Mir geht es dabei gar nicht so sehr um
die Künstler, deren großer Erfolg durch meine Besprechung nicht
kleiner wird, es geht mir mehr darum, wie wir Texte verstehen und was
wir entdecken, wenn wir genauer hinschauen. Und weil Kritik auch zur
Abwechslung positiv ausfallen sollte, wird es heute lobende Worte
geben.
Der aktuelle Bandname von „Wir Sind
Helden“ lautet zur Zeit „Wir Waren Helden“. Nach einbrechenden
Verkaufszahlen und innerbetrieblichen Verwerfungen tauchte die Band
ab. Aktuell versucht Sängerin Judith Holofernes mit einem Soloalbum
an alte Erfolge anzuknüpfen. Auch wenn ich den leicht nöligen,
immer etwas schiefen Gesang von Judith nicht so mag, so habe ich doch
Respekt vor ihrem lyrischen Talent.
Dass man bei ihr genauer hinhören darf
zeigt sich schon in ihrem Pseudonym. Bürgerlich heißt die
Berlinerin Judith Holfelder von der Tann. In den apokryphen Schriften
des Alten Testaments findet sie eine Judith, die den assyrischen
Feldherrn Holofernes betört und enthauptet. Daraus einen
Künstlernamen zu generieren ist, gelinde gesagt, originell.
In dem Text „Nur ein Wort“ geht es
um etwas sehr Irdisches, geradezu Profanes, denn sie baggert jemanden
an, würde sich verführen lassen, aber er bleibt stumm, zeigt
keinerlei Initiative. Damit ist, was die Interpretation betrifft,
alles gesagt. So zeigt der Text auch, dass es Songs gibt, die nicht
den Anspruch haben, uns die Welt zu erklären und/oder sie zu
retten.
Ich sehe, dass du denkst
Ich denke, dass du fühlst
Ich fühle, dass du willst
Aber ich hör dich nicht, ich
Ich denke, dass du fühlst
Ich fühle, dass du willst
Aber ich hör dich nicht, ich
Alles beginnt mit einer Reihe, die uns
ziemlich charmant und beiläufig in das Lied zieht. Das lyrische Ich
sieht, denkt und fühlt, dass da was geht beim Gegenüber, aber der
erste Schritt, ein erstes Wort bleibt aus.
So etwas wie
das überhängende „ich“ am Ende der vierten Zeile denkt man sich
nicht am Schreibtisch aus, das kommt mit der Musik und bindet den
zweiten Teil der Strophe flüssig an den ersten (dafür gibt es sogar
einen literaturwissenschaftlichen Ausdruck: Enjambement
oder Zeilensprung).
(ich) Hab mir ein Wörterbuch
geliehen
Dir A bis Z ins Ohr geschrien
Ich stapel tausend wirre Worte auf
Die dich am Ärmel ziehen
Dir A bis Z ins Ohr geschrien
Ich stapel tausend wirre Worte auf
Die dich am Ärmel ziehen
Ist es jemandem aufgefallen? In den
ersten vier Zeilen gibt es keine Substantive und keinen Reim. Ab
jetzt wird gereimt was das Zeug hält und Substantive gibt es auch,
denn sie sind unverzichtbare Leuchttürme im Text. Beim Reimschema
entscheidet sich die Texterin für a, a, b, a. Diese nicht ganz
gewöhnliche Form hält sie im weiteren Verlauf durch und weicht nur
in der Bridge vor dem Refrain davon ab (klassisch a, b, c, b), so
dass der Text auch strukturell recht komplex ist, ohne angestrengt zu
wirken.
Inhaltlich übernimmt das lyrische Ich nun die Initiative - aber
richtig. Ganz nebenbei gibt es noch eine schöne Alliteration (wirre
Worte) und ein tolles Bild oben drauf, denn jemandem mit Worten am
Ärmel ziehen ist schönes Kopfkino.
Und wo du hingehen willst
Ich häng an deinen Beinen
Wenn du schon auf den Mund fallen musst
Warum dann nicht auf meinen
Frau Holfelder von der Tann bürstest
gern stehende Redewendungen gegen den Strich. Das schafft Dynamik und
eine gewisse, gewollte Komik. Jemandem an den Beinen, statt am
Rockzipfel zu hängen ist schon witzig, aber die Redewendung „nicht
auf den Mund gefallen“ in „auf den Mund gefallen“
umzumünzen und dann rollig zu fragen „warum dann nicht auf
meinen?“ ist schon sehr elegant.
Oh bitte gib mir nur ein Oh
Bitte gib mir nur ein Oh
Bitte bitte gib mir nur ein Wort (gekürzt)
Auf die
Gefahr hin heute sehr wissenschaftlich zu sein: „Oh“ gehört zu
den Interjektionen. Diese Ausrufe- oder
Empfindungsworte stehen auf der untersten Ebene
unserer Sprache. Da muss das lyrische Ich schon sehr verzweifelt
sein, sich damit zu begnügen. Ich kann
mich an keinen Popsong erinnern, der eine solche Situationskomik so
knapp einfängt.
Es ist verrückt, wie schön du schweigst
Wie du dein hübsches Köpfchen neigst
Und so der ganzen lauten Welt
Und mir die
kalte Schulter zeigst
Der Anfang der zweiten Strophe kommt
sauber gereimt daher (a, a, b, a), auch hier wird eine stehende
Redewendung verwurstet, wenn auch nicht so originell wie oben, aber
die Latte liegt jetzt schon verdammt hoch.
Dein Schweigen ist dein Zelt
Du stellst es mitten in die Welt
Spannst die Schnüre und staunst stumm
Wenn nachts ein Mädchen drüber
fällt
Muss man das kommentieren? Hier löst
sich Judith Holofernes von jeder bekannten Phrase, jeder stehenden
Redewendung und brilliert mit einer kreativen Metapher. Auch hier a,
a, b, a und einmal mehr das Mittel der Alliteration, welches weiter
gefasst die ganze dritte Zeile dominiert (spannst Schnüre, staunst
stumm).
Zu deinen Füssen red ich mich
Um Kopf und Kragen
Ich will in deine tiefen Wasser
Große Wellen schlagen
Hier gelingt es der Texterin noch einmal, eine stehende Redewendung (stille Wasser sind tief), aufzugreifen. Große Wellen will das lyrische Ich darin schlagen. Es folgt der Refrain.
Zu deinen Füssen red ich mich
Um Kopf und Kragen
Ich will in deine tiefen Wasser
Große Wellen schlagen
Hier gelingt es der Texterin noch einmal, eine stehende Redewendung (stille Wasser sind tief), aufzugreifen. Große Wellen will das lyrische Ich darin schlagen. Es folgt der Refrain.
Popsongs haben ziemlich eingefahrene
Strukturen, da machen auch „Wir Waren Helden“ keine Ausnahme,
weswegen es dann nach einem einfachen musikalischen C-Part noch
einmal in die Bridge und dann in den Refrain geht. Es spricht für
die Texterin, dass sie keine Zeilen wiederholt, sondern für die
Bridge noch einmal mit vier weiteren originellen Zeilen punktet:
In meinem Blut werfen
Die Endorphine Blasen
Wenn hinter deinen stillen
Hasenaugen die Gedanken rasen
Die Endorphine Blasen
Wenn hinter deinen stillen
Hasenaugen die Gedanken rasen
Können Endorphine
Blasen werfen? Nein. Stört mich das? Nein. Wirkt der Reim “rasen“
auf „Blasen“ aufgesetzt? Nein, ich finde nicht.
Fazit: Was so locker improvisiert
scheint und beiläufig ins Mikro genuschelt wird ist handwerklich gut
gemacht und mit intelligenten Einfällen gespickt.
Diese Kritik kann ja mal locker von den des Reich-Ranicki in der FAZ mithalten :D
AntwortenLöschenLG
Schön, dass jemand, der sich auszukennen scheint, meine Meinung zur Band und insbesondere diesem Lied teilt!
AntwortenLöschenWürd' mir mal das Auseinandernehmen der Texte von "Ich&Ich" wünschen... :-)
Lol, um eine erfolglose Verführung, klingt ja eher wie eine Mutter die versucht an das innere ihres autistischen Kindes zu kommen
AntwortenLöschenGeht es nicht eher um ein Tier?
AntwortenLöschenWie interessant, was wir da alle so raushören. :)
AntwortenLöschenEs geht für mich eindeutig um Jesus. Die eher zweifelnde Suche nach ihm ... Er antwortet ihr einfach nicht...