Es ist so viel, so viel zu viel
Überall Reklame
Zuviel Brot und zu viel Spiel
Das Glück hat keinen Namen
Wenn ein Text so anfängt, dann gehen
bei mir gleich die Alarmsignale an. Ein Dozent im Studium prophezeite
einst, dass es zukünftig neue Steigerungsformen in der deutschen
Sprache geben würde. Ein Vorbote damals war der SAT1 FilmFilm. Nun
also „so viel, so viel zu viel“.
Es wird ein Betroffenheitstext, so
viel, so viel ist gleich klar. Die Missstände unserer Zeit werden
angeprangert. Anscheinend wurde man mit den Liedermachern der 70er
Jahre sozialisiert. In wenigen Worten wird unser Konsumverhalten, die
moderne Medienwelt und die Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft an
den Pranger gestellt. Ganz schön viel Tobak für einen Popsong aber
Nicole hat es ja vorgemacht: Man kann mit Liedern auch den
Weltfrieden retten. Bleibt nur die Frage: Was bedeutet „Das Glück
hat keinen Namen“? Kennt irgendwer ein Glück, das Heike heißt
oder Manfred? Sehr kryptisch, oder einfach nur verbales Getöse.
Was mich außerdem noch stört ist
dieser merkwürdige Nachhall, den die Wortverbindung „Brot und
Spiele“ bei mir erzeugt. In der heutigen Bedeutung bezeichnet sie
„die Strategie politischer (oder industrieller) Machthaber, das
Volk mit Wahlgeschenken und eindrucksvoll inszenierten
Großereignissen von wirtschaftlichen oder politischen Problemen
abzulenken. (Quelle Wikipedia)“ Da wird mit dem Zeigefinger für
mich unangenehm nach oben gedeutet. Ja, ja, die Politiker, die da
oben, die machen sich die Taschen voll, arbeiten nicht, zerstören
die Umwelt und verkaufen uns für dumm.
Alle
Straßen sind befahren
In den Herzen kalte Bilder
Keiner kann Gedanken lesen
Das Klima wird milder
Wenn ich so
etwas lese, dann kommt es mir vor, als würde man mir die
Heisenbergsche Unschärferelation wie
folgt zusammenfassen: Die Welt ist
unscharf. Die Autorin hoffte anscheinend, dass, wenn sie so viel
Banalität wie
möglich in eine Strophe pressen
würde, ein Diamant daraus entstünde.
Eingequetscht zwischen den wachsenden Problemen durch die
Verkehrsbelastung auf unseren Straßen und den
daraus
resultierenden Klimaproblemen (global natürlich), werden gleich noch
die Herzen und Gedanken der Menschheit auf den Prüfstand gestellt.
Und was finden wir? Kalte Bilder in den
Herzen. Das
klingt so deklamatorisch und wunderschön. Aber was
bitte sind kalte
Bilder? Bilder von Skipisten oder Winterwäldern? Nein, ich ahne,
dass es sich um schmelzende Gletscher handelt, den
das Klima wird ja milder. Aber haben wir
diese Bilder
nicht im Kopf oder vor dem geistigen Auge? Ich kann die Gedanken der
Autorin nicht lesen. Keiner
kann das!
Ich bau 'ne Stadt für dich
Aus Glas und Gold und Stein
Und jede Straße die hinausführt
Führt auch wieder rein
Ich bau eine Stadt für dich - und
für mich
Fangen wir mal mit der grundlegenden
Aussage an: Die Welt da draußen ist schlecht, aber weil wir Beide
zusammen sind (Achtung: Duett) und was ganz Tolles haben, kapseln wir
uns von der gemeinen Welt ab, bauen uns eine eigene Stadt in unseren
Träumen, in unseren vier Wänden, was auch immer. So werden die
Probleme der Umweltverschmutzung wohl nicht gelöst!
Aber bevor ich zu streng werde,
begreifen wir den Text als das, was er wirklich sein will: Ein
Liebeslied.
Der Gedanke, dass in einer Beziehung,
einer starken Liebe, jede Straße die hinausführt auch wieder
hineinführt, ist poetisch und kraftvoll. Gefällt mir.
Keiner weiß mehr wie er aussieht
oder wie er heißt
Alle sind hier auf der Flucht
die Tränen sind aus Eis
Boah, das ist wieder so klischeehaft,
ich mag das gar nicht kommentieren. Tränen aus Eis müssen höllisch
weh tun, aber sie korrespondieren mit den kalten Bildern im Herzen.
Hier erkennt man den Profi. Nicht einmal das Argument reim dich oder
ich fress dich zieht hier, denn es reimt sich nix.
Es muss doch auch anders gehen
So geht das nicht weiter
Wo find ich Halt, wo find ich Schutz
Der Himmel ist aus Blei hier
Leider geht es nicht anders, es geht
immer so weiter. Hat jemand mal ein Taschentuch für den Sänger? Für
den Schutz vor einem Himmel aus Blei empfehle ich einen Schutzraum,
würde aber auf Glas verzichten. Das geht sonst nach hinten los.
Ich geb keine Antwort mehr
Auf die falschen Fragen
Die Zeit ist rasend schnell
verspielt
Und das Glück muss man jagen
Ach ja, die falschen Fragen: Woher
kommen wir, warum sind wir hier? Ist die Rente sicher? Werden
zukünftige Generationen noch einen Planeten haben, den sie bewohnen
können? Wie viele Platten verkauft man, wenn sich ganz viele Leute
zusammen tun, die total was von Musik verstehen? Wird das nächste
iPhone auch mit Android laufen?
Dazu rasende Zeiten und gejagtes Glück
– man ist im Phrasenhimmel.
Eine Stadt in der es keine Angst
gibt nur Vertrauen
Wo wir die Mauern aus Gier und
Verächtlichkeit abbauen
Wo das Licht nicht erlischt
Das Wasser hält (?
Textunverständlichkeit)
Und jedes Morgenrot
Und der Traum sich lohnt
Und wo jeder Blick durch Zeit und
Raum in unsere Herzen fließt
Dieser letzte Teil muss auf Zuruf
entstanden sein. Die ersten beiden Zeilen klingen noch so, als hätte
die Autorin im Stil des vorhergehenden Gedöns weiter gemacht. Was
dann folgt ist pures Gestammel, das sich jeder Interpretation
entzieht. Wenn jemand bei den Aufnahmen dabei war, soll er mich mal
aufklären (nicht über den Inhalt, über die Entstehung).
Irgendwie ist auch der tröstliche
Gedanke, dass es im Kern ein Liebeslied ist, abhanden gekommen. Wenn
man erst mal Mauern aus Gier und Verächtlichkeit abbauen muss, dann
hätte man vielleicht erst gar keine Stadt für den Duettpartner
bauen sollen. Also doch eine Stadt für uns alle, ohne Verkehr und
Klimawandel, mit Menschen, die wissen wie sie heißen. Bin ich zu
kleinlich?
Fazit: Solange Blicke durch Zeit und
Raum in unsre Herzen fließen, wird es schlecht getextete Popsongs
geben.