Der deutsche Schlager, ein Hort des
Guten, Abbild unserer Welt, wie sie sein sollte, Texte, die an das
Harmonie- und Glücksverlangen in uns allen appellieren, sauber,
anständig, heil?
Es lohnt sich einmal genauer hinzuschauen, denn
spätestens seit die Comedian Harmonists 1930 Veronika wissen ließen,
dass im Frühling der Spargel wächst, ahnten wir, dass hinter der
polierten Fassade typisch deutscher Unterhaltungsmusik der Schmutz
lauert. Heutige Schlagerstars machen sich kaum noch die Mühe, die
sexuellen Bekenntnisse in ihren Liedern zu verschleiern. So singt
Andrea Berg in „Zauberer wie du“: „Du kommst rein und ich könnt
vor Freude schrei´n...“ und Beatrice Egli trällert ungeniert:
“Ich will's 1000 mal und nur mit dir, bis nichts mehr geht...“.
Aber auch schon in den siebziger Jahren ließen es vor allem die
Herren gern krachen, denn man schnackselte im Kornfeld, ließ sich
mit 17 von einer 32 jährigen entjungfern und ging zu ihr, um den
Drachen steigen zu lassen.
Es geht aber auch kryptischer und
deshalb schauen wir bei „Anita“ von Costa Cordalis etwas genauer
hin und graben tiefer als es den Autoren vielleicht lieb ist. Hinter
dem Text steckt übrigens wieder einmal ein studierter Germanist,
Jean Frankfurter, der eigentlich Erich Ließmann heißt.
Ich fand sie irgendwo,
allein in Mexiko.
Anita, Anita.
Stopp. Das ist schon gleich sehr
verdächtig. Wir alle wissen, dass der kürzeste Weg nach Mexiko von
San Diego nach Tijuana führt, da kann man sein Auto an der Grenze
stehen lassen und zu Fuß in Mexikos größtes Zentrum für illegale
Drogen und Prostitution hinüber gehen. Und woher wissen wir, dass es
kein Auto gibt? Es steht im Text, wie wir sehen werden, denn in
diesem Lied wird nur geritten. Demnach steh also Anita nicht
irgendwo, sonder höchstwahrscheinlich an einer Hausecke in Tijuana,
wo sie ihrem Gewerbe nachgeht.
Schwarz war ihr Haar,
die Augen wie zwei Sterne so klar.
Komm' steig auf dein Pferd, sagte
ich zu ihr
Anita, Anita.
Schwarze Haare sind in Lateinamerika
praktisch Standard auch Shakira war nicht immer blond. Anitas Augen
funkeln wie Sterne, was auf die Einnahme von illegalen Alkaloiden,
besser bekannt als Kokain, schließen lässt. So weit, so gut, dass
die Dame nun gleich auf ein Pferd steigen soll, um zu reiten, wäre
wenige Kilometer weiter, in good old USA, strafbare Anstiftung zu
unsittlichem Verhalten.
Fiesta ist heut',
die Stadt ist nicht mehr weit,
mach dich schnell bereit.
Ich seh dir an,
da schlummert ein Vulkan,
du wartest auf die Liebe.
Ich will sie wecken
und alles entdecken
was keiner bisher sah, ohohoho.
Ohohoho. Nun, das ist keine
Onomatopoesie, das ist pure Geilheit. Das lyrische Ich möchte eine
Fiesta feiern, wobei Fiesta nicht nur Fest sondern auch Liebkosung
bedeuten kann, Anita muss sich schnell bereit machen, denn der
Freier, Verzeihung, das lyrische Ich will entdecken, was keiner
bisher sah. Wenn er, Verzeihung, da mal nicht enttäuscht wird.
Reite wie der Wind,
bis die Nacht beginnt
Anita, Anita.
Inzwischen dürften den letzten
Schlagerfans, die an die heile Welt geglaubt haben, die Argumente
ausgehen.
Dann sind wir da
und jeder soll es sehen,
wie wir uns verstehen.
Musikanten herbei,
spielt ein Lied für uns zwei.
Bei Musik und bei Wein,
woll'n wir heut' glücklich sein.
Musik und Wein gehören sicherlich
nicht zu den illegalen Drogen, aber Anita wurde ganz offensichtlich
für die ganze Nacht gebucht und das lyrische Ich zieht nun die ganz
große Nummer ab und zeigt stolz seine Begleitung herum, um Eindruck
zu schinden. Das könnte gefährlich werden.
In Mexiko,
denn nur bei dir allein,
will ich immer sein.
Um uns herum,
da sassen sie ganz stumm
und machten große Augen.
Die Companeros
mit ihren Sombreros
denn nun gehörst du mir, ohohoho.
Das mag dem Touristen ja so vorkommen,
in Wahrheit werden die Companeros gedacht haben, dass da wieder so
ein dämlicher Sommerfrischler drauf und dran ist, auf die
Verlockungen von Tijuana hereinzufallen, nur um am nächsten Morgen
hinter einer Wellblechbaracke mit Kotze am Kinn, ohne Hosen
aufzuwachen.
Heute ist die Nacht
nicht zum schlafen da.
Anita, Anita.
Denn so ein Fest
gab es noch nirgendwo,
hier in Mexiko.
Musikanten herbei,
spielt ein Lied für uns zwei.
Bei Musik und bei Wein,
woll'n wir heut' glücklich sein.
Genau. So ein Fest gab es noch
nirgendwo denkt der Tourist, die Companeros kichern und mischen
K.o.-Tropfen in den nächsten Drink und warten auf den Blackout.
An dieser Stelle soll
unnotwendigerweise darauf hingewiesen werden, dass der Name Anita die
Bedeutung „die Begnadete“ hat und Konstantinos, dessen Kurzform
Costa ist, nichts anderes als „der Standhafte“ bedeutet. Ein
Zufall? Nein, Germanisten schlagen so etwas nach.
Ich bau für uns ein Nest,
wo 's sich leben lässt.
Anita, Anita.
In Mexiko,
denn nur bei dir allein,
will ich immer sein.
Ja, klar. Ich sehe das lyrische Ich
bildlich vor mir, wie es mit glasigen Augen, sabbernd der bezahlten
Begleitung eine Liebeserklärung unterbreitet, während sie
ungeduldig darauf wartet, dass der Freier endlich unter den Tisch
rollt, wo ihn dann die Companeros mit den Sombreros einsammeln
werden, um ihn hinter das Haus zu tragen. Dieses Fest wird er so
schnell nicht vergessen. Ohohoho.
Fazit: Deutscher Schlager kann so
lehrreich sein: Trefft Ihr irgendwo in Mexiko eine Dame, die reiten
kann, nehmt Euch in acht vor den Companeros mit den Sombreros.
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