Ich habe nichts gegen Andreas, er wirkt
sehr bodenständig und ist in den letzten Jahren sehr fleißig
gewesen. Auch die neue Frisur ist toll. Der Text allein wäre kaum
eine Besprechung wert, denn der Song ist Pop und will auch gar nix
anderes sein. Wer mir allerdings verklickern will, man hätte nicht
voll auf die WM 2014 gesetzt und das Ganze wäre alles nur rein
zufällig passiert, kann mir auch gleich einen Bären aufbinden
(wahrscheinlichste Herleitung ist die von der germanischen Wortwurzel
bar, sie stand für tragen, später wusste man nicht mehr,
dass bar für Last stehen sollte und deutete es
volksetymologisch zu Bär um, was dann jedoch keine klar
verständliche Aussage mehr mit sich brachte).
Obwohl es hier hauptsächlich um Texte
gehen soll, muss man zur Unterstützung meiner These zunächst die
Musik untersuchen. Die augenfällige Nähe zum Coldplay Song Viva la
Vida hat hier nämlich Methode. Der Fußball-Bundesligist Hamburger
SV spielte von Januar 2009 bis Mai 2010 bei Torerfolgen im eigenen
Stadion den Refrain des Stücks als Unterstützung des Torjubels.
Seit der Saison 2011/12 wird bei Torerfolgen in Heimspielen von
Hannover 96 der gleiche Ausschnitt gespielt. Das Produzententeam
folgte also der Formel Viva la Vida = Hit = Fußball = Blaupause.
Überhaupt das Produzententeam: Es gibt in der Musikbranche eine
Handvoll Leute, die immer hinzugezogen werden, wenn es erfolgreich
sein soll. Und wen nimmt man da? Die Leute die schon erfolgreich
sind. Deswegen können sich Leute, die Platinplatten an der Wand
haben vor Aufträgen gar nicht retten. Bis sie einen Flopp landen.
Dann sind sie auch mal schnell weg vom Fenster. Im vorliegenden Fall
hält Peter “Jem” Seifert die Fäden in der Hand, der zuletzt mit
Ich+Ich und vor allem mit Udo Lindenberg für Furore sorgte aber auch
schon für Andreas Bourani einen Echo für das „Beste
Produzententeam“ einsacken konnte.
Wer hier immer noch glaubt, dass sich
solche Leute mit einem geringeren Anspruch, als DEN WM Hit 2014 zu
produzieren, ans Pult setzen, glaubt auch an Einhörner.
Warum übrigens die Sporties in diesem
Jahr nicht mitmischen konnten, liegt an einer simplen Tatsache: 54,
74, 90, zweitausendundvierzehn hat eine Silbe zuviel, und ließ sich
nicht noch einmal recyceln. Wer will kann gern versuchen, es mal zu
singen.
Wer friert uns diesen Moment ein
Besser kann es nicht sein
Denkt an die Tage, die hinter uns
liegen
Wie lang wir Freude und Tränen
schon teilen
Hier geht jeder für jeden durchs
Feuer
Im Regen stehen wir niemals allein
Und solange unsere Herzen uns
steuern
Wird das auch immer so sein
Die ersten beiden prophetischen Zeilen,
sind die besten im ganzen Song. Besser wird es nicht. Es ist
augenfällig, dass es eine Wir-Perspektive gibt, die normalerweise
für Beziehungslieder aller Art herhalten muss. Von Zweierbeziehung
ist aber im ganzen Lied keine Spur, also kommt nur die Gesellschaft
als Ganzes in Frage oder eben unsere Fussballhelden. Geteilte Freude
und Tränen, durchs Feuer gehen, im Regen nicht allein stehen, das
sind alles leider sehr abgegriffenen Phrasen, die auch durch
obligatorische Herzen, die uns steuern, nicht aufregender werden. Das
wird auch immer so sein. Traurig auch - und man mag es wieder einmal
gar nicht analysieren – wie wenig Reim sich deutsche Popkünstler
zutrauen. Ein auf sein, allein auf sein...
soll das denn schon alles sein?
Ein Hoch auf das, was vor uns liegt
Dass es das Beste für uns gibt
Ein Hoch auf das, was uns vereint
Auf diese Zeit
Das hier ist das, was in der
Produzentensprache ein Pre-Chorus ist. Ein musikalischer Teil vor dem
Refrain, der sich schon von der Strophe abhebt und den Weg für einen
großen Refrain ebnet, der dann noch mehr aufgeht als der Pre-Chorus.
Textlich wird mit „ein Hoch“ schon mal der Refrain zitiert. Aber
schauen wir noch einmal zurück: In den ersten beiden Zeilen wurde
postuliert, dass es in diesem Moment nicht besser sein kann. Nun
sollen wir hoffen, dass es das Beste noch für uns geben soll.
Ziemlich inkonsequent.
Ein Hoch auf uns
Auf dieses Leben
Auf den Moment
Der immer bleibt
Ein Hoch auf uns
Auf jetzt und ewig
Auf einen Tag
Unendlichkeit
So, nun aber der richtige Refrain und
jetzt wird auch wieder der Moment bemüht, der immer bleibt. Geht es
nur mir so, oder spukt der olle Goethe durch den Text: „Zum
Augenblicke dürft' ich sagen: / Verweile doch, du bist so schön! /
Es kann die Spur von meinen Erdetagen / Nicht in Äonen untergehn. –
/ Im Vorgefühl von solchem hohen Glück / Genieß' ich jetzt den
höchsten Augenblick.“ Tja, das war noch Dichtkunst, da kommt ein
Tag Unendlichkeit eher
schmalbrüstig daher, denn was bitte ist ein Tag Unendlichkeit? Das
gleiche wie ein Lichtstrahl Dunkelheit?
Wir haben Flügel, schwör'n uns
ewige Treue
Vergolden uns diesen Tag
Ein Leben lang ohne Reue
Vom ersten Schritt bis ins Grab
Wir kommen auch schon fast zum Ende.
Obwohl an dieser Stelle im Song erst 1 Minute 35 Sekunden rum sind,
ist textlich alles gesagt und zwar schlecht. Hier wird nur schnell
und schlampig was zusammengerührt. Wieso haben wir jetzt Flügel,
ja, ist den heut schon Weihnachten? Ewige Treue, Leben ohne Reue, bis
ins Grab. Das könnte auch aus einem Soldatenlied sein, aber
wenigstens wird gereimt was das Zeug hält.
Ein Hoch auf das, was vor uns liegt
usw. usf.
Ein Feuerwerk aus Endorphinen
Ein Feuerwerk zieht durch die Welt
So viele Lichter sind geblieben
Ein Augenblick, der uns unsterblich
macht
Dieser C-Part wird von der klassischen
Popstruktur diktiert, inhaltlich hatte man anscheinend nichts
vorbereitet. Endorphin ist eine Wortkreuzung aus „endogenes
Morphin“ mit der Bedeutung‚ ein vom Körper selbst produziertes
Opioid. Im allgemeinen also Stoffe, die uns in einen Rausch
versetzen, die auf das Nervensystem einwirken. Worauf ich hinaus
will, ist, dass Endorphine ein Feuerwerk hervorrufen können, selbst
aber kein Feuerwerk sind. Egal, es hört ja eh keiner hin wie ich
feststellen musste. Also zieht das Feuerwerk durch die Welt, aber
wenigstens die Lichter bleiben. Welche Lichter eigentlich? Nein, ich
frage lieber nicht.
Fazit: Ein neuer Grönemeyer ist
Andreas noch nicht, auch wenn er im Refrain so schön auf Leben
und ewig herumknödelt. Trotzdem Glückwunsch zum nicht ganz zufälligen WM Hit 2014.