Mittwoch, 10. Juni 2015

Tokio Hotel „Durch den Monsun“


Neulich Nacht werde ich doch wach und frage mich: „Warum eigentlich Monsun? Warum nicht Orkan, Hurrikan, Taifun oder einfach Sturm?“ Die eigentliche Frage ignorierend, warum mich ein 10 Jahre alter Song des Nachts heimsucht, machte ich mich an die Analyse des Textes der Magdeburger Band um die Kaulitz – Zwillinge. Deren erste Single „Durch den Monsun“ jagte 2005 durch die Decke und bescherte der Band Tokio Hotel einen heftigen Sturm des öffentlichen Interesses.
Nachdem ich den Text noch einmal gelesen hatte, recherchierte ich dessen Entstehung und musste leider alle strafmindernden Umstände revidieren. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsarbeit von sage und schreibe 5 Personen, die sich für Musik und Komposition angemeldet haben und der damals gerade erst strafmündig gewordene Bill Kaulitz ist nur einer davon. Dem androgynen Jüngling standen gleich vier Erwachsene zur Seite, darunter der Ex-Boygroup-Star und Autor David Jost und der Erfolgsproduzent Peter Hoffmann.

Das Fenster öffnet sich nicht mehr
Hier drin ist es voll von dir und leer
Und vor mir geht die letzte Kerze aus
Ich warte schon ’ne Ewigkeit
Endlich ist es jetzt soweit
Da draußen zieh’n die schwarzen Wolken auf

Ist das kryptisch? Arbeiten die Autoren hier mit Chiffren? Ist das pure Poesie, der man nur mit der Seele nachspüren kann? Ist alles konkret situativ beschrieben? Handelt es sich um zusammengepanschten Blödsinn?
Ich entscheide mich dafür, den Text nicht wörtlich zu nehmen, sondern darin Metaphern zu sehen. Allerdings sollten auch in diesem Fall Bilder und Bezüge innerhalb des Textes stimmen – ich komme darauf noch zu sprechen.
Demnach ist das Fenster also kein Fenster zum Hof, sondern das Fenster, welches sich normalerweise öffnet, wenn, wie eine Binsenweisheit besagt, irgendwo eine Tür zufällt. Da nun dieses Fenster sich nicht öffnet, es also keine Hoffnung gibt, werden wir verhaftet, um Zeuge zu werden, wie das lyrische Ich an der verlorenen, unglücklichen oder wahlweise auch bedrohten Liebe leidet.
Der poetische Raum ist zugleich voll und leer von der (vermutlich) arg vermissten Person und wer darin eine Paradoxie erkennen möchte hat in der Jugend nie geliebt.
Ein winziger Fingerzeig auf das leidige Thema Reim: Sauber reimen sich nur die ersten beiden Zeilen, für mehr reicht es zunächst nicht.
Weil alles so düster und traurig ist, geht die letzte Kerze aus und ich bin dankbar, dass der letzte Rest sterbender Hoffnung hier im Gewand der verlöschenden Kerze daher kommt und nicht namentlich erwähnt wird.
Nach drei Zeilen bekommt der Text dann einen Dreh, der ihn zum Refrain führen soll. Kurz das Klischee der gewarteten Ewigkeit zitiert, ohne die kein Liebesschmerzsong existieren kann, dann ist es endlich so weit, denn es ziehen schwarze Wolken auf – draußen, vor dem Fenster welches sich nicht mehr öffnet. Denn:

Ich muss durch den Monsun hinter die Welt
Ans Ende der Zeit bis kein Regen mehr fällt
Gegen den Sturm am Abgrund entlang
Und wenn ich nicht mehr kann, denk’ ich daran
Irgendwann laufen wir zusammen
Durch den Monsun, dann wird alles gut

Wenn es ein exemplarisches Beispiel für Metaphern-Häufung gibt, dann ist es dieser Abschnitt. Es genügt nicht, dass sich das lyrische Ich durch eine großräumige Luftzirkulation der unteren Troposphäre im Gebiet der Tropen und Subtropen im Einflussbereich der Passate kämpfen muss, es muss dabei noch hinter die Welt, an das Ende der Zeit und am Abgrund entlang. Das ist ziemlich viel verlangt aber wenn der Liebesschmerz groß ist, müssen es die Bilder auch sein. Das Ziel des ganzen Aufstandes wird auch benannt: Das lyrische Ich will irgendwann mit der (vermutlich) arg vermissten Person wieder zusammen sein und mit ihr durch den sturmgepeitschten Regen laufen. Dann wird alles gut.
Allerdings beantwortet das nicht die Frage, warum es ein Monsun sein muss. Seine stärkste Ausprägung und zugleich seinen Wortursprung hat der Begriff Monsun im Raum des Indischen Ozeans. Ist dies für die Autoren das Ende der Welt, welches es zu erreichen gilt? Ist die (vermutlich) Angebetete eine Inderin?
Ich will gnädig sein und annehmen, dass es sich um eine starke Metapher für Tränen handeln soll. Ein Sturm der Gefühle, der das lyrische Ich an den Abgrund drängt und nur das gemeinsame Weinen mit der (vermutlich) arg vermissten Person, macht alles wieder gut.

Weniger liebevolle Texte haben oft die Eigenschaft, dass einer leidlich schlechten ersten Strophe eine richtig schlechte zweite folgt. So auch in diesem Fall. Offensichtlich war man schon hoffnungslos mit Strophe Eins und Refrain überfordert, also Augen auf und durch:

n halber Mond versinkt vor mir
War der eben noch bei dir
Und hält er wirklich was er mir verspricht
Ich weiß, dass ich dich finden kann
Hör’ deinen Namen im Orkan
Ich glaub noch mehr dran glauben kann ich nicht

Ich sprach weiter oben von Bezügen innerhalb des Textes. Einen ganz klassischen Fehler findet sich gleich in Zeile eins. Die schwarzen Wolken, die eben noch aufzogen, und der Monsun der hereinbrach genügen offensichtlich nicht, um zu verhindern, dass das lyrische Ich dem halben Mond beim Versinken zusehen kann. Was braucht es jetzt eigentlich einen Mond? Warum diese kindlich naive Frage, ob jener eben noch bei der (vermutlich) arg vermissten Person (die von nun an im Text als „Varvep“ abgekürzt wird) war? Um die Verwirrung zu krönen soll dieser Mond auch noch etwas versprochen haben, das in Frage gestellt wird. Um welches Versprechen es sich handelt, was das alles mit der großräumigen Luftzirkulation zu tun hat bleibt das Geheimnis der Autoren.
Die zweite Hälfte der Strophe versöhnt mit einer Rückkehr zum Optimismus und zum schlechten Wetter, allerdings frage ich mich, wer den Namen der Varvep in den Orkan hinein ruft. Das rote Kreuz? Die Feuerwehr?
Bei all den Unzulänglichkeiten unerwartet, zeigt sich in dieser Strophe eine klare Reimstruktur, die man gar nicht so häufig findet: aa b cc b

Ich muss durch den Monsun Hinter die Welt
Ans Ende der Zeit bis kein Regen mehr fällt
Gegen den Sturm am Abgrund entlang
und wenn ich nicht mehr kann, denk’ ich daran
Irgendwann laufen wir zusammen
Weil uns einfach nichts mehr halten kann
Durch den Monsun

Der zweite Refrain unterscheidet sich nur um die hinzugefügte vorletzte Zeile, die uns – Klischee sei Dank – versichert, dass das lyrische Ich und die Varvep nicht mehr gehalten werden können, was impliziert, dass sie noch vor kurzem gehalten wurden. Nur von wem? Und warum?

Ich kämpf mich durch die Mächte, hinter dieser Tür
werde sie besiegen und dann führ’n sie mich zu dir
Dann wird alles gut, dann wird alles gut
Wird alles gut, alles gut

Auch eine schöne Steilvorlage, bei der kaum etwas gut wird, geschweige denn alles. Zunächst bestätigt sich der Verdacht, dass das Leben eben noch eine Tür zufallen ließ. Hinter dieser lauern nämlich finstere Mächte wie Eltern, Klassenkameraden, Schicksale und/oder Zombofanten, die, wenn sie besiegt wurden, auch noch so nett sind, das lyrische Ich zur Varvep zu führen. Herrlich.

Fazit: Wenn man jung ist und Liebeskummer hat, schreibt man solche Texte ins Poesiealbum und schämt sich später dafür. Der Erfolg des Songs gibt allen Beteiligten Recht – rechtfertig jedoch nicht dessen Lieblosigkeit.

1 Kommentar:

  1. hi, kurzweilige und alles in allem treffende textkritik hier. ein einwand aber: ein monsun ist (im ggs. zu taifun usw.) keineswegs ein sturm, sondern ein beständiges, jahreszeitlich bedingtes klimaphänomen.

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