Wie lange braucht man wohl, um so einen
Text zu schreiben? Als ich vor einiger Zeit das leidlich lieblose
Bonusmaterial zum Album „Kunstraub“ ansah, staunte ich nicht
schlecht. In dem Video wurde der Studioalltag der Band gezeigt, die
mit skizzierten Songs und Texten im schönen Münsterland ein Album
zusammenbastelten. Das Wort basteln soll hier nicht despektierlich
klingen, so kann man durchaus Bedeutendes erschaffen. Während die
Einen sich die Musik vorknöpften, saßen Andere am Computer und werkelten an den Texten.
Ich stelle es mir auch sehr schwierig
vor, in einer festgelegten Zeit ein Album zu produzieren. Was ist,
wenn die Muse mal nicht zu einem ins Bett hüpft oder der Tag auf
Grund nächtlicher Ausschweifungen nur in abgedunkelten Räumen zu
ertragen ist?
Auf ihrem zweiten regulären Rockalbum
„Verehrt und angespien“ befindet sich ein Song, der den Bandnamen
als Titel trägt:
In Extremo
Du bist die Sonne, die auf mich
scheint
Du bist die Träne, die für mich
weint
Du bist der Tropfen, der mich tränkt
Du bist das Feuer, das mich lenkt
In Extremo, In Extremo
Ich bin mir nicht sicher, an wen dieses
Lied gerichtet ist. Das literarische Gegenüber, das gedutzt wird,
könnte ein Lebenspartner ebenso wie ein Gott sein. Vielleicht ist es
aber auch das innere Selbst, welches uns antreibt, die Unruhe die uns
verzehrt. Richtig schlau wird man im ganzen Text nicht aus der Sache,
denn die Bilder haben irgendwie keinen durchgehenden Bezug. Also doch
Gott, der geht immer.
Die zweite Zeile ist ein echter
Schenkelklopfer und wenn ich mal ein Buch über Fehler beim Dichten
schreibe, kommt das als Paradebeispiel hinein: Wie kann eine Träne
weinen? Die Träne ist das Produkt des Weinens, sie kann nicht aktiv
weinen, das tut die Tränendrüse für sie.
Auch wenn es nicht leicht vorstellbar
ist, dass ein einzelner Tropfen uns tränkt, lassen wir das mal
gelten. Noch schwerer fällt es mir allerdings, mir ein Feuer
vorzustellen, das mich lenkt. Wir würden wohl immer dorthin
ausweichen, wo das Feuer nicht ist. Es sein denn, wir sprechen vom
inneren Feuer. Die Deutung bleibt verschwommen.
Du bist der Geist- an mich vererbt
Du bist das Blut, das mich bekehrt
Du spielst die Harfen, die für mich
singen
Du stößt die Hörner, die für
mich klingen
In Extremo, In Extremo
Aha, ein deutliches Indiz für den
göttlichen Deutungsansatz: der Geist wurde vererbt. Geist gleich
denkendes Bewusstsein des Menschen, Verstandeskraft, Verstand?
Heiliger Geist? Oder reden wir profan von einer Pulle ollen Alkohols?
Wohl nicht, denn das gedutzte literarische Gegenüber ist auch das
Blut, das das lyrische Ich bekehrt. Welches Blut und zu welcher
Religion bleibt offen. Passend zum feierliche Anlass singen die
Harfen (herrje) weil es sich so schön auf „klingen“ reimt. Dabei
stößt das Du die Hörner, anstatt in sie zu stoßen – das
Versmaß kann ein Biest sein.
Du bist der Neid der mich verzehrt
Du bist das Weib das mich begehrt
Du bist die Erde auf der ich steh
Du bist der Weg auf dem ich geh
In Extremo, In Extremo
Ha! Da haben wir es: das Weib! Nach
einem kurzen Intermezzo einer Todsünde – der Neid setzte sich im
Casting gegen seine sechs Konkurrenten durch – kriegt der Text die
Kurve ins Irdische. Es geht doch um Beischlaf und wahrscheinlich um
Liebe, denn kann man dem Weibe etwas schöneres sagen, als dass es
die Erde wäre, auf der man steht und der Weg auf dem man geht? Man
kann.
Alle Zeilen werden im Lied wiederholt,
was nur zwei mögliche Schlüsse zulässt: Entweder sind sie enorm
wichtig, oder den Textern fiel einfach nix mehr ein so kurz vor
Ultimo.
Fazit: Das können die Kollegen viel
besser, wie sie später bewiesen haben. Hier war anno 1999 noch
extrem viel Luft nach oben.