Ich hatte den Grafen
schon an anderer Stelle am Wickel, aber sein neues Album bietet
einfach zu viel Stoff zum nachhaken und so kann ich nicht zulassen,
dass er sich ungestraft vom Acker macht. Reden wir also erneut über
den Meister des zuckerwattigen Pathos.
Ich habe mir ganz
spontan „Wir sind Gipfelstürmer“ herausgesucht, weil ich
annehmen muss, dass dieser Song dem aktuellen und angeblich letzten
Album den Namen gegeben hat. Ich vermutete daher, dass es ein ganz
besonderer Song sein muss.
Unsere schöne neue
Medienwelt beschert uns nicht nur Candy Crush, IBAN und Facebook
Nutzungsbedingungen, nein, der Graf höchstselbst erklärt uns auf
You Tube worum es bei „Wir sind Gipfelstürmer“ geht. Ich zitiere
wörtlich:
„Das Lied handelt
im Grunde genommen von der Botschaft, loszugehen, nicht immer alles
auf Morgen zu verschieben, sondern einfach den Weg zu gehen, und dass
wir das heute anpacken, dass wir heute starten, dass wir heute auf zu
neuen Gipfeln gehen, dass wir heute in die großen Berge gehen, und
dass wir dort auf ein großes Abendteuer gehen und irgendwann auf
unserem großen Gipfel des Glücks ankommen.“
Na, dann schauen wir
mal:
Die Kolben
schlagen Sturm im Lauf
Es ruft das Horn
zum Berg hinauf
An dieser Stelle sei
vorweggenommen, dass das Motiv der Dampflok ganz wesentlich den Text
bestimmt. Ohne diese Bedienungsanleitung wäre die erste Zeile nicht
nur einfach schlecht (was sie auch mit dem Wissen um die Dampflok
ist), sie wäre schlicht noch unverständlicher als sie es ohnehin
schon ist.
Wie kann man einen
Text mit so einem gedrechselten Quatsch beginnen? Die Kolben einer
Dampfmaschine bewegen sich in den Zylindern, angetrieben vom Dampf
wandeln sie Wärmeenergie in kinetische Energie um. Gut, lassen wir
sie schlagen, lassen wir sie meinetwegen auch Sturm
schlagen, die dichterische Freiheit ist groß. Akzeptieren wir
auch, dass so eine Maschine läuft, sich fortbewegt, was auch immer.
Aber noch einmal ganz langsam zum Mitmeißeln: Die – Kolben –
schlagen – Sturm – im Lauf?
Es
gilt, den Blödsinn zu geißeln und zu entlarven wo immer wir ihn
treffen, auch wenn er sich hinter hochtrabenden Fassaden zu
verstecken sucht!
Das war Zeile eins,
bleibt uns nur noch das Horn, welches zum Berg hinauf ruft.
Wir können annehmen, dass es das Signal der Lok ist, wobei es sich
allerdings um eine dampfbetriebene Pfeife handelt, weswegen ich
annehme, dass das lyrische Ich ein eigenes Signalhorn (Waldhorn,
Flügelhorn, Posthorn, Jagdhorn, Olifant?) dabei hat, welches wie von
Zauberhand von selbst ertönt, denn das Horn ist das Subjekt und ruft
selbst. Was ruft es eigentlich? Ach, ich frage lieber nicht, das war
schon genug Elend für gerade mal zwei Zeilen.
Lobend sei darauf
hingewiesen, dass Lauf/hinauf sauber gereimt wurde. Spoiler:
Es wird dem Grafen weiter unten ein zweites Mal gelingen.
Mit Kohlenglut
und Feuerschein
An Täler, Tann'
und Seen vorbei
Der Gipfel ruft
uns aus der Ferne
Die Reise zieht
uns in die Berge
Das singt er
wirklich, ich hab noch zwei-, dreimal nachgehört. Warum korrigiert
ihm denn keiner die Grammatik? Woran fahren wir vorbei? An Tälern!
Das lässt sich sogar singen und wenn ihn das n nervt, dann
doch gern „an Tal, und Tann' und See vorbei“. Apropos Grammatik:
Wo ist eigentlich das Verb in den ersten beiden Zeilen? Bis zu diesem
Zeitpunkt ist noch immer nicht klar, ob wir nicht mit Kohlebecken und
Fackel über den Gletscher watscheln. Von fahren jedenfalls
ist nirgendwo die Rede.
Nachdem das
Horn-Subjekt schon zum Berg hinaufgerufen hatte, ruft nun ein
ähnliches Gipfel-Subjekt aus der Ferne zurück. Ob es sich dabei
eines Horns bedient oder einfach die Gipfel-Stimme erklingt, bleibt
unserer wohlwollenden Interpretation überlassen. Noch besser wird es
in Zeile vier, wenn uns das Reise-Subjekt in die Ferne zieht. Ich
habe schon von Fernweh gehört, welches uns irgendwohin zieht, eine
Reise jedoch, die einen Anfang, einen Verlauf und ein Ende hat, kann
uns schwerlich ziehen, sie könnte uns rufen, aber das ist ja
dem Gipfel vorbehalten. Führen? Was frag ich?
Es reimt sich weder
Schein auf vorbei, noch Ferne auf Berge,
hier haben wir es also eine Nulllösung auf diesem Gebiet.
Wir steigen an,
bis wir am Himmel sind
Hoch hinaus, bis
zum Wolkenrand der Welt
Wir ziehen los,
immer weiter, immer höher
Und immer
schneller
Bis zum Himmel um
die Welt
Wir sind die
Gipfelstürmer
Dank der
Bedienungsanleitung wissen wir, dass wir eigentlich in einem Zug
sitzen und wir vermeiden tunlichst die Frage, warum wir als
Gipfelstürmer des Glücks verdammt noch mal auf eine Gehhilfe
angewiesen sind. Also steigen wir nun an, bis wir am Himmel
sind und weil das physikalisch noch nicht dumm genug und poetisch
noch nicht abgegriffen genug ist, geht es noch ein Stückchen höher
zum Wolkenrand der Welt. Wolken haben Ränder, die Welt jedoch hat
keinen Rand, jedenfalls nicht mehr seit dem Mittelalter und
Wolkenränder hat die Welt schon mal gar nicht, das ist Tatsache.
Wenn man sich den
Refrain als Ganzes anschaut fällt auf, dass der Texter ziemlich
vernarrt in den Himmel ist, die Formulierung „bis zum Himmel um die
Welt“ schreit jedenfalls zum Selbigen. Etwas plump und unvermittelt
wirkt deshalb die letzte Zeile. Was hat der Himmel jetzt genau mit
dem Gipfel zu tun, den wir erstürmen, Verzeihung, befahren wollen?
Ich habe vom Kopfschütteln schon einen steifen Hals.
Der Gleise Stahl
führt uns den Weg
Es schreit der
Pfad, es zittern Höhen
Da jubelt der Poet
in mir: „Der Gleise Stahl“ statt der „Stahl der Gleise“...
Was macht das eigentlich mit einer Formulierung, wenn man sie derart
verdreht? Geht es nur mir so, oder denkt der ein oder andere
auch an den aggressiven Duktus
alter Reichsparteitagsreden?
Zeile
zwei bildet den bisherigen Höhepunkt des Textes. Wann schreibt man
so eine Zeile? In welchem Zustand muss man sich befinden, um sie
nicht spätestens
vor der Aufnahme in einem Tonstudio zu streichen? Hat der Mann keine
Freunde, die ihn zur Seite nehmen und fragen: „Sag mal Bernd,
willst Du ernsthaft von schreienden Pfaden und zitternden Höhen
singen? Das reimt sich ja nicht einmal."
Im Eisentier
durch Schnee und Sturm
Die Berge
spiegeln unser Horn
Vom Himmelrand
ruft uns die Ferne
Die Freiheit
zieht uns in die Berge
Die Dampflok wird
auch gern als Dampfross bezeichnet, die Metapher Eisentier
kann durchaus als gelungen bezeichnet werden, allerdings fehlt wieder
einmal das Verb, welches wir gedanklich hinzufügen müssen und den
offiziellen Beweis, dass wir in einem Zug sitzen und auf der Gleise
Stahl zum Gipfel rauschen bleibt uns der Text weiterhin schuldig.
Grassierender Unsinn
auch in der zweiten Zeile, denn es wird behauptet, dass die Berge das
Horn spiegeln, wo sich doch bestenfalls die Berge selbst im
blankgeputzten Horn spiegeln könnten. Aber mit der Physik steht der
Text eh auf dem Kriegsfuß.
Das Rufen und das
Ziehen hat dem Grafen so gefallen, dass zur Abwechslung jetzt nicht
der Gipfel aus der Ferne, sondern die Ferne selbst aus der Ferne ruft
und dort, wo uns eben noch die Reise zog, da ist es nun die Freiheit,
die uns in die Berge zieht und wir wagen nicht zu fragen, was dass
denn für eine Freiheit ist, die uns zieht und uns somit unfrei
macht. Das Ganze Elend mit Nullreim bei Sturm/Horn und
Ferne/Berge, welches wir weiter oben schon einmal hatten.
Und irgendwann,
wenn wir den Gipfel im Licht sehen
Ist das Glück
zum Greifen nah, dort oben zu stehen
Ist das Glück
zum Greifen nah
Bis zum Himmel um
die Welt
Auch ein schöner
Satz. Bedeutet so viel wie: Wenn man den Gipfel sehen kann, besteht
eine gewisse Wahrscheinlichkeit, auch bald auf auf ihm zu stehen. Was
für ein Geschwalle!
Dafür präsentiert
uns der Autor hier seinen zweiten und letzten sauberen Reim:
sehen/stehen.
Wir steigen an,
bis wir am Himmel sind... usw.
Fazit:
Die
Kolben treiben Räder an,
der
Graf sitzt in der Eisenbahn,
fährt
sehr bequem durch Tal und Tann
und
kommt alsbald am Gipfel an.
Die
Ferne ruft, der Gipfel auch,
die
Reise zieht, so ist der Brauch,
ihn
an den Wolkenrand der Welt,
dort
steht der Graf nun stolzgeschwellt.
In
seinem Berg, da spiegeln schön
sich
Hörner, die im Lichte steh'n,
dort
wohnt das Glück in Ewigkeit,
unheilig
schön und tief verschneit.
Es
schreit der Pfad, es zittern Höh'n,
so
könnt' es ewig weiter geh'n.
Doch
bald zieht ihn die Freiheit fort,
darauf
gab Bernd sein Ehrenwort.