem eine Frage auf: „Hä?“
Also mal genauer
hingeschaut und, aha, die Telekom steckt dahinter, man soll seine
Lieblingslieder hochladen oder gleich über Spotify gehen. Das Ganze
also eine ausgeklügelte, werberelevante Recyclingshow einer gar
nicht mal so originellen Idee, aus Textversatzstücken einen Song zu
machen. Was bei Adel Tawil und seiner Top-Lebens-Playlist einmal
funktioniert hat, soll nun mit tausenden Deutschen auch
funktionieren. Ich zitiere erneut:
Mit „Lieder 2“,
so lautet der Titel des geplanten Songs, möchte der Deutsch-Tunesier
schließlich scheinbar unvereinbare Genres und Emotionen in einem
Lied zusammenbringen und aus den Top100 der geklickten Titel „ein
Lied erschaffen, das uns alle berührt. Ich sehe darin eine sehr
große Herausforderung für mich als Künstler. Es ist keine einfache
Aufgabe. Aber gerade das reizt mich.“
Und weil diese
Aufgabe vielleicht zu schwer für einen einzelnen Menschen ist (auch
wenn es sich um einen Ausnahmekünstler handelt), biete ich hier und
jetzt meine Hilfe an. Das Schöne an Statistik ist, dass alle Ecken
und Kanten abgeschliffen werden und wir am Ende, sowieso die gleiche
Top-Hundert-Liste bekommen, die Jahr für Jahr von allen
Formatradiostationen gesendet wird. Wozu also abstimmen, wenn das
Ergebnis längst feststeht?
Ich war also so
frei, mich bei der Top-Hundert-Liste deutscher Lieder zu bedienen.
Sollten englischsprachige Lieder einbezogen werden, dann investiere
ich gern noch einmal eine halbe Stunde, denn länger dauert so ein
Murks nicht.
Hier also, Tadaa!,
die Weltpremiere von Lieder 2:
Lili Marleen kam aus
Bochum
und nicht aus 'nem
Haus am See,
war nie in New York
gewesen
und sang nie Aloha
He.
Sie ging über
sieben Brücken,
fort ins
Abenteuerland,
trank zehn kleine
Jägermeister,
hatte Heimweh und
war blank,
wollte nur ein
bisschen Frieden,
auf der Reeperbahn
halb eins,
traf sie aus Tirol
den Anton,
der war auf dem Weg
nach Mainz.
Dieser sprach zu
ihr: “Ti amo,
ich will nur ein
bisschen Spaß,
Marmor, Stein und
Eisen brechen,
doch auf mich, da
ist Verlass!“
In 'nem Sperrbezirk
in Hamburg
kam es später zum
Skandal,
Luftballons sind
aufgestiegen,
99 an der Zahl.
„Rock me, rock me
Amadeus!“,
schrie die Lili in
die Nacht,
ganz Paris träumt
von der Liebe,
wenn das Bett im
Kornfeld kracht.
Wunder gibt es immer
wieder,
doch für Lili gab
es keins,
blau blüht auf der
Alm der Enzian
und ihr Anton ging
nach Mainz.
Nie ist er zurück
gekommen,
nie gab es ein
Wiederseh'n.
54, 74,
90 und 2010,
all die Jahre sind
verronnen,
Lili träumt von
Westerland,
doch sie ist
jenseits von Eden,
will 'nen Cowboy nun
als Mann.
Und der Adel sing
uns Lieder,
wirft kein Geld ins
Phrasenschwein,
macht die Beine
breit für alle,
steckt sich fleißig
Kohle ein,
die Sponsoren stehen
Schlange,
schütteln fleißig
ihm die Hand,
doch sie ahnen
nichts von Lili,
wie sie träumt von
Westerland.
Fazit: Was schwer
aussieht muss nicht schwer sein, ich erkläre das Projekt „Unsere
Lieder werden EINS“ hiermit für beendet!
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