Silbermond hatten ein kurzes
Zeitfenster, in dem für sie die Möglichkeit bestand, zu einer
Stadionrockband aufzusteigen, die in Deutschland vielleicht sogar mit
Lindenberg, Grönemeyer oder PUR hätte konkurrieren können. Ihre
2004 und 2006 erschienenen Alben „Verschwende deine Zeit“ und
„Laut gedacht“ verkauften sich jeweils rund 500.000 mal. Eine
unglaubliche Zahl von Alben. Auch heute noch verkauft die Band
anständig, aber ihre Aura hat gelitten und die Chance, das neue,
ganz große Ding zu sein, ist vertan.
Meiner
Meinung nach liegt einer der Gründe dafür in der Substanzlosigkeit
ihrer Texte. Der hier vorliegende Text ihrer 2012 erschienenen Single
„Ja“ ist da kein Einzelfall, denn dieses Manko zieht sich wie ein
roter Faden durch das Œuvre.
Das vorliegende
Textprinzip findet sich auch in den Werken
vieler anderer Künstler: Mit viel heißer Luft wird ein wohliges
Gefühl erzeugt, der Text rauscht vorbei, nichts bleibt hängen,
außer, dass man glaubt, etwas von Bedeutung vernommen zu haben, das
verborgene Saiten in Einem zum klingen
brachte. Ist dem so? Schauen wir genauer hin:
Ich bin verlor'n in deiner Mitte
Machst mich zum Kämpfer ohne Visier
Alles gedreht, Sinne wie benebelt
Ich bin so heillos betrunken von dir
Du wärmst mich auf mit deinem Wesen
Und lässt nicht einen Zentimeter
unverschont
Du flutest alle meine Decks mit
Hoffnung
Auf ein echtes Leben vor dem Tod
Eine Aufzählung. Und was für eine!
Dass es sich hier um ein klassisches Liebeslied handelt, wird von der
ersten bis zur letzen Zeile niemand bestreiten wollen.
Doppelsinnigkeit wäre dem typischen Silbermondgefühl abträglich.
Gleich in der ersten Zeile bekennt das
lyrische Ich, dass es verloren wäre. In der Mitte desjenigen, an den
das Lied gerichtet ist. Darüber möchte man eine Weile sinnieren.
Allerdings lässt der Text einem nicht die Zeit dazu, denn schon das
nächste Bild fordert uns ebenso: „Kämpfer ohne Visier“. Wenn
„Kämpfer“ und „Visier“ in einem Satz auftauchen, denke ich
zuerst an Ritterkampf, an einen eisernen Helm. Dass dieser ohne
Visier daher kommt, lässt mich vermuten, dass hier ohne Deckung,
gekämpft wird. Was für ein schönes Bild, wenn es um ein Liebeslied
geht. Leider wird der Gedanke nicht weiter entwickelt. Es folgen
abrupt immer weitere Bilder: Das lyrische Ich hat benebelte Sinne,
ist betrunken von dem Adressaten, dessen Wesen aber auch wärmt.
Alles Bilder aus der Grabbelkiste der Gebrauchslyrik. Da habe ich
dann auch keine Lust mehr zu hinterfragen, warum kein Zentimeter
verschont wird. Aber wenn man mit offenem Visier kämpft, muss man
damit wohl rechnen, wobei ich jetzt definitiv überinterpretiere. Und
weil die Musik noch zwei weitere Zeilen verlangt, wechselt man gleich
noch zum maritimen Fundus und flutet die Decks (welche Decks?) mit
Hoffnung auf ein echtes Leben vor dem Tod. Dafür gäbe es den Pathos
Award, denn wir alle wollen schließlich ein echtes Leben!
Schön das das mal einer ausspricht. Ganz nebenbei kommt dieser Vers
mit einem einzigen Reim aus. Reim bedeutet Struktur und die fehlt
halt an allen Ecken.
Und Ja ich atme dich
Ja ich brenn für dich
Und ja ich leb für dich
Jeden Tag
Und ja du spiegelst mich
Und ja ich schwör auf dich und jede
meiner Fasern
Sagt Ja
Und ja, alle Worte sind so hohl und so
banal und doch so wunderschön, denn wer möchte nicht auch, dass der
oder die Angebetete für einen atmet, brennt, lebt und sich in einem
spiegelt, auch wenn man gar nicht weiß, wie Letzteres genau gemeint
ist. Aber warum nachdenken, es reicht ja, dass es geschwört wird.
Es ist noch immer so schwer zu
glauben
Wie Du die meisten meiner Fehler
übersiehst
Du erdest jeden meiner Gedanken
Verleihst Flügel, wenn Zweifel
überwiegt
Nach dem Pathos und der Bilderflut der
ersten Strophe wird es am Anfang der zweiten regelrecht bodenständig.
Ja, Fehler haben wir alle und es ist schön, wenn die auch mal
übersehen werden. Nach meiner Erfahrung eine Grundvoraussetzung für
dauerhafte Beziehungen. Und während wir noch zustimmend nicken,
brechen unvermittelt wieder zusammenhanglose Bilder über uns Hörer
(Leser) herein: Gedanken werden geerdet (das lag in der der Kiste
gleich neben den Decks, die mit Hoffnung geflutet wurden), Flügel
werden verliehen, um Zweifeln davon zu fliegen. Das ist purer Kitsch,
getarnt als niveauvoller Pop, zu dem im anschließenden Refrain
beschwörend erneut ja gesagt wird.
Übrigens gibt es in dieser Strophe
keinen einzigen Reim. Da bleiben die Künstler konsequent.
Ja zu jedem Tag mit dir
Ja zu jedem deiner Fehler
Asche und Gold - ich trag alles mit
dir!
Denn ich bin und bleib verlor'n in
deiner Mitte
In deiner Mitte
Bis der Vorhang fällt
Die Sache mit den Fehlern und der Mitte
kommt uns bekannt vor. Sie erzeugen ein Echo, welches uns sagen soll:
Egal wie banal dir alles vorgekommen ist, du bist selber schuld, denn
die wahre Tiefe des Textes blieb dir verborgen. Ätsch. Und weil du
jetzt doof aus der Wäsche schaust, packen wir auf alle Floskeln noch
Asche und Gold drauf und zwar bis der Vorhang fällt, denn in guten
wie in schlechten Tagen kann ja jeder, bis dass der Tod uns scheidet.
Für den Fall, dass hier der Eindruck
entstanden ist, ich würde mich vielleicht etwas zu sehr
hineinsteigern: Ja.
Fazit: Silbermond schreiben laut
Autorenangabe ihre Texte gemeinsam. Die alte Regel, dass viele Köche
den Brei verderben, ist eine Floskel. Damit kennen sich die drei
Herren und eine Dame gut aus.
Aber was sagt das eigentlich über uns
Konsumenten aus? Hunderttausende interessiert nicht die Bohne was in
Liedern wie diesen zusammengeklaubt und verwurstet wird. Es zählt
das wohlige Gefühl verstanden zu werden, obwohl man nichts versteht.
Auch eine Kunst, denn egal wie dicht man ist, Goethe war Dichter.
Dankeschön!
AntwortenLöschenIch hab mich schon immer an diesen Liedern gestört, die so pseudo-tiefgründig sind und wo man gut zu mitwippen kann, aber außer eben das Gefühl verstanden zu werden nicht viel hängen bleibt.
... und dann werden diese Lieder mehrfach täglich im Radio auf und ab gedudelt, bis sie einem zum Halse.. pardon, zu den Ohren heraus hängen... -.-
AntwortenLöschenWie kann man das Lied in eine Inhaltsangabe zusammenfassen?
LöschenVielen Dank !
AntwortenLöschen..hab mich beim Lesen selten so amüsiert.
Eine wirklich gelungene Schreiberei.
Kein Wort zu viel, zu wenig, zu böse, oder zu lang !
Super !!!
Richte diese Worte an Gott...und jedes ergibt Sinn 🙏✨❣️
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