„Ein Regenbogen“,
so sagte Vanessa Mai, „ist ein ganz wunderbares Zeichen. Ein Symbol
für Reinheit und Frische. Für das neue Erleben nach dunkler Zeit.
Und er sieht fantastisch aus. Vielleicht, weil er so bunt ist.“
Aha.
Schon das Cover
ihres aktuellen Albums „Regenbogen“ wirft Fragen auf, die man
nicht beantwortet haben möchte. Warum zum Teufel posiert eine junge
Frau, nur mit Nachthemd und Hauspuschen bekleidet, breitbeinig auf
einem spiegelblanken Boden sitzend, für ein Schlageralbum? Ich finde
das ehrlich gesagt verstörend. Aber ich möchte hier keine neue
Rubrik aufmachen, es geht wie immer um einen Text und zwar um die
gleichnamige Single dieses zum Erfolg verdammten Silberlings. Vanessa
Mai, so konnte man unlängst lesen, habe sich von ihrem
Erfolgsproduzenten Dieter Bohlen getrennt, der anscheinend nicht mehr
ohne das Attribut „Pop-Titan“ genannt werden darf. Für diesen
Titel allerdings ist er sowohl als alleiniger Komponist, als auch als
Texter eingetragen – ein Novum in der heutigen Zeit und ich habe
den Verdacht, dass da im Hintergrund Leute abgezockt werden, die sich
nicht wehren wollen, weil sie sonst keine Aufträge mehr bekommen und
lieber ihre Rechte für einen festen Betrag abtreten, anstatt als
Urheber eigetragen zu werden, wie es anständige Produzenten
veranlassen würden (#spekulation).
Ich kann den
Sternenhimmel gar nicht sehen
Weil die Wolken
heute endlos sind
Diese zwei simplen
ersten Zeilen liefern eine Menge Fakten. Es lohnt sich, diese kurz zu
dechiffrieren, damit wir den Rest des Textes richtig einordnen
können: Die Tatsache, dass das lyrische Ich den Sternenhimmel nicht
sehen kann, weil die Wolken endlos sind, bedeutet nichts anderes, als
dass es Nacht ist und eine geschlossene Wolkendecke den Himmel
verdeckt.
Und ich wart' auf
dich, für jetzt und immer
Können wir uns
heute Nacht noch sehen?
Meine Vermutung,
dass es Nacht ist, wird explizit bestätigt. Abgesehen davon, dass es
meiner Meinung nach „ich wart' auf dich jetzt und für immer“
heißen müsste, scheint das lyrische Ich sehr dringend nach seinem
Partner zu verlangen. Ob die Kontaktaufnahme durch Lichtzeichen oder
SMS erfolgt bleibt offen.
Denn ich muss mit
dir so viel bereden
Und ich weiß ich
lieb' dich, jetzt und immer, immer, immer, immer
Jetzt und immer
Es
gibt also viel zu bereden. Ein cleverer Schachzug des Texters, denn
nun sind wir angefixt und wollen mehr wissen. Liebe für immer geht
i.O., ein Schlager ist ein Schlager, ist ein Schlager.
Ein
Winzigkeit noch, die man nicht lesen, sondern nur beim gesungenen
Vortrag genießen kann: Dank Dieter Bohlens Produzententätigkeit
reimt sich ab jetzt „sehen“ auf „bereden“ indem man es wie
folgt singt: „können wir uns seh'n, ich muss noch was bere'n?“
Und ein
Regenbogen zeigt den Weg
Zwischen Traum
und Nacht, wie es weitergeht
Das sind Zeilen, die
man sich gerne von Mutti auf ein Kopfkissen sticken lässt. Wenn man
mal nicht mehr weiter weiß im Leben, kommt einfach ein Regenbogen
zwischen Traum und Nacht daher und zeigt uns wie es weiter geht. Mann
stelle sich jetzt die Stimme von Gernot Hassknecht vor und wir lassen
diese Zeilen noch einmal mit Fragezeichen Revue passieren: WIE BITTE
SOLL EIN SCHEISS REGENBOGEN UNS ZWISCHEN TRAUM UND NACHT IRGENDETWAS
ZEIGEN!?
Erste Frage: Wo
kommt bei geschlossener Wolkendecke mitten in der Nacht ein
Regenbogen her? Zweite Frage: Wie kann es einen Weg geben zwischen einer
Folge von Bildern und Vorstellungen, die im Schlaf auftreten, und dem
Zeitraum zwischen Morgen und Abend?
Es sind genau diese
Zeilen, die solche Texte so verabscheuungswürdig dumm und
oberflächlich machen.
Und ich werde
immer bei dir sein, für immer
Und ein
Regenbogen hält uns fest
Wenn das Glück
uns mal alleine lässt
Und ich werde
immer bei dir sein, für immer
Klar, dass das hier
jetzt nicht besser wird. Jetzt wird der physikalisch unmögliche
Regenbogen auch noch mit Armen ausgestattet um die Liebenden
festhalten, weil das personifizierte Glück mal eben auf 'nen Sprung
an die Tankstelle ist, um Kippen zu holen.
Ist der Mond
heut' Nacht auch nicht zu sehen
Aber es ist
trotzdem wunderschön
Wenn du bei mir
bist, für jetzt und immer
Du gibst mir
Wärme und du schenkst mir Zeit
Bist meine Sonne
in der Dunkelheit
Und ich weiß ich
lieb' dich, jetzt und immer, immer, immer, immer
Jetzt und immer
Bin ich enttäuscht?
Ja. Bin ich überrascht? Nein. In der ersten Strophe hatte man mir
versprochen, dass es noch so viel zu bereden gibt. Ich hatte nicht
auf die Aristotelische Poetik gehofft, aber wenigstens ein „Schatz,
ich bin schwanger von meinem Produzenten“ oder „stell dir vor,
die Geschichte der Meteorologie muss nach heute Nacht umgeschrieben
werden“ wäre doch drin gewesen. Stattdessen bekommen wir weitere
Versatzstücke aus dem ausgelutschten Kanon der Klischees serviert.
Und das geht so für immer, immer, immer, immer, jetzt und immer
Und ein
Regenbogen zeigt den Weg...
Laber Rhabarber,
zweiter gnadenloser Refrain.
Lass dich fallen,
lass uns leben, über allen Dingen schweben
Lass und lieben,
lass uns treiben, an manchen Dingen reiben
Ich will einfach
immer nur bei dir sein
Wie so oft bei zügig
zusammengeschraubten Schlagworttexten hält man sich sich am C-Part
nicht extra lange auf. Die erste Zeile ist ein schönes Beispiel
dafür, dass es vollkommen egal ist, was noch im Text steht, egal ob
das liebende lyrische Ich in der wolkenverhangenen Nacht dringend
reden wollte, egal, dass schon Regenbögen es festhielten und Wärme
und Zeit verschenkt wurden – jetzt wird noch gefallen und
geschwebt, ja, einfach nur gelebt. Da wirkt die zweite Zeile seltsam
übermotiviert, wenn das lyrische Ich nicht nur mit dem Partner
treiben, sondern sich auch an etwas reiben will. Ist etwa doch nicht
alles heil im Schlagerhimmel, worüber sollte noch mal geredet
werden?
Und weil es so schön
ist, noch einmal zum Mitlesen der ganze Refrain:
Und ein
Regenbogen zeigt den Weg
Zwischen Traum
und Nacht, wie es weitergeht
Und ich werde
immer bei dir sein, für immer
Und ein
Regenbogen hält uns fest
Wenn das Glück
uns mal alleine lässt
Und ich werde
immer bei dir sein, für immer
Ich will immer
nur bei dir sein
Fazit: Ich erwarte
von einem Schlagertext keine Ambitionen. Er muss mir nicht die Welt
erklären und nicht versuchen, sie zu retten. Das Einzige, das ich
erwarte, ist ein Mindestmaß an Stimmigkeit und nicht auf Teufel komm
raus mit Schlüsselwörtern zugemüllt zu werden. Mit anderen Worten:
Ein Minimum an Hingabe und Handwerk.