Samstag, 30. Januar 2016

Tagträumer „Tagträumen“

Die moderne Psychologie hat die Tagträume vom Image der Realitätsverweigerung oder der bloßen Langeweilebewältigung befreit. Tagträume sind eine Reise in unser Innerstes: in die Parallelwelt der Reflexionen, Bilder, Erinnerungen, Vorstellungen und Wünsche.
Eine junge Band aus Österreich, um den Castingshow erprobten Burgenländer Sänger und Songschreiber Thomas Schneider, hat sich mit diesem Thema beschäftigt und auch einen entsprechenden Bandnamen generiert. Schauen wir, was wir im Innersten von Thomas finden werden:

Wir träumen von 'nem Haus am Strand,
mit 'nem Bootsteg am Meer,
von einem Ort, an dem uns niemand etwas tut,
irgendwo geheim versteckt,
niemand findet uns hier,
weil man am Globus danach auch vergeblich sucht.

Wie originell. Wobei man nicht vergessen darf, dass die Alpenrepublik Österreich nun einmal keine Küste hat. Das nächste Meer ist rund 500 km weit weg, wobei die Orte an der Adria eher weniger versteckt liegen, was uns vermuten lässt, dass das lyrische Ich noch viel, viel weiter weg will. Liegt es an einer österreichischen Besonderheit, dass man dort etwas am Globus sucht? In Deutschland findet man da nämlich gar nix, wenn, dann findet man etwas auf dem Globus. Ich bitte um Aufklärung.
Reime? Fehlanzeige. Tut/sucht kann man nur mit sehr großem Wohlwollen als Assonanz durchgehen lassen. Um das Thema für den Rest des Textes abzuhaken: Wir finden drei armselige Reime im ganzen Lied.

Wir träumen von 30 Grad im Schatten
mitten im Dezember und etwas Schnee mitten im Sommer wäre cool.
Wir wollen das, was wir nie hatten,
logisch das will jeder Mensch und
doch dafür muss jeder Mensch auch etwas tun.

Dreißig Grad im Dezember ist gar nicht schwer. Kapverden, Thailand, Maledieven, die Auswahl ist groß. Zu beachten ist allerdings, dass eine Maßgabe in der ersten Strophe lautete „ein Ort, an dem uns niemand etwas tut“. In diesem Breiten treibt sich nämlich eine Menge Ungeziefer herum. Die Tigermücke zum Beispiel überträgt das Dengue Fieber, welches einem echt den Tag versauen kann. Schnee im Sommer? Wer's braucht...
Der zweite Teil der Strophe wird dann geradezu philosophisch: Wir Menschen wollen immer das, was wir gerade nicht haben. Sind wir arm wollen wir Reichtum, sind wir reich wollen wir... Nun, ähm, das sollte noch einmal überdacht werden.
Schön jedenfalls, dass so junge Menschen wie die Musiker von Tagträumer wissen, dass man für seine Wünsche etwas tun muss. Nämlich:

Wir dürfen nur nicht aufhören zu träumen,
nicht aufhören zu leben,
nicht aufhören zu träumen.

Die Menschen dürfen nur nicht aufhören zu träumen,
nicht aufhören zu leben,
nicht aufhören zu träumen.

Jetzt rutscht es endgültig ins Banale. Xavier Naidoo träumte wenigstens noch von einer besseren Welt. Alles, was man mit einem Traum-Wunsch-Lied originelles hätte anfangen können („ich hab zwanzig Kinder, meine Frau ist schön, alle komm'n vorbei, ich brauch nie rauszugehen“, Peter Fox hat es vorgemacht), wird krachend an die Wand gefahren. Die Menschen dürfen nicht aufhören zu leben? Klar, sonst sterben sie.

Wir träumen einfach am Tag,
mit offenen Augen, in der Bar, im Job, in der U4.
Wir träumen da, wo wir wollen,
da, wo wir glauben der Traum wird hier realisiert.
Wir träumen einfach am Tag,
einfach am Tag.
Wir träumen einfach am Tag,
am Tag, am Tag.

Ja. Nun. Also. Ich komme weiter unten noch einmal auf das große Ganze zurück. Für den Augenblick erfreuen wir uns an der Reihenfolge des Tagesablaufes des lyrischen Ichs: erst Bar, dann Job, dann irgendwo zwischen Hütteldorf und Heiligenstadt in der Wiener U Bahn sitzen. Was um alles in der Welt bedeutet: „Wir träumen da, wo wir glauben, der Traum wird hier realisiert“? Wünscht sich das lyrische Ich jetzt ein Meer in der Bar, einen Steg im Job, dreißig Grad in der U-Bahn?

Ich hätt' gern ein neues Auto,
so nen Formel 1 Wagen,
14 Kinder 18 Frauen und einen riesen Jet,
Millionen auf der Bank,
nen Klon von mir im Schrank,
der für mich jobben geht von 8 Uhr bis abends um 6.

Jetzt wird das Banale zum peinlichen Gestammel. Ein Formel 1 Wagen? Auch Dieter Bohlen hat irgendwann geschnallt, dass man im Ferrari scheiße sitzt, geschweige denn in einem nicht straßenverkehrstauglichen Formel 1 Auto. Achtzehn Frauen? Und warum sind mindestens vier von denen Unfruchtbar? Das ist ja schrecklich. Was ist ein Riesen-Jet? Ein Jet für Riesen oder meint der Texter einen riesigen Jet? Und letzte Frage: Wenn ich Millionen auf der Bank habe, warum soll dann ein Klon von mir von 8 Uhr bis 18 Uhr jobben gehen? Soll der sich doch um die 14 Blagen kümmern, die überall Schokolade verschmieren!

Und im ganzen Leben danach nie wieder dieselben Sorgen
und nie wieder von mei'm Bruder etwas Kleingeld borgen
und immer wenn ich will, 'n klein bisschen chillen
und ich weiß ich kann es haben, wenn ich es nur wirklich will.

Gegen Ende implodiert der Text geradezu, als wäre er getextet von einer tablettenabhängigen Weinkönigin. Selten hab ich so etwas Lahmes gelesen. Eben besorgt das lyrische Ich es noch 1,5 Dutzend Weibern und nun brabbelt es was von Kleingeld und will nur noch ein bisschen chillen? Fast möchte ich fragen, was mit der heutigen Jugend los ist, aber so tief werde ich nicht sinken.

Unsere Aufmerksamkeit wird in unserer Zeit durch die Medien und Ablenkungsindustrie immer mehr absorbiert. Die Vielfalt der inneren Verarbeitungsprozesse, das Sinnieren, Reflektieren und Fantasieren, wird ersetzt durch eine permanente Oberflächen- und Außenorientierung. Gerade junge Menschen werden in ständige soziale Vergleiche und Statuskämpfe verwickelt, richten ihr Leben an vorgegebenen Erfolgs- und Glücksmaßstäben aus und erschöpfen sich in der Jagd nach Anerkennung und neuen Reizen. Das Lied „Tagträumen“ liefert den Soundtrack dazu. Er schildert peinlich genau was die Oberflächen- und Außenorientierung für Wünsche implementiert. Das Problem dabei: Der Text ist zu 100% unreflektiert.

Fazit: Ein netter, fröhlicher Popsong? Nein, nicht für mich. Das Lied macht mich so traurig wie Gloomy Sunday.

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