Die
moderne Psychologie hat die Tagträume vom Image der
Realitätsverweigerung oder der bloßen Langeweilebewältigung
befreit. Tagträume sind eine Reise in unser Innerstes: in die
Parallelwelt der Reflexionen, Bilder, Erinnerungen, Vorstellungen und
Wünsche.
Eine
junge Band aus Österreich, um den Castingshow erprobten Burgenländer
Sänger und Songschreiber Thomas Schneider, hat sich mit diesem Thema
beschäftigt und auch einen entsprechenden Bandnamen generiert.
Schauen wir, was wir im Innersten von Thomas finden werden:
Wir
träumen von 'nem Haus am Strand,
mit
'nem Bootsteg am Meer,
von
einem Ort, an dem uns niemand etwas tut,
irgendwo
geheim versteckt,
niemand
findet uns hier,
weil
man am Globus danach auch vergeblich sucht.
Wie
originell. Wobei man nicht vergessen darf, dass die Alpenrepublik
Österreich nun einmal keine Küste hat. Das nächste Meer ist rund
500 km weit weg, wobei die Orte an der Adria eher weniger versteckt
liegen, was uns vermuten lässt, dass das lyrische Ich noch viel,
viel weiter weg will. Liegt es an einer österreichischen
Besonderheit, dass man dort etwas am Globus sucht? In
Deutschland findet man da nämlich gar nix, wenn, dann findet man
etwas auf dem Globus. Ich bitte um Aufklärung.
Reime?
Fehlanzeige. Tut/sucht kann man nur mit sehr großem
Wohlwollen als Assonanz durchgehen lassen. Um das Thema für den Rest
des Textes abzuhaken: Wir finden drei armselige Reime im ganzen Lied.
Wir
träumen von 30 Grad im Schatten
mitten
im Dezember und etwas Schnee mitten im Sommer wäre cool.
Wir
wollen das, was wir nie hatten,
logisch
das will jeder Mensch und
doch
dafür muss jeder Mensch auch etwas tun.
Dreißig
Grad im Dezember ist gar nicht schwer. Kapverden, Thailand,
Maledieven, die Auswahl ist groß. Zu beachten ist allerdings, dass
eine Maßgabe in der ersten Strophe lautete „ein Ort, an dem uns
niemand etwas tut“. In diesem Breiten treibt sich nämlich eine
Menge Ungeziefer herum. Die Tigermücke zum Beispiel überträgt das
Dengue Fieber, welches einem echt den Tag versauen kann. Schnee im
Sommer? Wer's braucht...
Der
zweite Teil der Strophe wird dann geradezu philosophisch: Wir
Menschen wollen immer das, was wir gerade nicht haben. Sind wir arm
wollen wir Reichtum, sind wir reich wollen wir... Nun, ähm, das
sollte noch einmal überdacht werden.
Schön
jedenfalls, dass so junge Menschen wie die Musiker von Tagträumer
wissen, dass man für seine Wünsche etwas tun muss. Nämlich:
Wir
dürfen nur nicht aufhören zu träumen,
nicht
aufhören zu leben,
nicht
aufhören zu träumen.
Die
Menschen dürfen nur nicht aufhören zu träumen,
nicht
aufhören zu leben,
nicht
aufhören zu träumen.
Jetzt
rutscht es endgültig ins Banale. Xavier Naidoo träumte wenigstens
noch von einer besseren Welt. Alles, was man mit einem
Traum-Wunsch-Lied originelles hätte anfangen können („ich hab
zwanzig Kinder, meine Frau ist schön, alle komm'n vorbei, ich brauch
nie rauszugehen“, Peter Fox hat es vorgemacht), wird krachend an
die Wand gefahren. Die Menschen dürfen nicht aufhören zu leben?
Klar, sonst sterben sie.
Wir
träumen einfach am Tag,
mit
offenen Augen, in der Bar, im Job, in der U4.
Wir
träumen da, wo wir wollen,
da,
wo wir glauben der Traum wird hier realisiert.
Wir
träumen einfach am Tag,
einfach
am Tag.
Wir
träumen einfach am Tag,
am
Tag, am Tag.
Ja.
Nun. Also. Ich komme weiter unten noch einmal auf das große Ganze
zurück. Für den Augenblick erfreuen wir uns an der Reihenfolge des
Tagesablaufes des lyrischen Ichs: erst Bar, dann Job, dann irgendwo
zwischen Hütteldorf und Heiligenstadt in der Wiener U Bahn sitzen.
Was um alles in der Welt bedeutet: „Wir träumen da, wo wir
glauben, der Traum wird hier realisiert“? Wünscht sich das
lyrische Ich jetzt ein Meer in der Bar, einen Steg im Job, dreißig
Grad in der U-Bahn?
Ich
hätt' gern ein neues Auto,
so
nen Formel 1 Wagen,
14
Kinder 18 Frauen und einen riesen Jet,
Millionen
auf der Bank,
nen
Klon von mir im Schrank,
der
für mich jobben geht von 8 Uhr bis abends um 6.
Jetzt
wird das Banale zum peinlichen Gestammel. Ein Formel 1 Wagen? Auch
Dieter Bohlen hat irgendwann geschnallt, dass man im Ferrari scheiße
sitzt, geschweige denn in einem nicht straßenverkehrstauglichen
Formel 1 Auto. Achtzehn Frauen? Und warum sind mindestens vier von
denen Unfruchtbar? Das ist ja schrecklich. Was ist ein Riesen-Jet?
Ein Jet für Riesen oder meint der Texter einen riesigen Jet? Und
letzte Frage: Wenn ich Millionen auf der Bank habe, warum soll dann
ein Klon von mir von 8 Uhr bis 18 Uhr jobben gehen? Soll der sich
doch um die 14 Blagen kümmern, die überall Schokolade verschmieren!
Und
im ganzen Leben danach nie wieder dieselben Sorgen
und
nie wieder von mei'm Bruder etwas Kleingeld borgen
und
immer wenn ich will, 'n klein bisschen chillen
und
ich weiß ich kann es haben, wenn ich es nur wirklich will.
Gegen
Ende implodiert der Text geradezu, als wäre er getextet von einer
tablettenabhängigen Weinkönigin. Selten hab ich so etwas Lahmes
gelesen. Eben besorgt das lyrische Ich es noch 1,5 Dutzend Weibern
und nun brabbelt es was von Kleingeld und will nur noch ein bisschen
chillen? Fast möchte ich fragen, was mit der heutigen Jugend los
ist, aber so tief werde ich nicht sinken.
Unsere
Aufmerksamkeit wird in unserer Zeit durch die Medien und
Ablenkungsindustrie immer mehr absorbiert. Die Vielfalt der inneren
Verarbeitungsprozesse, das Sinnieren, Reflektieren und Fantasieren,
wird ersetzt durch eine permanente Oberflächen- und
Außenorientierung. Gerade junge Menschen werden in ständige soziale
Vergleiche und Statuskämpfe verwickelt, richten ihr Leben an
vorgegebenen Erfolgs- und Glücksmaßstäben aus und erschöpfen sich
in der Jagd nach Anerkennung und neuen Reizen. Das Lied „Tagträumen“
liefert den Soundtrack dazu. Er schildert peinlich genau was die
Oberflächen- und Außenorientierung für Wünsche implementiert. Das
Problem dabei: Der Text ist zu 100% unreflektiert.
Fazit:
Ein netter, fröhlicher Popsong? Nein, nicht für mich. Das Lied
macht mich so traurig wie Gloomy Sunday.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen