Neulich beim
Frühstücksfernsehen: Kurz vor 9 Uhr, also kurz vor Schluss der
Sendung, gibt es immer ein bisschen Musik. Die gibt es deswegen am
Ende, weil viele Menschen bei Musik im Fernsehen wegschalten und am
Ende des Morgenmagazins im ZDF tut das den öffentlich
rechtlichen Programmmachern nicht mehr so weh. Dadurch wurde an
diesem Morgen möglicherweise viel Geschirr gerettet, denn diesmal
wurde ein gewisser Matteo Capreoli vorgestellt, der just an diesem
Tag seine neue Single vorstellen durfte. Ihr kennt Matteo Capreoli
nicht? Ich bete zu Gott, das wir uns seinen Namen nicht merken müssen
und im Grund genommen wäre ihn zu ignorieren der richtige Weg, aber
ich kann nicht anders.
Auf seinem Twitter
account finden wir folgende vollmundige Kurzbeschreibung: „Matteo
Capreoli, der etwas andere Lockenkopf aus Stuttgart. Der
multitalentierte Songwriter ist Vollblut-Musiker im wahrsten Sinne
des Wortes...“ Im wahrsten Sinne des Wortes? Warum wird so ein
Klischee auch noch unterstrichen? Hat er sich extra voll Blut
bekleckert, um sein Talent herauszustreichen? Bei seinem Auftritt im
ZDF jedenfalls fiel mir die Kinnlade herunter und das Müsli aus dem
Mund. Den Text von „Das Beste“ jedenfalls hatte noch niemand ins
Netz gestellt, so dass ich gezwungen war seine Darbietung zu
transkribieren (was allein schon eine Strafe war).
Hab mich noch
lange nicht, noch lange nicht erreicht
erreiche jeden
Tag ein neues Ziel
und stell dann
fest, dass es, dass es noch lang nicht reicht
weil ich noch
viel, noch viel, viel weiter will
Dieses „ich hab
mich noch nicht erreicht“ kommt aus der Schublade „ich bin
auf der Suche nach mir, hab mich verloren, muss mich finden“. Ich
prangere es gern wieder und wieder an: Es ist öde sich hinzustellen
und zu behaupten, dass man nicht wisse, wer man sei, oder wo man
hinwolle. Die wage Aussage, dass man trotzdem jeden Tag ein neues
Ziel erreicht, ist genauso belanglos wie die Feststellung, dass es am
Abend dunkel wird oder Zitronenfalter keine Zitronen falten.
ich will mehr aus
mir hol'n
ich will mehr von
mir seh'n
und ich will dir
noch mehr von mir erzähl'n
Wenden wir doch noch
einmal die Im-wahrsten-Sinne-des-Wortes-Technik an und stellen uns
vor, wie Matteo, der etwas andere Lockenkopf, unappetitliche Dinge
aus sich herausholt und sie sich anschaut. Muss das sein? Nein.
Ganz nebenbei wird
an dieser Stelle neben dem lyrischen Ich ein Adressat eingeführt, ein nicht näher bezeichnetes du.
Der Sänger besingt also nicht seine Selbstfindungsreise, nein, es
ist nur ein Liebeslied. Auch das noch.
ich such nach
meinen Grenzen und zwing sie in die Knie
bis ich am Boden
lieg und nichts mehr geht
Oh jeh. Wie zwingt
man denn Grenzen in die Knie? Ich habe noch keine Grenzen gesehen,
die welche hätten. Und wenn man schon etwas schafft, was noch keiner
geschafft hat, warum ist es dann kein heroischer Sieg? Warum liegt
man dann am Boden? Macht sich der multitalentierte Songwriter aus
Stuttgart überhaupt Gedanken darüber was er singt?
denn du kennst
noch lang nicht das Beste in mir
doch du hast nur
das Beste verdient
also werd ich
mein Bestes tun
und hole das
Beste aus mir
„Nein, hole bitte
nicht das Beste aus dir!“ möchte man dem jungen Mann zurufen und
hofft erneut, dass er das nicht wahrsten Sinne des Wortes meint.
da geht noch so
viel mehr
da geht noch so
viel mehr
will nicht der
Beste sein
nur das Beste für
dich
Allen die bis hier
durchgehalten haben verspreche ich: Da geht noch mehr, allerdings
wird es nichts Gutes sein und schon gar nicht das Beste.
für dich zieh
ich in 'n Kampf
verprügel' mich
im Dreck
wenn's sein muss
bin ich Forrest Gump
und laufe um die
ganze Welt
Das war der Moment,
in dem mir die Kaffeetasse aus der Hand fiel und auf meinem
Küchenboden zerschellte. Autoaggression ist eine ernste Sache, je
früher mit der Therapie begonnen wird, desto größer sind die
Chancen einer Heilung.
Bei circa 40
Kilometern am Tag ist man, wenn man die Ideallinie läuft, übrigens
drei ganze Jahre unterwegs, wenn man die Welt umrunden möchte. Das
sollte man sich gut überlegen, denn in dieser Zeit springen
vielleicht die Fans ab und laufen zu Mark Forster über.
ich geb mich
nicht zufrieden
man, wer weiß
wie viel noch in mir steckt
ich werd's
herausfinden
ey, siehts du wie
mein Feuer brennt
In dem Kampf ziehen,
um die Welt laufen, wie Feuer brennen, die Klischees klappern mal
wieder, wie die Mühlen am rauschenden Bach.
ich schrei so
laut, dass sogar Wölfe verstumm'n
erst schenk ich
dir den Mond
und dann das
ganze Universum
Dafür gibt es
stehende Ovation von mir. Universum auf ein genuscheltes
verstumm'n zu reimen, bringt ihn definitiv in die Hall Of Fame
der besten Reimideen, was sich in der Welt von Matteo Capreoli
wahrscheinlich auch reimt.
Um Wölfe zum
verstummen zu bringen lade ich ihn gern einmal nach Brandenburg ein,
wir haben hier nämlich welche, in Hamburg, wo der Erfinder dieser
Zeilen zurzeit residiert, gibt es nicht einmal welche im Tierpark
Hagenbeck. Und weil es so schön ist, lege ich noch ein paar Minions
drauf, die dem lyrischen Ich helfen den Mond mit einem
Schrumpfstrahler zu verkleinern.
ich werd so oft
am Boden liegen, doch ich steh wieder auf
will nicht der
Beste sein
nur das Beste für
dich usw. usf.
Fazit: Matteo,
sicher bist du ein netter Mensch, vielleicht hast du ja auch Talent,
aber nimm bitte die Hilfe von Leuten an, die Erfahrung mit dem
Schreiben haben und die über deine Texte schauen, bevor du sie für
die Ewigkeit digitalisierst. Es lohnt sich!