Donnerstag, 11. Dezember 2014

Mark Forster „Au Revoir“



Das Jahr 2014 sollte nicht zu Ende gehen, ohne dass wir diesen gewaltigen Single-Hit würdigen, der vor allem in den gängigen Formatradios bis zum Erbrechen rund gespielt wurde. Mark Forster ist ein nicht mehr so ganz junges Talent, welches aus dem pfälzischen Winnweiler nach Berlin zog, um von dort die Welt zu erobern. Dass er dort irgendwann Sido über den Weg lief, war ein großes Glück für Beide. Zunächst veredelte Mark dessen Single „Einer dieser Steine“ als Refrainsänger, was Herrn Paul Hartmut „Sido“ Würdig schon mal eine goldene Schallplatte einbrachte. Da war es nur folgerichtig auch Mark auf's Treppchen zu helfen, was mit vorliegender Produktion perfekt gelang. Glückwunsch.

In diesem Haus, wo ich wohn',
hier ist alles so gewohnt,
so zum Kotzen vertraut.
Mann, jeder Tag ist so gleich,
ich zieh Runden durch mein' Teich,
ich will nur noch hier raus.

Kennt noch jemand die Redewendung „Gegen Windmühlenflügel kämpfen“? Der alte Don Quijote reitet aus, um ritterliche Taten zu vollbringen, doch es gibt schon lange keine Ritter mehr und die Riesen, gegen die er sinnlos anrennt, sind doch nur Windmühlen. Und so wie man diese Erzählung und die Bedeutung der Redewendung vergessen wird, so werden auch die schönen deutschen Endungen „e“ und „en“ in den Orkus der Geschichte wandern. Und wer wird schuld sein? Die Pop-Musik.
Unser lyrisches Ich jedenfalls schert sich weder um Grammatik noch um den Typen im ersten Stock, der immer seine Tochter schlägt, das alles ist ihm zum Kotzen vertraut (der Imbiss an der Ecke scheidet wohl als Ursache aus), deshalb muss es einfach weg. Basta.

Ich brauch mein' Platz und frischen Wind,
ich muss schnell wo anders hin,
sonst wachs' ich hier fest.
Ich mach 'nen Kopfsprung durch die Tür,
ich lass' alles hinter mir,
hab' was Großes im Visier,
ich komm' nie zurück zu mir.

Gut, dass wir das mit dem „e“ und „en“ geklärt haben. Als lyrisches Highlight – und das meine ich ganz ehrlich – wird ein Kopfsprung durch die Tür gewagt. Gut, dass wir in der ersten Strophe erfahren haben, dass das lyrische Ich hier seinen metaphorischen Teich hat, also wird es nicht auf das Pflaster knallen, sondern sanft in die Fluten gleiten. Warum die letzte Zeile „ich komm nie zurück zu mir“ statt „ich komm nie hier her zurück“ lautet ist mir ein Rätsel. Des Reimes wegen wird Mark das nicht gemacht haben, denn den gab es schon vorher. Also handelt es sich um das typisch pseudointellektuelle Geschwurbel, bei dem sich Leute verlieren und/oder wiederfinden müssen, oder eben nie zu sich zurückkehren. Liebe Texter, nehmt Euch bitte wörtlich, dann passiert so ein Quatsch nicht.

Es gibt nichts, was mich hält au revoir,
vergesst wer ich war,
vergesst meinen Nam'!
Es wird nie mehr sein, wie es war,
ich bin weg, oh, oh, au revoir.

Das kommt dabei heraus, wenn man den oh, oh, onomatopoetischen Wohlklang der Interjektion „oh“ mit dem französischen „au revoir“ kombiniert: Ein Hit-Refrain. Da nehmen wir doch gern einen verstümmelten „Nam“ in Kauf (hoffentlich kein Kürzel für Leichnam).

Auf Wiederseh'n? Auf kein'.
Ich habe meine Sachen gepackt, ich hau rein.
Sonst wird das für mich immer nur dieser Traum bleiben.
Ich brauch Freiheit, ich geh auf Reisen,
ich mach alles das, was ich verpasst hab,
fahr mit 'nem Gummiboot bis nach Alaska,
ich spring in Singapur in das kalte Wasser,
ich such das Weite und dann tank ich neue Kraft da.

So, nun also Sido, der vor gar nicht so langer Zeit noch die Massen mit so schönen Texten wie dem Arschficksong beglückte. Aber unser Langzeitgedächtnis ist abgestorben und warum sollen Gangsta Rapper und böse Buben nicht auch die Chance erhalten, reich zu werden und obendrauf einen Integrations-Bambie zu bekommen? Aggro goes Pop, irgendwie ist das ja auch tröstlich und wunderbar bieder.
Herr Würdig verschluckt nicht mehr nur Endungen sondern gleich ganze Phrasen. „Auf keinen Fall“ reimt sich nun einmal nicht auf „ich hau rein“, das versteh ich voll. Dankbar sind wir alle dafür, einen neuen Reim ins Reimlexikon aufnehmen zu können: Von nun an reimt sich "Wasser" (sprich Wassa) auf "Alaska" oder wahlweise "Kraft da".
Apropos bieder: Freiheit, auf Reisen gehen, alles machen, was man verpasst hat... Die Klischees klappern und man möchte fast das Weite suchen, wenn man nicht so unendlich gespannt wäre, wie es denn nun weiter geht.

Ich sehe Orte, von den' andere nie hörten.
Ich fühl mich wie Humboldt oder Steve Irwin.
Ich setz mich im Dschungel auf den Maya-Thron,
auf den Spuren von Messner, Indiana Jones.

Wow, jetzt gibt es eine gehörige Demonstration Bildung die zeigt, dass Drogen doch gar nicht so schädlich sein können. Trotzdem werfen einige Vergleiche mehr Fragen auf als ich Antworten habe. Wie sich Alexander Humboldt (sein Bruder Wilhelm kam über Eropa nicht hinaus), der große Entdecker, nach seinen ausgedehnten Reisen gefühlt hat, kann man sich noch vorstellen. Wie es ist, mit dem Stachel eines Rochens im Herzen zu sterben, wie es Steve Irwin geschah, ist schon schwieriger. Irgendwo, scheint es, lauert die Provokation unter der Oberfläche des Textes, der alte Arschficker ist noch nicht so ganz verschwunden und da ist es auch konsequent, dass man Reinhold Messner neben eine fiktive Figur stellt, die allein in unserer Vorstellungskraft auf der Halbinsel Yucatán gewesen sein könnte.

Der Phönix macht jetzt 'n Abflug.
Au revoir, meine Freunde macht's gut,
ich sag dem alten Leben Tschüss,
Affe tot, Klappe zu,
wie die Kinder in Indien, ich mach 'n Schuh.

Früher war es üblich, dass kleine Affen in einer Holzkiste am Kassenhäuschen eines Zirkus als Attraktion gezeigt wurden. Starb dieser Affe, blieb die Klappe geschlossen und es fand keine Vorstellung statt. Das bringt uns jetzt hier zwar nicht weiter, ist aber doch mehr Information, als der ganze Text zusammen enthält.
Über den Schlusssatz muss ich noch ein paar Worte verlieren. Ich mag keine Ahnung von Rap haben, es ist mir auch egal mit welchem zynischen Kalkül Leute an der Nase herumgeführt werden, denn was gefällt hat auch seine Berechtigung. Aber: „Ich mache es wie die Kinder in Indien: Ich mache 'n Schuh“? In welchem Universum ist das ein gelungener Wortwitz? Man geht davon aus, dass bis zu 60 Millionen Kinder in Indien zwischen 5 und 14 Jahren zeitweise oder regelmäßig arbeiten müssen. Kindheit? Fehlanzeige. Aber was schert das einen Typen aus dem Block, der jetzt im beschaulichen Hohen Neuendorf residiert.

Es gibt nichts was mich hält, au revoir,
vergesst, wer ich war,
vergesst meinen Nam'!
usw. usf.

Fazit: Ach, könnten wir der Aussage des Songs nur vertrauen! Leider bleibt zu erwarten, dass wir von allen Beteiligten noch viel zu hören bekommen.