Deutschland Mitte
April 2019. Wie jede Woche klettert ein mir völlig unbekannter Name
auf Platz 1 der Albumcharts. Gestern Azet & Zuna, morgen Capital
Bra heute Mero. Letzterer fiel mir auf, weil er in unserer
an Rekorden so reichen Zeit, einen weiteren beisteuern konnte. Sein
Musikvideo zu "Wolke 10" erreichte in den ersten 24 Stunden
mehr als 4,47 Millionen Abrufe bei YouTube. Laut den Betreibern der
Plattform kann der Rapper damit "das größte deutsche
HipHop-Debüt auf YouTube feiern". Während diese Zeilen getippt
werden steht der Song bei rund 30 Millionen Aufrufen. Wenn etwas so
erfolgreich ist, muss es dann auch gut sein?
An anderer Stelle
habe ich bei der Besprechung von Philipp Dittberners „Wolke 4“
geäußert, dass sich in der Liebe niemand mit weniger als Wolke 9
zufrieden geben sollte. Die sprichwörtliche Wolke 7 kommt übrigens
wie vieles, was wir umgangssprachliche verwenden, aus der Bibel. In
den Apokryphen steht im zweiten Brief des Paulus an die Korinther,
dass der Himmel aus verschiedenen Schichten aufgebaut ist und ganz
oben, im "siebten Himmel" also, da lebt Gott mit den
Engeln. Wenn die Amerikaner verliebt sind, dann schweben sie auf
"cloud nine", warum ist nicht genau bekannt, aber who
cares, denn bei den Amis ist alles größer, höher und natürlich
besser. Es brauchte einen deutschen Rapper türkischer Abstammung aus
Rüsselsheim, um diesem Konzept die Wolke 10 hinzuzufügen. Drei
Wolken über Gott und seinen Engeln, eine über Donald Trump. Genial.
Was genau sich dort abspielen soll, finden wir im Text. Dachte ich.
Baby, komm, wir
geh'n
Richtung Wolke
zehn
Wo wir sind, kann
uns keiner seh'n
Und ich weiß, du
stehst
Auf Mero, also
komm, wir geh'n
Richtung Wolke
zehn
Wo wir sind, kann
uns keiner seh'n
Und ich weiß, du
stehst
Auf Mero
Was mich sofort
anspringt, ist die Nennung des Künstlers durch den Künstler. Mero
singt über Mero. Es gibt also keinerlei Distanz, kein lyrisches Ich
und auch keinen Raum für Spekulationen. Wir schauen tief in die
Seele eines pubertierenden Adoleszenten. Interessant ist, dass er
über Mero zunächst in der dritten Person singt. Kunst oder
Schizophrenie?
Dieser Mero also
will mit Baby auf Wolke 10 „geh'n“. Der Reim auf „Zehn“ war
einfach zu verführerisch, um auf die Wolke zu fliegen oder zu
schweben. Und weil die Latte einfach nicht hoch genug gelegt werden
kann, gibt es noch den Reim auf „seh'n“. Damit wird er die
Kumpels seiner Gang sehr beeindruckt haben.
Inhaltlich bleibt es
wirr, denn Mero will mit Baby erst noch auf die Wolke, sagt aber,
dass da, wo sie gerade sind (nämlich zwischen all den Leuten, wie
wir gleich sehen werden), sie keiner seh'n kann. Wie soll das gehen?
Egal, wir ahnen was er sagen will, die Liebe braucht keine großen
Worte, es genügt Gestammel.
Ich dreh' ein
paar Runden
Und seh' eine
Schlange, als wären sie Kunden
Ich weiß doch,
sie wollen zu mir
Machen Bilder,
weil alle sind nur für mich hier
Doch der Mero ist
anders, der Typ
Er kennt diese
Mädels, weil ich bin berühmt
Ich tausch' keine
Nummern und zeig' kein Gefühl
Doch eine von
vielen fällt auf, ist so süß
Yeah! Ich geh'
hin, was für schäm'n? Und ich frag', wie sie heißt.
Wow. Da sitzt man
erst einmal 5 Minuten vor der Tastatur und fragt sich wie man das
besprechen soll. Nähern wir uns der Angelegenheit am Besten über
den Inhalt. Mero, der als erfolgreicher Instagrammer schon vor „Wolke
10“ die Massen begeisterte, scheint so etwas wie eine
Autogrammstunde zu haben. Als ambitionierter Texter, der im Refrain
einen geschummelten Dreifachreim hinbekommen hat, will er natürlich
nachlegen und reimt „Runden“ auf „Kunden“. Das dabei der
Eindruck entsteht, er wäre zufällig irgendwo vorbei gekommen, wo
Leute auf ihn warten, ist entweder genial oder hirnrissig. Ich
vermute Letzteres. Was ich besonders bezeichnend finde, ist die
Tatsache, dass er nach dieser Meisterleistung sukzessive die Lust am
Reimen verliert. Reicht es in Zeile drei und vier noch für ein
liebloses „hier“ auf „mir“, bleibt uns in fünf und sechs nur
noch eine Assonanz, deren Bedeutung Mero erst nachschlagen muss.
Danach ist erst mal Essig mit dem Reim.
Interessant ist,
dass er dieses Prinzip auch bei den folgenden Strophen beibehält,
was bei mir die Frage nach der Arbeitsweise aufwirft. Es scheint, als
würde man auf Teufel komm raus nach einem Reim suchen, der eine
Strophe initiiert, die man aber im weiteren Prozess der Ausarbeitung
jedoch nie handwerklich durchhält.
Seine Fans als
Kunden abzutun ist konsequent, denn er will ja ein Produkt vermarkten
und das dazugehörige Video, welches hier nicht besprochen werden
soll, lässt erahnen wofür die Kohle gebraucht wird.
Mitte der Strophe
kippt übrigens die dritte Person des Meros in die erste Person
Singular. Treffen wir jetzt auf den echten Mero, den, der zu Gefühlen
fähig ist, den, der sich nicht was für schämt, mal zu einem Mädel
rüber zu gehen, weil die ist so süß?
Sie ist
schüchtern und kommt drauf nicht klar, weil sie weiß
Und ab jetzt ist
sie meins, denn ich will mit ihr weg
Ihre Augen zu
schön und ihr Körper perfekt, also
Ich rede gar
nicht viel und sage, „Komm!“
Und weil ich mit
der Gang bin, hat sie zwei Freundinnen mitgenomm'n
Und sie weiß,
was ich mag, ich brauche sie nicht zu fragen
Weil ich weiß,
sie sagt ja, bin mir sicher und ich sag'
Baby, komm, wir
geh'n
Richtung Wolke
zehn...
Das waren jetzt 10
Minuten. Vielleicht sollte man den Text einfach mal so wirken lassen.
Über weitere Assonanzen brauche ich hier nicht reden. Schön, dass
Mero Baby nicht nur auf die Titten sondern auch in die Augen schaut.
Ist halt ein ganz Lieber, der Mero.
Wir geh'n erstmal
essen
Sie stellt sich
so dar, als wär' sie 'ne Prinzessin
Den heutigen Tag
zu vergessen
Ist fast schon
unmöglich, kann ich dir versprechen
Sie fragt mich,
ob man sich noch sieht
Sie denkt sich,
dass es bei mir sowas nicht gibt
Ja, irgendwie hat
sie sich in mich verliebt
Doch so ein
Gefühl hatte sie ja noch nie
In diesem ersten
Teil der zweiten Strophe geschieht etwas merkwürdiges. Eben noch war
Mero von Baby so angetan, dass er direkt auf Wolke 10 (wir erinnern
uns: drei Wolken über Gott) mit ihr geh'n wollte. So voll verliebt
eben. Jetzt wird Baby zur Bitch, klammert sich an den armen Mero als
gäbe es kein Morgen und macht dabei einen auf Prinzessin. Ist das
nun die Frau mit der er Kinder kriegen und alt werden will, oder doch
nur ein Fan der ihn schon nach 10 Minuten nervt?
Ey, ey, meine
Hand will sie nicht loslassen
Ein Lächeln im
Gesicht würd' keinem so passen
Sie fragt mich,
wann wir uns wieder treffen
Bin besessen,
ihre Blicke machen mich an, so wie Gucciletten
Hinter Gucciletten
muss ich einfach mal innehalten. Ja, es gibt so etwas wie
Badelatschen von Gucci und wenn die Augen von Baby-Bitch Mero so
anmachen, dass er diesen Vergleich wählt, dann muss auch dem Letzten
klar sein, dass es hier nicht um Wolke 10 geht. Das Ganze ist einfach
unterirdisch, dumm und nebenbei, jedes Klischee bedienend,
frauenverachtend.
Falls mir Jemand die
zweite Zeile interpretieren kann: Ich nehme Hilfe dankend entgegen.
Ich kann auf
alles wetten, sie wird mir auch morgen schreiben
Bei mir bleiben,
niemals streiten, mich auf meinem Weg begleiten
Sie hört nicht
auf zu kleben, „Komm, lass die Leute reden!“
Lass uns lieber
weggeh'n, meine Batzen könn'n wir beide zähl'n
Ich
fasse noch einmal zusammen: Mero trifft Fans, kuckt sich ein Mädel
aus, weil die Körper und Augen hat, geht mit ihr was essen, Freunde
sind dabei, sie klammert sofort und Mero ist sich voll sicher, dass
sie ab jetzt ständig Whats App Nachrichten schreiben und nie
streiten wird und an ihm kleben bleibt für immer, und das ist so
schön, dass er mit ihr auf Wolke 10 verschwinden will, was noch viel
geiler ist als der siebente Himmel. Geht's noch dümmer? Kaum.
Immerhin
ist es Mero gelungen ein Wort unterzubringen, dass ich noch nie in
einem Popsong gehört habe: Batzen. By the way: Meint er wirklich was
da steht, dass er und Baby-Bitch dann die viele Kohle zählen, die
man mit so etwas verdienen kann? Ich empfehle einen Ehevertrag.
Fazit: Auch dieser
Song wird das Abendland nicht untergehen lassen. Wer Erfolg hat, hat
Recht. Wolke 10 ist ein verdammter Ohrwurm, der uns daran erinnert,
dass eine eingängige Melodie uns vergessen lassen kann, wie
oberflächlich und handwerklich dürftig Texte machmal sind, die
damit transportiert werden.