Neulich Nacht werde
ich doch wach und frage mich: „Warum eigentlich Monsun? Warum nicht
Orkan, Hurrikan, Taifun oder einfach Sturm?“ Die eigentliche Frage
ignorierend, warum mich ein 10 Jahre alter Song des Nachts heimsucht,
machte ich mich an die Analyse des Textes der Magdeburger Band um die
Kaulitz – Zwillinge. Deren erste Single „Durch den Monsun“
jagte 2005 durch die Decke und bescherte der Band Tokio Hotel einen
heftigen Sturm des öffentlichen Interesses.
Nachdem ich den Text
noch einmal gelesen hatte, recherchierte ich dessen Entstehung und
musste leider alle strafmindernden Umstände revidieren. Es handelt
sich um eine Gemeinschaftsarbeit von sage und schreibe 5 Personen,
die sich für Musik und Komposition angemeldet haben und der damals
gerade erst strafmündig gewordene Bill Kaulitz ist nur einer davon.
Dem androgynen Jüngling standen gleich vier Erwachsene zur Seite,
darunter der Ex-Boygroup-Star und Autor David Jost und der
Erfolgsproduzent Peter Hoffmann.
Das Fenster
öffnet sich nicht mehr
Hier drin ist es
voll von dir und leer
Und vor mir geht
die letzte Kerze aus
Ich warte schon
’ne Ewigkeit
Endlich ist es
jetzt soweit
Da draußen
zieh’n die schwarzen Wolken auf
Ist das kryptisch?
Arbeiten die Autoren hier mit Chiffren? Ist das pure
Poesie, der man nur mit der Seele nachspüren kann? Ist alles konkret
situativ beschrieben? Handelt es sich um zusammengepanschten
Blödsinn?
Ich entscheide mich
dafür, den Text nicht wörtlich zu nehmen, sondern darin Metaphern zu sehen. Allerdings sollten auch in diesem Fall Bilder und
Bezüge innerhalb des Textes stimmen – ich komme darauf noch zu
sprechen.
Demnach ist das
Fenster also kein Fenster zum Hof, sondern das Fenster, welches sich
normalerweise öffnet, wenn, wie eine Binsenweisheit besagt, irgendwo
eine Tür zufällt. Da nun dieses Fenster sich nicht öffnet, es also
keine Hoffnung gibt, werden wir verhaftet, um Zeuge zu werden, wie
das lyrische Ich an der verlorenen, unglücklichen oder wahlweise
auch bedrohten Liebe leidet.
Der poetische Raum
ist zugleich voll und leer von der (vermutlich) arg vermissten Person
und wer darin eine Paradoxie erkennen möchte hat in der Jugend nie
geliebt.
Ein winziger
Fingerzeig auf das leidige Thema Reim: Sauber reimen sich nur die
ersten beiden Zeilen, für mehr reicht es zunächst nicht.
Weil alles so düster
und traurig ist, geht die letzte Kerze aus und ich bin dankbar, dass
der letzte Rest sterbender Hoffnung hier im Gewand der verlöschenden
Kerze daher kommt und nicht namentlich erwähnt wird.
Nach drei Zeilen
bekommt der Text dann einen Dreh, der ihn zum Refrain führen soll.
Kurz das Klischee der gewarteten Ewigkeit zitiert, ohne die kein
Liebesschmerzsong existieren kann, dann ist es endlich so weit, denn
es ziehen schwarze Wolken auf – draußen, vor dem Fenster welches
sich nicht mehr öffnet. Denn:
Ich muss durch
den Monsun hinter die Welt
Ans Ende der Zeit
bis kein Regen mehr fällt
Gegen den Sturm
am Abgrund entlang
Und wenn ich
nicht mehr kann, denk’ ich daran
Irgendwann laufen
wir zusammen
Durch den Monsun,
dann wird alles gut
Wenn es ein
exemplarisches Beispiel für Metaphern-Häufung gibt, dann ist es
dieser Abschnitt. Es genügt nicht, dass sich das lyrische Ich durch
eine großräumige Luftzirkulation der unteren Troposphäre im Gebiet
der Tropen und Subtropen im Einflussbereich der Passate kämpfen
muss, es muss dabei noch hinter die Welt, an das Ende der Zeit und am
Abgrund entlang. Das ist ziemlich viel verlangt aber wenn der
Liebesschmerz groß ist, müssen es die Bilder auch sein. Das Ziel
des ganzen Aufstandes wird auch benannt: Das lyrische Ich will
irgendwann mit der (vermutlich) arg vermissten Person wieder zusammen
sein und mit ihr durch den sturmgepeitschten Regen laufen. Dann wird
alles gut.
Allerdings
beantwortet das nicht die Frage, warum es ein Monsun sein muss. Seine
stärkste Ausprägung und zugleich seinen Wortursprung hat der
Begriff Monsun im Raum des Indischen Ozeans. Ist dies für die
Autoren das Ende der Welt, welches es zu erreichen gilt? Ist die
(vermutlich) Angebetete eine Inderin?
Ich will gnädig
sein und annehmen, dass es sich um eine starke Metapher für Tränen
handeln soll. Ein Sturm der Gefühle, der das lyrische Ich an den
Abgrund drängt und nur das gemeinsame Weinen mit der (vermutlich)
arg vermissten Person, macht alles wieder gut.
Weniger liebevolle
Texte haben oft die Eigenschaft, dass einer leidlich schlechten
ersten Strophe eine richtig schlechte zweite folgt. So auch in diesem
Fall. Offensichtlich war man schon hoffnungslos mit Strophe Eins und
Refrain überfordert, also Augen auf und durch:
’n halber Mond
versinkt vor mir
War der eben noch
bei dir
Und hält er
wirklich was er mir verspricht
Ich weiß, dass
ich dich finden kann
Hör’ deinen
Namen im Orkan
Ich glaub noch
mehr dran glauben kann ich nicht
Ich sprach weiter
oben von Bezügen innerhalb des Textes. Einen ganz klassischen Fehler
findet sich gleich in Zeile eins. Die schwarzen Wolken, die eben noch
aufzogen, und der Monsun der hereinbrach genügen offensichtlich
nicht, um zu verhindern, dass das lyrische Ich dem halben Mond beim
Versinken zusehen kann. Was braucht es jetzt eigentlich einen Mond?
Warum diese kindlich naive Frage, ob jener eben noch bei der
(vermutlich) arg
vermissten Person (die von nun an im Text als „Varvep“
abgekürzt wird) war? Um die Verwirrung zu krönen soll dieser Mond
auch noch etwas versprochen haben, das in Frage gestellt wird. Um
welches Versprechen es sich handelt, was das alles mit der
großräumigen Luftzirkulation zu tun hat bleibt das Geheimnis der
Autoren.
Die zweite Hälfte
der Strophe versöhnt mit einer Rückkehr zum Optimismus und zum
schlechten Wetter, allerdings frage ich mich, wer den Namen der
Varvep in den Orkan hinein ruft. Das rote Kreuz? Die Feuerwehr?
Bei all den
Unzulänglichkeiten unerwartet, zeigt sich in dieser Strophe eine
klare Reimstruktur, die man gar nicht so häufig findet: aa b cc b
Ich muss durch
den Monsun Hinter die Welt
Ans Ende der Zeit
bis kein Regen mehr fällt
Gegen den Sturm
am Abgrund entlang
und wenn ich
nicht mehr kann, denk’ ich daran
Irgendwann laufen
wir zusammen
Weil uns einfach
nichts mehr halten kann
Durch den Monsun
Der zweite Refrain
unterscheidet sich nur um die hinzugefügte vorletzte Zeile, die uns
– Klischee sei Dank – versichert, dass das lyrische Ich und die
Varvep nicht mehr gehalten werden können, was impliziert, dass sie
noch vor kurzem gehalten wurden. Nur von wem? Und warum?
Ich kämpf mich
durch die Mächte, hinter dieser Tür
werde sie
besiegen und dann führ’n sie mich zu dir
Dann wird alles
gut, dann wird alles gut
Wird alles gut,
alles gut
Auch eine schöne
Steilvorlage, bei der kaum etwas gut wird, geschweige denn alles.
Zunächst bestätigt sich der Verdacht, dass das Leben eben noch eine
Tür zufallen ließ. Hinter dieser lauern nämlich finstere Mächte
wie Eltern, Klassenkameraden, Schicksale und/oder Zombofanten, die,
wenn sie besiegt wurden, auch noch so nett sind, das lyrische Ich zur
Varvep zu führen. Herrlich.
Fazit: Wenn man jung
ist und Liebeskummer hat, schreibt man solche Texte ins Poesiealbum
und schämt sich später dafür. Der Erfolg des Songs gibt allen
Beteiligten Recht – rechtfertig jedoch nicht dessen Lieblosigkeit.